Yasmine Bourgeois - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Sun, 29 Aug 2021 07:57:37 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Yasmine Bourgeois - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 In der Volksschule hat das Volk immer weniger zu melden https://condorcet.ch/2021/08/in-der-volksschule-hat-das-volk-immer-weniger-zu-melden/ https://condorcet.ch/2021/08/in-der-volksschule-hat-das-volk-immer-weniger-zu-melden/#comments Sun, 29 Aug 2021 07:57:37 +0000 https://condorcet.ch/?p=9230 Der Einfluss einer kleinen bildungspolitischen Elite auf den Unterricht wächst, der gesunde Menschenverstand der politischen Vertreter wird marginalisiert. Das kann nicht gutgehen, meint Yasmine Bourgeois. 

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Yasmine Bourgeois, Zürich, Primarlehrerin, Schulleiterin, Gemeinderätin FDP: Wenn Neuerungen völlig unplausibel klingen, sind sie es meist auch.

Kürzlich hat die Stadtzürcher Fachstelle für Gleichstellung einen Leitfaden für gendergerechte Sprache in der Schule herausgegeben, unter Mithilfe der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH). Darin wird neben naheliegenden, aber meist überflüssigen Empfehlungen auch angeregt, im Unterricht Gendersternchen zu verwenden. Alle Umfragen, die seither öffentlich wurden, haben eine klare Ablehnung solch ungeregelter Schreibweisen ergeben. Selbst die oberste Lehrerin und der Präsident der Deutschlehrkräfte raten davon ab. Den Vorgaben des zuständigen Rats für deutsche Rechtschreibung entspricht die Empfehlung ohnehin nicht.

Trotzdem werden diese Falschschreibungen in Zürcher Schulzimmern bald Pflicht sein. Woher ich das weiss? Weil sogenannte bildungspolitische Errungenschaften in den

Die Hochschule, die unsere Lehrer in korrektem Deutsch auszubilden hätte, verwendet bewusst Falschschreibungen.

vergangenen Jahren stets so eingeführt wurden: an Politik und Bevölkerung vorbei, verkündet von einem exklusiven Zirkel pädagogischer Hochschulen oder Universitäten. So veröffentlicht die PHZH ihre Texte heute mit Gender-Doppelpunkt. Die Hochschule, die unsere Lehrer in korrektem Deutsch auszubilden hätte, verwendet bewusst Falschschreibungen. Und die Uni Zürich eifert ihr nach. Die Zürcher Bildungsdirektion lässt lapidar verlauten, der Leitfaden sei ja nicht verbindlich. Dass dieser rasch in Schulprogrammen landet und damit faktisch sehr wohl verbindlich wird, nimmt man in Kauf.

So wird aus einer sinnvollen Option eine faktische Pflicht, völlig unabhängig vom gewählten Familienmodell.

Anderes Beispiel, gleiches Prinzip: Im Jahr 2018 hat die Stadtzürcher Bevölkerung der Pilotphase II der Tagesschule zugestimmt. Vor der Abstimmung wurde die Tagesschule als freiwillige Wahlmöglichkeit verkauft, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Jetzt taucht im Evaluationsbericht plötzlich das Ziel auf, dass mindestens 90 Prozent der Kinder die Tagesschule besuchen sollten. Etwas, was die Bevölkerung nie beschlossen hat. Mit Anreizen und Druck wird dafür gesorgt, dass dieses Ziel auch erreicht wird. So wird aus einer sinnvollen Option eine faktische Pflicht, völlig unabhängig vom gewählten Familienmodell.

Probleme können offenbar nur gelöst werden, indem man immer mehr Geld verpulvert, immer mehr Personal ins Klassenzimmer stellt und letztlich niemand mehr für die Kinder verantwortlich ist.

Die Auflistung solcher Reformen, die vom Volk kaum goutiert würden, momentan aber trotzdem durchgedrückt werden, liesse sich lange fortsetzen: Die schleichende Abschaffung von Schulnoten und Hausaufgaben zählen dazu, aber auch neuartige Schulmodelle, bei denen gewisse Kinder kaum mehr auf die Wandtafel sehen. Das argumentative Strickmuster ist dabei meist dasselbe: Man ortet fehlende Chancengerechtigkeit, erstellt eine geeignete Studie und fordert zur Lösung des Problems «mehr Ressourcen». Probleme können offenbar nur gelöst werden, indem man immer mehr Geld verpulvert, immer mehr Personal ins Klassenzimmer stellt und letztlich niemand mehr für die Kinder verantwortlich ist.

