Das Magazin vom 3. Februar 2024 gibt der «Bildungsexpertin» Rahel Tschopp viel Raum (8 Seiten), um ihre Vorstellungen von der «Schule der Zukunft» auszubreiten. Der Artikel von Ursina Haller erwähnt nicht, dass Rahel Tschopp ein eigenes Institut namens «Denkreise» leitet, das in grossem Stil und offenbar erfolgreich Schulentwicklungsprojekte durchführt, dass sie ferner mit weiteren Unternehmen und Stiftungen im IT-Bereich vernetzt ist. In ihren Gedanken zur Zukunft der Schule ist denn auch «Digitalisierung» eine unterschwellige Konstante.
Wie muss denn nun die «Schule der Zukunft» aussehen?
Tschopp entwirft ihr Bild davon in 26 Stichworten. Ausgangspunkt ihrer Gedanken ist typischerweise das Unbehagen über die gegenwärtige Schule, die sie als rückständig einstuft: Die Gesellschaft entwickelt sich dauernd weiter, die Klassen werden heterogener, die Schule bleibt stehen. Dies unterstreicht sie mit einem negativ besetzten Reizwort: Die Schulen sind noch immer nach derselben alten «Grammatik» getaktet. Wer ist nicht gegen langweilige Grammatik?!
Es ist der alte Vorwurf, für den Lehrpersonen, Politiker, Eltern leicht empfänglich sind, weil Schule nie perfekt funktioniert, weil immer irgendwo etwas nicht gut läuft, Situationen unbefriedigend und Menschen überfordert sind. Der Wunsch nach Problemlösung, nach Erlösung von den irdischen Übeln des gewohnten Trotts ist deshalb in und ausserhalb der Schulen stets allgegenwärtig.
Hier ist eine Marktlücke, die von allerhand Prophetinnen und Propheten gewinnbringend bewirtschaftet werden kann. Werden sie als Beraterinnen angeheuert, bringen sie durch ihren Elan zunächst frischen Wind in die betreffenden Schulen. Es entsteht Aufbruchstimmung. Die Leute werden euphorisiert. Was sich sicher auch auf die Schülerinnen und Schüler überträgt, wenigstens für eine gewisse Zeit, bis sich Nachteile zeigen, Abgründe auftun, die nächsten PISA-Resultate bekannt werden oder unzufriedene Eltern auf die Barrikaden steigen und ihre Kinder von der Schule abziehen.
Was sind denn nun die Rezepte der Rahel Tschopp, wie sieht ihre neue «Schulgrammatik» aus? Kurz gesagt: Es sind die alten Ladenhüter, die ohne Evidenz einer nachhaltig erfolgreichen Umsetzung und ohne Diskussion der entsprechenden Forschung und Gegenargumente verkündet werden. Tschopp unterscheidet auch nicht nach Schulstufen, offenbar gelten ihre Vorschläge für die gesamte obligatorische Schulzeit:
- Altersdurchmischung und Auflösung der Klassengemeinschaft
- Grossraumbeschulung
- kein Frontalunterricht
- Digitalisierung, Lernen mit you tube-Tutorials
- Individualisierung
- Abschaffung der Aufgaben
- Abschaffung der Noten und Zeugnisse, statt dessen Portfolios
- Schaffung von gemütlichen Lernumgebungen
- Abschaffung der Selektion
- Einbeziehung der Eltern
- Lehrpersonen als Coach, ja nicht «zeigen wies geht»
- Einbezug der KI
- Lehrpersonen nur noch als Team
- Lernen in der Natur
- Öffentlichkeitsarbeit durch Schulausstellungen
Wer den Überdruss überwindet und genau liest, merkt schnell, dass die Argumentation zu den erwähnten Punkten nicht ganz widerspruchsfrei ist. Beispielsweise wird die Bedeutung der Schüler-Lehrkraft-Beziehung hervorgehoben, gleichzeitig aber eine Lernumgebung propagiert, bei der diese Einzelbeziehung aufgehoben wird. Selbstorganisiertes Lernen wird angepriesen, gleichzeitig jedoch die Direktvermittlung durch Lehrpersonen in akademisch schwierigen Fächern verlangt. Soziales Lernen soll im Portfolio dokumentiert werden, obwohl der Unterricht aufs Äusserste individualisiert werden soll. Mit dieser Sowohl-als-Auch Pädagogik sichert sich die Beratung einen langanhaltenden Einsatz, weil die Schulen den widersprüchlichen Ansprüchen nie ganz gerecht werden können.
