PISA-Resultate 2024

Schweiz: Jeder Vierte, jede Vierte kann nicht lesen. Deutschland: So schlecht wie noch nie!

Die internationale Vergleichsstudie zeigt: Schweizer Schülerinnen und Schüler legen zwar in Naturwissenschaften zu, beim Lesen aber haben sich die Ergebnisse im Vergleich zu früher verschlechtert. Ebenso im Fach Mathematik. Condorcet-Autor Hanspeter Amstutz hat für den Condorcet-Blog einen ersten Kommentar verfasst. Weitere werden folgen.

Die Schweiz hat bei PISA insgesamt schlechter abgeschnitten als vor vier Jahren, aber die meisten andern europäischen Länder sackten noch mehr ab als wir. Deshalb liegen wir jetzt knapp über dem OECD-Schnitt. Das gibt dem LCH und natürlich Frau RR Steiner einen Grund, um von sehr guten Leistungen unserer Schüler zu sprechen.

Gastautor Hanspeter Amstutz, Starke Schule Zürich: 25% Illetristen, so kann es nicht weitergehen.

Die anhaltende Katastrophe, dass ein Viertel unserer Schüler über keine genügenden Lesefähigkeiten verfügt, wird dann etwas kleinlaut nachgeschoben. Hier muss man entschlossen nachhaken und feststellen, dass es beim Lesen nicht besser, sondern noch schlechter geworden   ist. Für uns ist das ein Skandal, der unseren selbsternannten Bildungs-Steuerleuten bei der EDK und an den Hochschulen ein schlechtes Zeugnis ausstellt.

Spannend sind jetzt die Reaktionen aus Deutschland, wo der Absturz dramatisch ist. Neben den unbestrittenen Belastungen durch eine starke Einwanderung werden der Lehrermangel und die ungenügende Digitalisierung der Schulen erwähnt. Mir fehlt dabei ein ganz zentraler Punkt: Die unseligen neuen Lernkonzepte mit Lehrerinnen als Coachs und dem ganzen selbstorganisierten Lernen. Das Dogma des Lehrers als Begleiter hat in den deutschen Schulen meiner Meinung nach bereits sehr viel mehr Schaden angerichtet als bei uns. Es kommt uns zugut, dass wir manche weltläufige Dummheit erst mit Verspätung machen oder sogar verpassen.

Schwierig wird es für alle, die behaupten, mit viel mehr Geld könne man unser Bildungssystem stark verbessern. Das eher arme Estland muss mit sehr viel weniger finanzieller Unterstützung auskommen und liegt dennoch deutlich vor der Schweiz. Das müsste auch in linken Kreisen und beim LCH einmal zur Kenntnis genommen werden. Bei der EDK wird jetzt vermutlich wieder so getan, als würde man sich der Leseschwäche eines Viertels unserer Jugend voll annehmen. Sicher gibt es ein paar sinnvolle Aktionen wie Aufwertung der Schülerbibliotheken und gezielte Förderprogramme für fremdsprachige Kinder.

Aber sobald es um die speditive Beseitigung der Dauerbaustellen an unserer Schule geht, nimmt der Tatendrang der EDK-Steuercrew rapid ab. Die Primarschulen schlagen sich weiter mit einem ineffizienten Dreisprachenkonzept herum und finden für die Wiedereinführung von Kleinklassen kein Gehör, obwohl diese einen Beitrag zur Reduktion der Heterogenität in den Regelklassen leisten würden. Es fehlt der Wille zu einer Entrümpelung des völlig überladenen Lehrplans und der Mut zu einer Konzentration auf wesentliche Bildungsinhalte. Dem Lehrermangel steht man ziemlich ratlos gegenüber und für die Stärkung der Rolle der Klassenlehrkräfte wird zu wenig getan. Doch mit dem üblichen Beschönigen und Aussitzen von Problemen kommen wir nicht weiter. Es gilt jetzt, die schwerwiegenden Folgen der Leseschwäche eines Viertels unserer Schulabgänger den Leuten vor Augen zu führen und sich mit aller Kraft an die Behebung der offenen Baustellen zu machen.

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Eine Bildungsexpertin weiss Rat

In einem fünfseitigen Interview im Magazin des Tages-Anzeigers entwirft eine ehemalige Institutsleiterin der Pädagogischen Hochschule Zürich ein Zukunftsmodell der Volksschule. Es sind kühne Vorstellungen, welche da skizziert werden. So fordert die Bildungsexpertin, dass die bisherige Klassenlehrerfunktion abzuschaffen sei und jeweils ein Team von vier Lehrpersonen eines Stockwerks die gemeinsame Verantwortung für gut sechzig Kinder tragen soll. Die Schüler seien individuell durch einfühlsame Coachs zu begleiten. Den Beitrag finden Sie hier (https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2024/02/Die-Schule-der-Zukunft.pdf). Condorcet-Autor Felix Schmutz zeigt sich amüsiert.

4 Kommentare

  1. Dieser Text bringt es auf den Punkt:

    “Es kommt uns zugut, dass wir manche weltläufige Dummheit erst mit Verspätung machen”

    Leider ist diese unbewusste Taktik nur kurzfristig nützlich, weil allzu viele und insbesondere die sog. Leitmedien stark linkslastige Präferenzen einhämmern.

