“Urban Studies” heisst das Fach. Studieren kann man es an der Universität Basel, und die Grundsätze, denen es verpflichtet ist, sind in einem dreiseitigen “Commitment” zusammengefasst. Als oberste Gebote gelten nicht, wie man das in der Wissenschaft erwarten würde, unabhängige Forschung, Transparenz über die Grundlagen oder Überprüfbarkeit der Methoden. Sondern ein Bekenntnis: “Der Studiengang Urban Studies der Universität Basel setzt sich für Racial Justice innerhalb und ausserhalb der Universität ein”, lautet der erste Satz.
Das ist keine wissenschaftliche Absichtserklärung, sondern ein politisches Statement. “Racial justice” steht für rassismuskritische Gerechtigkeit und ist ein Kampfbegriff der “critical race theory”. Einer an amerikanischen Universitäten entwickelten Ideologie, die den Diskurs über Rassismus in den USA prägt und sich auch an europäischen Hochschulen durchzusetzen beginnt. Mindestens dort, wo es “progressiv” zugeht.
Wer weiss ist, ist rassistisch. Weil Weisse das Privileg, weiss zu sein, nicht ablegen können.
Die “critical race theory” ist weniger von wissenschaftlichen Standards geprägt als von Glaubenssätzen: Rassismus ist überall, lautet einer davon. Wer weiss ist, ist privilegiert, ein zweiter. Und weil die Strukturen der westlichen Gesellschaft von Weissen geprägt sind, ergibt sich daraus ganz zwanglos: Wer weiss ist, ist rassistisch. Weil Weisse das Privileg, weiss zu sein, nicht ablegen können. Weisse können deshalb, auch dies ein Grundsatz des kritischen Antirassismus, nicht Opfer von Rassismus sein.
Räume für kritisches Denken
Das Commitment der Basler Urban Studies ist eine Blaupause der “critical race theory”, durchsetzt mit postkolonialer Theorie. “Wir setzen uns aktiv mit unserem kolonialen und imperialistischen Erbe sowie den daraus entstandenen rassistischen Denkweisen und Praktiken auseinander”, heisst es da. Und weiter: “Wir sind uns bewusst, dass durch unser koloniales Erbe unsere Praktiken sowie unser Wissen weiterhin von Rassismus, Antisemitismus, Islamophobie, Zionismus, Sexismus, Homophobie, Transphobie und Ableismus geprägt sind. Darum bemühen wir uns, diesem Erbe entgegenzuwirken.”
Am Anfang der Wissenschaft stehen bei den Urban Studies also keine Fragen. Sondern politische Kampfbegriffe und ein Schuldbekenntnis. Wissenschaftlichkeit – wozu? Schliesslich geht es um hehre Ziele: Man wolle Ausgrenzungen aktiv entgegenwirken, heisst es. Mit dem Wissen allein ist es allerdings nicht getan, es soll auch praktisch umgesetzt werden.
Am Anfang der Wissenschaft stehen bei den Urban Studies also keine Fragen. Sondern politische Kampfbegriffe und ein Schuldbekenntnis.
Was das praktisch heisst, zeigt ein offener Brief, den die “Sonntags-Zeitung” thematisiert hat: Studierende der Sozialwissenschaft hatten ihn Mitte Oktober auf der Website der Universität publiziert. In einer Solidaritätserklärung an das palästinensische Volk bezeichneten sie die Eskalation der Gewalt im Nahen Osten als “Ergebnis einer langjährigen Politik, die auf Siedlerkolonialismus und Apartheid beruht”. Alles ganz einfach also: Schuld ist Israel. Die Gewalttaten der Hamas waren den “Racial justice”-Kämpfern keine Silbe wert. Der Brief war einen Tag lang online. Dann wurde er auf Anordnung der Universitätsleitung gelöscht.
Solidarität mit dem “globalen Süden”
Von kritischer Reflexion ist in der Stellungnahme der Basler Studierenden nichts zu spüren. Aber sie ist Ausdruck einer politischen Haltung, die an vielen europäischen und amerikanischen Hochschulen mehrheitsfähig ist: Die Welt besteht aus Unterdrückern und Unterdrückten. Die Unterdrücker sind Europa und die USA, Unterdrückte fast alle anderen.
