Die Pandemie war und ist ein »Brennglas« für die Schule. Sie zeigt, wie Schule funktioniert, was sich entwickeln lässt – und was nicht.
Für mich wurde in den letzten Monaten deutlich, dass Prüfungskultur und Notengebung nicht ein notwendiges Übel oder eine Art Nebeneffekt der Schulorganisation darstellen, die durch eine Reflexion oder eine Evolution der Schulkultur verschwinden könnten.
Prüfungen sind der Kern der Schule. Die Covid-Krise hat gezeigt, das Akteur*innen im Schulbereich bereit sind, auf alles zu verzichten – nur nicht auf Präsenz und Prüfungen. Anders formuliert: Lernen ist ein Nebeneffekt in dieser Prüfungskultur. Zuerst kommt die Bewertung, dann die Frage, was und ob Schüler*innen so gut lernen können.
Zu stark geistert die Vorstellung herum, Prüfungen würden Leistung messen und Kinder einem sinnvollen Druck aussetzen, dem sie sich in einer kapitalistischen Gesellschaft ohnehin einmal stellen müssen.
Das müsste sich ändern, ist aber schwierig. Zu stark geistert die Vorstellung herum, Prüfungen würden Leistung messen und Kinder einem sinnvollen Druck aussetzen, dem sie sich in einer kapitalistischen Gesellschaft ohnehin einmal stellen müssen. Zudem sind rund um Prüfungen Parabildungsangebote entstanden – von Nachhilfeakademien über Youtube-Kanäle bis zu Eltern, die sich weiterbilden und Zeit dafür freihalten –, die davon abhängen, dass an Schulen mit Prüfungen bewertet und selektioniert wird. Wer so davon profitiert, dass Schulen so aufgestellt sind, will keine Veränderung.
Was ergibt sich für mich daraus? Ich will vermehrt über Alternativen zum bestehenden System nachdenken und weniger Energie darin investieren, Schulen zu reformieren, in denen alles von Prüfungen und Notengebung abhängt. Und ich werde nichts tun, was die Vorstellung erhält und bestärkt, Prüfungen würden Lernen ermöglichen und Leistung messen. Prüfungen gefährden Lernerfolge permanent. Und sie messen höchstens die Fähigkeit, sich einem System anzupassen. Wenn überhaupt.
Warum sollte ich einen Text von Philipp Wampfler lesen? Kommt in der Klassenarbeit nicht dran.
Wampfler behauptet, Prüfungen seien «der Kern der Schule», Lernen sei bloss «ein Nebeneffekt der Prüfungskultur». Er sieht den Beweis für diese Behauptung darin, dass in der Pandemie auf alles verzichtet werde, nur nicht auf Prüfungen und Präsenz. In der Tat, eine etwas dünne Beweisführung für eine frivole Behauptung.
Wampfler vergisst, dass der Zweck des schulischen Unterrichts in den Kantonsverfassungen und in politisch abgesegneten Lehrplänen festgelegt ist. Daraus könnte er ersehen, dass der «Kern» der Schule in der Bildung und Förderung der Kinder und Jugendlichen und ihrer Vorbereitung auf Berufsbildung und Studium besteht. Aus dem Lernen und Üben ergeben sich Kenntnisse und Fähigkeiten, die mit Tests und Anwendungen überprüft werden. Tests und Anwendungsaufgaben sind nicht als «Nebeneffekte» gedacht, wie Wampfler sich vorstellte, sondern haben ihren Sinn darin, Lernfortschritte zu dokumentieren. Sie schaffen Orientierung im Lernprozess.
Dass Tests zur Selektion verwendet werden, spricht nicht gegen Tests oder Beurteilungen, sondern allenfalls gegen deren Verwendung bei der Verteilung von Bildungschancen. Druckmittel sind nicht eigentlich die Tests, sondern die damit verbundenen Selektionsentscheide.
Wer die Herausforderung der Selektion als Motivationshilfe ablehnt, müsste allerdings erklären, wie er Teenager motivieren will, die sich im Moment überhaupt nicht für Französisch oder Mathematik interessieren, obwohl sie für ihren Bildungsabschluss Kenntnisse in diesen Fächern nachweisen müssen. Toll, wenn es Herrn Wampfler gelingen sollte, eine Klasse von pubertierenden Volksschülerinnen und Volksschülern ohne Noten rein intrinsisch dafür zu motivieren!