Eine sichere Bindung bewirkt bereits mit vier Jahren eine längere Konzentrationsdauer, selbstständigere Konfliktlösungen und ein höheres Einfühlungsvermögen sowie im Erwachsenenalter eine bessere Beziehungs- und Partnerschaftsfähigkeit.
Deshalb ist jungen Eltern bereits vor einer Elternschaft empfohlen, sich Wissen über die Bedürfnisse und Fördermöglichkeiten ihres Kindes in den verschiedenen Entwicklungsstufen und insbesondere der wichtigen Bindung zu ihnen als Bezugspersonen anzueignen.
Bezugspersonen fördern die Motorik und Sprache
In einer Gruppenbetreuung – auch mit bestens ausgebildetem Personal – kann das Kind nicht nach seinen Bedürfnissen gefördert werden. Die Unterstützung und Begleitung des Kindes in seiner eigenen Entwicklung, vorerst seiner motorischen Fähigkeiten wie laufen, klettern, rutschen… und seiner Sinne, beanspruchen viel Zeit.
Von der Geburt bis rund zum sechsten Altersjahr findet schwerpunktmässig die Sprachförderung statt. Die Sprache öffnet das Tor zur Welt und ist damit eine der grundlegenden Kulturtechniken, die am besten durch den Sprachgebrauch mit den engsten Bezugspersonen erworben wird. Sie ist Grundlage für den Umgang der Menschen miteinander. Sprachförderung kann gut in den ganz normalen Alltag – während den Mahlzeiten, dem Wickeln, beim Baden, Spielen im Sandkasten – integriert werden.
Diese Zeit, die wir unseren Kindern schenken, ist wohl die sinnerfüllteste unseres Lebens, und ist durch die Früheinschulung von Vierjährigen sehr kurz geworden.
Begleitet das Kind die Tätigkeiten der Mutter oder des Vaters beim Gemüserüsten, Tischdecken, Wäschezusammenlegen und werden diese erklärt, trägt dies zu einem Zugehörigkeits- und Geborgenheitsgefühl bei. Auf Spaziergängen in der Natur wiederum können Worte wie Sonne, Schatten, Wind, Schnecke, kalt/warm, trocken/nass anschaulich erworben werden. Das Betrachten von Bilderbüchern bietet eine wunderbare Gelegenheit – je nach Thema – auf die Bedürfnisse des Kindes einzugehen.
Das Kleinkind stellt täglich hunderte von neugierigen Fragen, die wir im häuslichen Umfeld beantworten und Fehler durch korrekte Wiederholung der kindlichen Aussage korrigieren können.
Diese Zeit, die wir unseren Kindern schenken, ist wohl die sinnerfüllteste unseres Lebens, und ist durch die Früheinschulung von Vierjährigen sehr kurz geworden.
Dank gegenseitigem Vertrauen, das wir von klein auf im Gespräch mit unseren Kindern aufgebaut haben, werden wir bei Problemen gemeinsame Lösungen finden.
Der Verzicht auf Ferien und andere Annehmlichkeiten wiegt die interessante, oft lustvolle Familienzeit auf, auch wenn dadurch kurzfristig finanzielle Einbussen entstehen.
Die Entwicklungsstufen des Kindes
Das erste “Jahrsiebt” soll den Kindern Anregungen für die Entwicklung der Sinnesorgane und des Gehirns geben. Diese wichtige Phase der “Ich-Findung” müssen Kinder ohne störende Konkurrenzkämpfe erleben können. Studien belegen, dass Kinder, die sich zu früh in eine grössere Gruppe einfügen müssen, dadurch für ihr späteres Leben geprägt werden. Entweder können sie sich als Leithammel durchsetzen, oder sie kommen zur Auffassung, dass ein Leben als Mitläufer am bequemsten ist.
Beides behindert jedoch eine harmonische Entwicklung von Kopf, Herz und Hand (Pestalozzi) oder die kognitiven, motorischen, emotionalen und sozialen Aspekte jeder Persönlichkeit.
Damit sich ein Kind bei Ungerechtigkeiten, die in einer Kindergruppe immer wieder passieren, aktiv dagegen auflehnen kann, sollen ihm sieben Jahre zustehen, um sein Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl aufzubauen. Auch das Trotzalter, das eine wichtige Phase im diesem ersten Lebenszyklus ist, trägt zur Selbstfindung bei.
Erst im zweiten “Jahrsiebt”, das grosse körperliche Veränderungen prägen, muss das “Du“ seinen Platz finden: Empathie, Verzicht, Verständnis und Achtsamkeit der Schwester, dem Bruder, dem Freund, der Freundin und Respekt den Erwachsenen gegenüber.