Hier spricht jemand, der grundsätzliche Anliegen mit zweitrangigen Details vermischt, die schon längst in die Methodenkiste der Lehrpersonen gehören, die als «grammatikalische» Ausgestaltung einer «Schule der Zukunft» jedoch eher skurril wirken.
Mätzchenpädagogik
Viele der konkreten Vorschläge tönen etwas nach Mätzchenpädagogik: Am Boden liegend arbeiten, ein Schatzkästchen haben, in dem Lernbelege abgelegt werden, in einem Büchlein notieren, was man bereits kann, einzelne Kinder als Schutzengel einsetzen, etc. Hier spricht jemand, der grundsätzliche Anliegen mit zweitrangigen Details vermischt, die schon längst in die Methodenkiste der Lehrpersonen gehören, die als «grammatikalische» Ausgestaltung einer «Schule der Zukunft» jedoch eher skurril wirken.
Warum ist es müssig, auf die einzelnen Punkte noch einzugehen? Weil all dies in den Schulen seit über 30 oder 40 Jahren ausprobiert worden ist, weil sich die Schule in dieser Zeit im Gegensatz zu Rahel Tschopps Meinung gewaltig verändert und den Bedürfnissen angepasst hat, weil sich gemäss PISA und anderen Evaluationen die Leistung aber nicht verbessert hat und weil die langfristige Zufriedenheit mit der Schule nicht zugenommen, sondern eher abgenommen hat.
Wie Schule organisiert wird, welche Mittel eingesetzt werden, sollte diesem Ziel nachgeordnet werden.
Allerdings gibt es Aufgaben, denen sich die Schule nicht entziehen kann, weil die späteren Bildungswege und die Gesellschaft dies nun einmal verlangen. Dazu gehören Zeugnisse und die Selektion. Dazu gehören verbindliche Bildungsziele. Dazu gehören Lehrpersonen, die bereit sind, die Verantwortung für die Vermittlung zu übernehmen und sich nicht im Team hinter andern zu verstecken und die Schüler(innen) die komplizierten Kommaregeln selbst entdecken zu lassen.
Es ist das alte Lied: Bei Missständen im Schulbereich müsste vorurteilsfrei nach den Ursachen geforscht und entsprechend gehandelt werden. Das eigentlich aufklärerische Ziel der Volksschule, nämlich die Vermittlung von Grundwissen und die Förderung der wesentlichen Fähigkeiten, muss prioritär gewahrt bleiben. Es ist heute so aktuell wie vor hundert Jahren und ist genau so in den Kantonsverfassungen verankert. Dabei steht das Lernen im Zentrum. Fachlich gut ausgebildete Lehrpersonen mit Einfühlungsvermögen sind gefragt, die den Kindern und Jugendlichen die Dinge im direkten menschlichen Bezug vermitteln können. Wie Schule organisiert wird, welche Mittel eingesetzt werden, sollte diesem Ziel nachgeordnet werden.
Diese PH-Idiotie ist erstens überholt und zweitens nicht weniger irr als vor Jahren.
Wenn jemand nun sehr still sein sollte, dann die PHs, die uns den ganzen Rückschritt durch sinnlose Reformen mit eingebrockt haben.
Wenn Primarschullehrkräfte ihre eigenen Institute gründen, um den öffentlichen Schulen Schulentwicklungsprojekte zu verkaufen, ist Mammon endgültig im Schulbetrieb angekommen. Im Unterschied zu einem Hans Brügelmann, der bloss einen Reformgedanken öffentlichkeitswirksam raushaut, wartet Rahel Tschopp mit einem ganz neuen Geschäftsmodell auf: Sie mixt ein ganzes Sammelsurium unterschiedlichster Reformideen der letzten Jahrzehnte, die sie sich angenehm befreit von der Last der Eigenleistung bei einem Ristretto und Nussgipfel mal schnell in Erinnerung ruft. Mich erinnert das an die Tannenzapfenschlachten meiner Kindheit. Wer die meisten Tannenzapfen sammelte, hatte zumindest in diesem Punkt schon mal gewonnen, denn auch da ging Quantität über Qualität. Wenn sich die öffentliche Schule wieder zum Besseren wenden soll, dann sollten ganz bestimmt nicht die Tschopps dieser Welt seitenlang interviewt werden in Blättern nationaler Reichweite, sondern die Schmutzes.
Wenn man das Bild anschaut, denkt man als alter Knochen, die Schulen würden von Einrichtung und Atmosphäre her ver-googelt, damit es den Kindern ja nicht langweilig werde.