Daraus folgt eine blinde Solidarität mit dem “globalen Süden”. Israelische Juden werden pauschal zu Kolonisten gestempelt und Israel als Kolonialprojekt verstanden, das der Westen ohne Rücksicht auf historische Gegebenheiten im Nahen Osten errichtet habe. Zionismus wird unbesehen mit Islamophobie, Sexismus und Rassismus gleichgesetzt. Das passt zu den Grundsätzen der “critical race”-Ideologie, der gemäss Juden zur weissen Mehrheitsgesellschaft gehören. Und damit per se nie Opfer sind, sondern Täter.
Unmittelbar nach dem Angriff der Hamas vom 7. Oktober hatte ein Mitarbeiter der Universität Bern die Terrorattacke auf der Social-Media-Plattform X, vormals Twitter, auf gewaltverherrlichende Weise als Akt des “palästinensischen Widerstands” gefeiert. Vergangene Woche haben Philosophieprofessoren amerikanischer und britischer Universitäten in einem offenen Brief ihre Solidarität mit Palästina bekundet und Israel als Alleintäter und Unterdrücker bezeichnet.
Wildschweine in Palästina
Der Mitarbeiter der Uni Bern wurde mittlerweile entlassen. Die amerikanischen Professoren verbreiten ihre Ansichten unbehelligt weiter. Und bei den Basler Urban Studies wird geforscht. Aber nicht nur das. Zu den Aufgaben, die sich der Fachbereich stellt, gehört ausdrücklich “die finanzielle Unterstützung für Aktivist*innen und Basisorganisationen [. . .], die sich in spezifischen Kursen für Racial Justice sowie Soziale Gerechtigkeit und Umweltgerechtigkeit einsetzen”. Zu den Begünstigten gehören NGO oder Initiativen, die mit politischen Gruppierungen zusammenarbeiten.
Viel Aktivismus also. Und wenn Forschung betrieben wird, ist Vorsicht geboten. In einer Publikation des Fachbereichs stellt ein Autor die Behauptung auf, im Westjordanland setze die “Besatzungsmacht” Israel bewusst Wildschweine aus, um die Ernten der palästinensischen Bauern zu zerstören. Beweise für die Behauptung werden keine vorgelegt, hinterfragt wird sie auch nicht. Sie gehört zu den Legenden, die von palästinensischer Seite immer wieder vorgebracht werden. In der “Urban-Studies”-Publikation wird sie unbesehen übernommen. In einem Text, der den Anspruch erhebt, wissenschaftlich zu sein.
Wenn die Fakultät ein derartiges politisches Manifest als Leitlinie für wissenschaftliches Arbeiten akzeptiert, ist tatsächlich Besorgnis angebracht.
Die Universität Basel nehme die Vorfälle “mit grosser Besorgnis” zur Kenntnis, sagt ihre Kommunikationsabteilung am Dienstag auf Anfrage. Man habe die Philosophisch-Historische Fakultät aufgefordert zu prüfen, ob bei der wissenschaftlichen Arbeit des Fachbereichs die wissenschaftlichen Standards eingehalten worden seien. Da es sich um ein laufendes Verfahren handle, könne man keine weiteren Auskünfte geben. Bei der Überprüfung sollte die Fakultät auch einen Blick auf das Commitment der Urban Studies werfen: Wenn sie ein derartiges politisches Manifest als Leitlinie für wissenschaftliches Arbeiten akzeptiert, ist tatsächlich Besorgnis angebracht.
Erschreckt hat mich die Tatsache, dass solche Fakultäten an einer Uni möglich sind, geschweige denn unterhalten werden. Vielen Dank für diesen Beitrag!
In den Universitäten der Vereinigten Staaten haben die Studenten sogar Angst zu protestieren wegen der Spitzeln, versandt von Rechten Gruppen. Es gibt im allgemeinen ein anti-intellektuelles und extremistisches Klima, auch während des Krieges Russlands mit Ukraine.
https://www.aljazeera.com/news/2023/11/2/advocacy-or-a-career-us-students-fear-employer-backlash-amid-war-in-gaza
https://www.aljazeera.com/news/2023/11/1/us-rights-group-urges-colleges-to-protect-free-speech-amid-gaza-war