Als Mutter und als langjährige Elternrätin kam ich automatisch mit Schul- und Bildungsthemen in Berührung. Mit dem Eintritt in die aktive Politik verschob sich dann der Blickwinkel in Richtung Rahmenbedingungen, unter welchen Bildung stattfindet. Es ist wichtig, sich nicht nur von den eigenen Erfahrungen leiten zu lassen, sondern sich grundsätzlicher mit Bildungsprozessen auseinanderzusetzen. Ein Beispiel dafür war das damals neu eingeführte Fremdsprachenprojekt «Passpartout», mit dem meine Kinder früh und spielerisch Französisch lernen sollten wie beim Erlernen einer Muttersprache. Das Stichwort hiess «Mehrsprachigkeitsdidaktik». Es war mir sofort klar, dass dies so, wie man es umsetzen wollte, nicht funktionierten konnte.
Als Bildungspolitikerin jedoch war ich gefordert, mich eingehend mit den Ursachen zu beschäftigen, die zu dieser Reform geführt hatten. Ich begann, mit Vorstössen die Narrative der neuen Sprachdidaktik in Frage zu stellen: Konstruktivismus, selbstentdeckendes Lernen, kaum Grammatik, alltagsfremder Wortschatz, kein gründlicher Aufbau, dafür Eintauchen in ein Sprachbad und dazu die Kompetenzorientierung.
Im Basler Grossen Rat stand ich damals mit meiner reformkritischen Haltung ziemlich isoliert da und wurde nur von einer verschwindenden Minderheit in meinen Forderungen unterstützt. Heute – viele Jahre später – wissen wir aber: Das Projekt «Passpartout» ist gescheitert, eine Generation von Schülerinnen und Schülern wurden als Versuchskaninchen benutzt.
Diese Erfahrungen prägen mich natürlich auch in der Auseinandersetzung zur aktuellen KV-Reform. Nach dem Lehrplan 21 sollen nun auch die Gymnasien und die Berufsbildung diesem neuen pädagogischen Mantra – der Kompetenzorientierung – zugeführt werden. Erschütternd war für mich die Erkenntnis, wie sich die Prozesse ähneln. Meist praxisferne Gremien arbeiten einen Reformentwurf aus, der eine vollkommene Abkehr bisheriger Bildungsprinzipien verfolgt. Anschliessend werden mittels eines viel zu kurzen Vernehmlassungsverfahrens die direkt Beteiligten faktisch von einer Mitsprache ausgeschlossen.
«Wir machen es so, weil es so beschlossen wurde».
Argumentativ werden die Kritikerinnen oft mit sachfremden Diffamierungen als innovationsfeindlich, altmodisch und reaktionär bezeichnet. Dabei sind die Gegenargumente alles andere als stringent: So schrieb der Bundesrat auf eine von mir eingereichte Interpellation: «Der Aufbau von Handlungskompetenzen ist seit Inkrafttreten des BBG im Jahr 2004 ein zentraler Bestandteil der Bildungspläne in der Berufsbildung». Dies begründet jedoch keineswegs den Umstieg auf Handlungskompetenzen und belegt dies auch nicht durch wissenschaftliche Erkenntnis. «Wir machen es so, weil es so beschlossen wurde».
Anschliessend beantwortete Katja Christ noch konrete Nachfragen der Redaktion:
Die Kritik bezieht sich auf den Paradigmenwechsel hin zur umstrittenen Kompetenzorientierung, mit der man seit der Einführung des Lehrplans 21 an der Volksschule bisher schlechte Erfahrungen gemacht hat. Für die Umstellung auf die Kompetenzorientierung gibt es zudem keine evidenzbasierte Grundlagen. Bereits bei der KV-Reform 2003, bei der man bei den Lehrbetrieben die Kompetenzen und ihre Leistungsbewertung eingeführt hat, sind allein in Zürich und Umgebung über 1‘000 KV-Lehrstellen verschwunden. Damals hat man das Fach «Branchenkunde» abgeschafft und Kompetenzen mit einer Bewertung eingeführt, was mit einem grossen Aufwand verbunden, aber rein willkürlich war. Die versprochene Beteiligung der Lehrbetriebe machte letztlich nur eine Viertel Note aus.
Bei der KV-Reform 2023 soll nun die Schule total umgekrempelt und alle Fächer abgeschafft werden.
Die Zeit wird wohl lediglich dazu genutzt, um die kritischen Stimmen zu beschwichtigen und pro forma kleinere Anpassungen vorzunehmen. An der umstrittenen Kompetenzorientierung wird nach Aussagen des Bundesamtes und der Projektverantwortlichen jedoch stur festgehalten.In welche Richtung müssen sich Berufslehren Ihrer Meinung nach generell weiterentwickeln, um attraktiv zu bleiben?
Die Berufslehren bewegen sich auf einem qualitativ hohen Niveau, wie diegrossartigen Erfolge bei internationalen Wettbewerben bestätigen. Ein nicht erprobter Paradigmenwechsel wird sich nachteilig auswirken und bringt sämtliche Berufslehren mit dem Projekt «Berufsbildung 2030», bei dem die KV-Reform 2023 das Pilotprojekt darstellt, in Gefahr.
Eine Erhöhung der gymnasialen Maturaquote wäre für das ausgewogene System nachteilig und würde wie in anderen Ländern evt. zu erhöhter Jugendarbeitslosigkeit führen.
Mit der KV-Reform 2023 werden vor allem die Grundlagen vernachlässigt und gleichzeitig das Fachwissen von der Kompetenzorientierung verdrängt. Die Grundausbildungszeit zusätzlich noch zu verkürzen, würde das Problem nur noch verschärfen.
Die Berufslehren sind sehr attraktiv und unser duales Bildungssystem war noch nie so durchlässig. Eine Erhöhung der gymnasialen Maturaquote wäre für das ausgewogene System nachteilig und würde wie in anderen Ländern evt. zu erhöhter Jugendarbeitslosigkeit führen.15.10.2021 / Katja Christ