Erwiesenermassen regeneriert sich der menschliche Körper alle sieben Jahre und die Reifung vollzieht sich im Siebner-Rhythmus.
Wird dem Kind Zeit gelassen, die verschiedenen Entwicklungsschritte ungestört und mit Hilfe der Bezugspersonen zu erleben, so wird es im dritten “Jahrsiebt” neben dem “Ich” und dem “Du” die Gruppe – das “Wir” – zum neuen Schwerpunkt im Leben machen und damit auch für andere Verantwortung übernehmen können.
Diese Entwicklungslehre von Rudolf Steiner kann als wichtige Erziehungshilfe dem Wohle der Kinder dienen.
Durch die Einschulung von vierjährigen Kindern und der Tendenz, schon Kleinkinder in Krippenbetreuung zu geben, wird ihnen leider eine spielerische, beschauliche Kindheit verwehrt.
Auswirkungen der Überforderung von Kindern
Die Bindungsforschung kommt zur Erkenntnis, dass der Eltern-Kind-Beziehung eine besondere Bedeutung zukommt. Dies wurde in vielen Studien beschrieben und war schon vor Jahren als allgemeingültige Richtlinie für die Eltern anerkannt.
Seit den 90er Jahren liegen nun dank der Neurobiologie auch neue Einsichten zum Hormon Cortisol und seiner Wirkung vor. Durch die Trennung von seinen Eltern leiden die Kinder unter Verlassenheits- und Verlustängsten, was zu erhöhter Ausschüttung des Stresshormons Cortisol führt.
Kleinkinder sind noch nicht fähig, selbst diese Stresssituationen zu regulieren. Die Auswirkungen auf die Kinder werden in der Literatur folgendermassen beschrieben: Kinder, welche die meiste Zeit in Kindertagesstätten verbringen, entwickeln sich später in der Schule eher zu Störenfrieden und Unruhestiftern als Kinder, die zu Hause von ihren Eltern betreut wurden. Auch die Eltern-Kind-Interaktion verschlechtert sich. Krippenkinder verfügen über einen deutlich geringeren Wortschatz.
Kinder, die in den ersten Lebensjahren ausserfamiliär in Gruppen betreut wurden, weisen mehr Problemverhalten auf. Sie neigen zu Aggressionen und vermehrter ADHS-Erkrankung, und Frustrationen führen oft zu Apathie.
Bei diesen Forschungsarbeiten wurde auch das Glücks- oder Bindungshormon Oxytocin als Gegenspieler zum Stresshormon Cortisol entdeckt. Es wird bei liebevoller Zuwendung und Berührung, bei Eltern-Kind-Interaktionen, ausgeschüttet. Die Wirkung dieses Hormons wird von Rainer Böhm, Sozialpädiater, folgendermassen beschrieben:
“Die Erfahrung früher sicherer Bindung ist eine entscheidende Voraussetzung für eine zu Empathie und Mitgefühl fähige Gesellschaft.”
Dies sollte eigentlich ein erstrebenswertes Ziel von Erziehungswissenschaftler/-innen, Pädagogen/Pädagoginnen, Eltern und Politikern/Politikerinnen sein.
Dass der Wirtschaftsverband “Economiesuisse” mehr Krippenplätzen verlangt, und damit Mütter nach der Geburt umgehend wieder in den Arbeitsprozess integrieren will, zielt an den Bedürfnissen der Kinder und jungen Eltern vorbei. Auch würde damit ein Fachkräftemangel bei der Kinderbetreuung ausgelöst, was geflissentlich ausser Acht gelassen wird. Auch widerspricht diese Forderung dem auf pädagogischen Grundlagen aufgebauten Erziehungs- und Bildungssystem der Schweiz und den eindrücklichen Forschungsergebnissen zur Bedeutung der Eltern-Kind-Beziehung.
Eine Fremdbetreuung von Kindern kann in Einzelfällen der richtige Weg sein.
Für mich wäre eine flächendeckende Fremdbetreuung aber der bedauernswerteste Rückschritt in der Entwicklung unserer modernen Gesellschaft im 21. Jahrhundert.
Das Bewusstsein und die Kenntnis der Bedeutung der Eltern-Kind-Beziehung sind bei jungen Eltern vorhanden. Das zeigt die Statistik der unbezahlten Betreuungsarbeit für Kleinkinder von über 17 Mrd. Franken und für Kindergarten / Schulkinder von über 80 Mrd. Franken.
Nicht die Wirtschaft braucht mehr Frauen und Männer als Fachkräfte, sondern unsere Kinder brauchen ihre Eltern.