    “mit dem üblichen Beschönigen und Aussitzen von Problemen kommen wir nicht weiter.”

    Ja eben, aber wo bleibt der zur Überwindung der Stagnation nötige gemeinsame Wille?

    Es bleibt zu hoffen, dass die viel geschmähte Wirtschaft realisiert, welche Probleme wir auf den Weltmärkten bekommen, wenn schon jetzt viel zu wenig geeignete Fachkräfte aller Art vorhanden sind.

  2. Es ist schade, dass der Bildungsdiskurs in der Schweiz selten fundiert und differenziert erfolgt. Auch in diesem Kommentar werden diejenigen Fakten erwähnt, die dem Autor gerade in den Kram passen, andere werden ausgeblendet, zuweilen werden Fakten erfunden über Sachverhalte, zu denen man objektiv zu wenig weiss. Vier Beispiele:
    1. Estland wird als gutes Beispiel angesprochen. Es ist zwar ärmer als die Schweiz in Bezug auf den Reichtum und die Stärke der Währung, aber gemessen am BIP gibt Estland nicht wesentlich weniger Geld für das Bildungssystem aus als die Schweiz. Das zeigt sich z.B. in sehr modernen und komfortabel ausgestatteten Schulbauten, auf die viele deutsche Schulen neidisch sein sollten. Nicht erwähnt wird im Kommentar aber, dass die Schüler in Estland von der ersten bis zur neunten Klasse – ohne Selektion – gemeinsam lernen! Sie werden individuell gefördert, und gross geschrieben wird Frühförderung ab der Kita.
    2. Beispiel selbstorganisiertes Lernen: “Das Dogma des Lehrers als Begleiter hat in den deutschen Schulen meiner Meinung nach bereits sehr viel mehr Schaden angerichtet als bei uns.” Diese Aussage insinuiert, dass viele Lehrer tatsächlich nur noch als Coach unterrichten. Aber die Frage sei gestattet, woher man das weiss? Studien dazu sind rar. Tatsache ist eher, dass in Deutschland letztlich immer noch der tradierte fragend-entwickelnde Unterricht dominiert.
    3. Bei der ersten PISA-Studie kamen 20% der Schülerschaft nicht über das erste Kompetenzniveau beim Lesen hinaus, obwohl das selbstgesteuerte oder selbstorganisierte Lernen damals noch kein Thema war. 2018 waren es 23%, vier Jahre später 24%. Zwischenzeitlich waren es mal 16%. Die Daten zeigen, dass das Schweizer Bildungssystem unabhängig von der Debatte um SOL ihre Aufgaben nicht erfüllt. Es muss also gewichtige Ursachen der Fehlfunktion der Schule geben, die über das Bashing des LP21 oder die Kritik am Konzept SOL hinausgehen. Ein fundierter Kommentar sollte darauf ein gehen.
    4. “Das müsste auch in linken Kreisen … einmal zur Kenntnis genommen werden.” Der Fokus auf linke Kreise ist falsch, da viele Verantwortliche in den Bildungsdirektionen, die die heutige Schulpolitik unterstützen, nicht linke Politiker sind. Dazu gehören Personen, die der FDP, der Mitte oder wahlweise sogar der SVP nahestehen. Auch viele Schulpräsidien, die in ihren Agglo- und Landgemeinden Atelier- oder Mosaikschulen einrichten, sind nicht linke Politiker. Es sein denn, man erachte alle, die links von der SVP politisieren, als Linke. Aber diese Denke passt nun wirklich nicht zu einem Kommentar, der ernst genommen werden will.

  3. Es geht in meinem Kurzkommentar zu PISA nicht um eine fundierte Analyse. Das hat Felix Schmutz in seinen zehn Punkten bereits in sehr überzeugender Weise getan. Mein Kommentar will zeigen, dass es den EDK-Verantwortlichen trotz der schon länger bekannten Leseschwäche eines Teils unserer Schulabgänger nicht gelungen ist, den Abwärtstrend zu stoppen. Man muss sich schon fragen, weshalb wir bei den Bildungsausgaben zwar an der Spitze sind und es dennoch beim Lesen auf keinen grünen Zweig bringen.
    Die vollmundigen Ankündigungen vieler Bildungspolitiker (“Unsere Schüler werden am Ende der Primarschulzeit munter Französisch parlieren und sich auf Englisch unterhalten.”) passen nicht mit der Schulrealität überein. Im letzten Abschnitt meines Kommentars sind einige der Gründe aufgeführt, die mitverantwortlich für die Krise sind. Darunter sind altbekannte Baustellen wie die stark belastende Integration oder die gescheiterte Mehrsprachendidaktik für die Primarschule. Skandalös dabei ist, dass es bei der EDK eigentliche blinde Flecken beim Erkennen der drängendsten Herausforderungen gibt. Oft sind es didaktische Dogmen, welche die Sicht auf die Schulrealität trüben. Parteipolitisch trifft es jedoch zu, dass in den Zeiten der grossen Bildungsversprechen nicht nur auf der linken Seite Fehler gemacht wurden.

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