Kürzlich hat die Stadtzürcher Fachstelle für Gleichstellung einen Leitfaden für gendergerechte Sprache in der Schule herausgegeben, unter Mithilfe der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH). Darin wird neben naheliegenden, aber meist überflüssigen Empfehlungen auch angeregt, im Unterricht Gendersternchen zu verwenden. Alle Umfragen, die seither öffentlich wurden, haben eine klare Ablehnung solch ungeregelter Schreibweisen ergeben. Selbst die oberste Lehrerin und der Präsident der Deutschlehrkräfte raten davon ab. Den Vorgaben des zuständigen Rats für deutsche Rechtschreibung entspricht die Empfehlung ohnehin nicht.
Trotzdem werden diese Falschschreibungen in Zürcher Schulzimmern bald Pflicht sein. Woher ich das weiss? Weil sogenannte bildungspolitische Errungenschaften in den
vergangenen Jahren stets so eingeführt wurden: an Politik und Bevölkerung vorbei, verkündet von einem exklusiven Zirkel pädagogischer Hochschulen oder Universitäten. So veröffentlicht die PHZH ihre Texte heute mit Gender-Doppelpunkt. Die Hochschule, die unsere Lehrer in korrektem Deutsch auszubilden hätte, verwendet bewusst Falschschreibungen. Und die Uni Zürich eifert ihr nach. Die Zürcher Bildungsdirektion lässt lapidar verlauten, der Leitfaden sei ja nicht verbindlich. Dass dieser rasch in Schulprogrammen landet und damit faktisch sehr wohl verbindlich wird, nimmt man in Kauf.
So wird aus einer sinnvollen Option eine faktische Pflicht, völlig unabhängig vom gewählten Familienmodell.
Anderes Beispiel, gleiches Prinzip: Im Jahr 2018 hat die Stadtzürcher Bevölkerung der Pilotphase II der Tagesschule zugestimmt. Vor der Abstimmung wurde die Tagesschule als freiwillige Wahlmöglichkeit verkauft, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Jetzt taucht im Evaluationsbericht plötzlich das Ziel auf, dass mindestens 90 Prozent der Kinder die Tagesschule besuchen sollten. Etwas, was die Bevölkerung nie beschlossen hat. Mit Anreizen und Druck wird dafür gesorgt, dass dieses Ziel auch erreicht wird. So wird aus einer sinnvollen Option eine faktische Pflicht, völlig unabhängig vom gewählten Familienmodell.
Probleme können offenbar nur gelöst werden, indem man immer mehr Geld verpulvert, immer mehr Personal ins Klassenzimmer stellt und letztlich niemand mehr für die Kinder verantwortlich ist.
Die Auflistung solcher Reformen, die vom Volk kaum goutiert würden, momentan aber trotzdem durchgedrückt werden, liesse sich lange fortsetzen: Die schleichende Abschaffung von Schulnoten und Hausaufgaben zählen dazu, aber auch neuartige Schulmodelle, bei denen gewisse Kinder kaum mehr auf die Wandtafel sehen. Das argumentative Strickmuster ist dabei meist dasselbe: Man ortet fehlende Chancengerechtigkeit, erstellt eine geeignete Studie und fordert zur Lösung des Problems «mehr Ressourcen». Probleme können offenbar nur gelöst werden, indem man immer mehr Geld verpulvert, immer mehr Personal ins Klassenzimmer stellt und letztlich niemand mehr für die Kinder verantwortlich ist.
Eingeführt wird all dies über Weiterbildungen, Handbücher oder über Fachstellen für Schulbeurteilung. Wer diese Trends nicht mitmacht – selbst wenn sie weder rechtlich zwingend noch demokratisch legitimiert sind –, wird kaltgestellt. Wer Kritik anbringt und den Gottesdienst stört, wird verhöhnt und mit Studien eingedeckt.
Dabei gibt es keinen Grund für solche Selbstgerechtigkeit: Wenn all die kumulierten Reformen der letzten zwanzig Jahre auch nur halbwegs gehalten hätten, was die Studien versprochen hatten, würden wir heute Einsteins am Laufmeter produzieren. Passiert ist das Gegenteil: Die Pisa-Resultate der Schweiz zeigen seit zehn Jahren nur noch nach unten. Wir leisten uns die zweitteuerste Volksschule der Welt. Unsere Bildungsresultate sind aber gerade noch Mittelmass. Die Ausrede ist schnell zur Hand: Schuld ist das Pisa-Studiendesign. Obwohl dieses bezüglich Methodik und Aussagekraft ziemlich allen sonst gerne zitierten Studien überlegen ist. So müssen wir uns mit Aussagen langjähriger Lehrmeister begnügen, die bei Lehrlingen zunehmend über lückenhafte Rechtschreibe- und Mathematikkenntnisse klagen und – trotz dem hochgelobten selbstorganisierten Lernen – über eine oft komplett unterentwickelte Selbständigkeit.
Bildung ist keine Hexerei. Wenn Neuerungen völlig unplausibel klingen, sind sie es meist auch – passende Studien hin oder her. Indem man aber den gesunden Menschenverstand klein macht, marginalisiert man praktischerweise auch gleich das politische Aufsichtsorgan, die Schulpflegen: Weil ohnehin nichts zu melden hat, wer bei dem bildungspolitischen Geschwurbel nicht mithalten kann, können sich diese immer weniger einbringen. So heissen sie teilweise wolkig formulierte Schulprogramme gut, ohne sich der konkreten Folgen bewusst zu sein. Die Bevölkerung soll bezahlen, aber bitte schön schweigen. Dass derweil reichere Familien private Nachhilfe organisieren oder sich aus dem System herauskaufen, nehmen wir in Kauf. Im Schulkreis Zürichberg besucht rund jedes sechste Kind eine Privatschule. In Schwamendingen nicht einmal jedes fünfunddreissigste. Rechne!
Yasmine Bourgeois, 47, ist seit 2018 Zürcher FDP-Gemeinderätin und Vizepräsidentin der für das Schulamt zuständigen Parlamentskommission. Ab diesem Sommer arbeitet sie als Schulleiterin. Die gelernte Hotelière liess sich zur Primarlehrerin ausbilden, unterrichtete während 17 Jahren und wirkte auch als Schulpflegerin. Yasmine Bourgeois ist auch Condorcet-Autorin. Der Beitrag erschien zuerst in der NZZamSonntag 22.8.21.
Was wir erleben, ist einerseits eine Entdemokratisierung der Schule durch den Ersatz der entscheidungsmächtigen Laiengremien durch Abnickergruppen ohne Kompetenzen und die Entmachtung der Lehrerkonferenzen durch eine verstärkte Hierarchisierung. Anderseits besteht eine dauernde Infiltration der Schulen mit modisch-ideologischem Pädagogikschnickschnack, verabreicht von Leuten, die den Schulalltag nicht kennen oder darin mit fliegenden Fahnen einmal untergegangen sind. Nie wird ein festgestellter Mangel sauber analysiert und dann durch geeignete Massnahmen behoben. Statt dessen werden Gesundbeter bemüht, die besserwisserisch ihre Heilslehre verkünden und diese flächendeckend durchdrücken dürfen. Resultat: Es wird nicht besser, sondern schlechter. Und schuld sind natürlich die Lehrpersonen.
Der Beitrag von Yasmine Bourgeois ist von erfrischender Offenheit und nennt die Dinge beim Namen. Unsere Bildungspolitik muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie in vielen Fragen nicht vom Fleck kommt, obwohl meist gut inszeniert stets von bildungspolitischem Fortschritt die Rede ist. Als Beispiele für Dauerbaustellen seien genannt: Chronischer Mangel an Klassenlehrpersonen mit hohem Lektionenanteil an der eigenen Klasse, gescheitertes Sonderpädagogische Konzept infolge Abschaffung der Kleinklassen, schwache Leistungen im Deutsch bei vielen Schulabgängern, überfülltes Stoffprogramm mit drei Sprachen in der Primarschule, Missachtung oder Verschweigen wissenschaftlicher Evaluationen über die Wirksamkeit erfolgreicher Lehrformen (Hattie-Studie) und entsprechender Lehrmittel.
Scheitern Reformen, dann werden in den meisten Fällen einfach mehr finanzielle Mittel gefordert, selbst wenn diese absolut unerreichbar sind. Was fehlt, ist ein ausgeprägter Pragmatismus und eine Prioritätenliste für bildungspolitisches Handeln. Bei den Hauptthemen gilt es am Ball zu bleiben. Dafür braucht es die volle Unterstützung der Lehrerverbände, die nicht locker lassen dürfen, bis sich die Situation tatsächlich bessert.