Eingeführt wird all dies über Weiterbildungen, Handbücher oder über Fachstellen für Schulbeurteilung. Wer diese Trends nicht mitmacht – selbst wenn sie weder rechtlich zwingend noch demokratisch legitimiert sind –, wird kaltgestellt. Wer Kritik anbringt und den Gottesdienst stört, wird verhöhnt und mit Studien eingedeckt.

Die internationalen Vegleichsstudien bescheinigen der Schweiz nur noch Mittelmass.

Dabei gibt es keinen Grund für solche Selbstgerechtigkeit: Wenn all die kumulierten Reformen der letzten zwanzig Jahre auch nur halbwegs gehalten hätten, was die Studien versprochen hatten, würden wir heute Einsteins am Laufmeter produzieren. Passiert ist das Gegenteil: Die Pisa-Resultate der Schweiz zeigen seit zehn Jahren nur noch nach unten. Wir leisten uns die zweitteuerste Volksschule der Welt. Unsere Bildungsresultate sind aber gerade noch Mittelmass. Die Ausrede ist schnell zur Hand: Schuld ist das Pisa-Studiendesign. Obwohl dieses bezüglich Methodik und Aussagekraft ziemlich allen sonst gerne zitierten Studien überlegen ist. So müssen wir uns mit Aussagen langjähriger Lehrmeister begnügen, die bei Lehrlingen zunehmend über lückenhafte Rechtschreibe- und Mathematikkenntnisse klagen und – trotz dem hochgelobten selbstorganisierten Lernen – über eine oft komplett unterentwickelte Selbständigkeit.

Bildung ist keine Hexerei. Wenn Neuerungen völlig unplausibel klingen, sind sie es meist auch – passende Studien hin oder her. Indem man aber den gesunden Menschenverstand klein macht, marginalisiert man praktischerweise auch gleich das politische Aufsichtsorgan, die Schulpflegen: Weil ohnehin nichts zu melden hat, wer bei dem bildungspolitischen Geschwurbel nicht mithalten kann, können sich diese immer weniger einbringen. So heissen sie teilweise wolkig formulierte Schulprogramme gut, ohne sich der konkreten Folgen bewusst zu sein. Die Bevölkerung soll bezahlen, aber bitte schön schweigen. Dass derweil reichere Familien private Nachhilfe organisieren oder sich aus dem System herauskaufen, nehmen wir in Kauf. Im Schulkreis Zürichberg besucht rund jedes sechste Kind eine Privatschule. In Schwamendingen nicht einmal jedes fünfunddreissigste. Rechne!

Yasmine Bourgeois, 47, ist seit 2018 Zürcher FDP-Gemeinderätin und Vizepräsidentin der für das Schulamt zuständigen Parlamentskommission. Ab diesem Sommer arbeitet sie als Schulleiterin. Die gelernte Hotelière liess sich zur Primarlehrerin ausbilden, unterrichtete während 17 Jahren und wirkte auch als Schulpflegerin. Yasmine Bourgeois ist auch Condorcet-Autorin. Der Beitrag erschien zuerst in der NZZamSonntag 22.8.21.

 

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Abzockerei und Vetternwirtschaft im Bildungswesen https://condorcet.ch/2021/07/abzockerei-und-vetternwirtschaft-im-bildungswesen/ https://condorcet.ch/2021/07/abzockerei-und-vetternwirtschaft-im-bildungswesen/#comments Fri, 30 Jul 2021 07:10:47 +0000 https://condorcet.ch/?p=9087

Der Zürcher Kreisschulpräsident des Schulkreises Uto, Roberto Rodriguez, lässt sich von der Behörde, welcher er vorsteht, zum Schulleiter wählen und kassiert obendrauf eine Abfindung von 650'000 Fr. Der Condorcet-Blog bat die Condorcet-Autorin, Lehrerin, Schulleiterin und FDP-Gemeinderätin Yasmine Bourgeois, ihre Sicht der Dinge darzulegen.

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Yasmine Bourgeois, Mittelstufenlehrerin, Gemeinderätin der FDP in Zürich: Motion war schon lange eingereicht

Die Schlagzeile verbreitete sich schnell. Ebenso die allgemeine Empörung. Der abtretende Präsident der Stadtzürcher Kreisschulbehörde im Schulkreis Uto liess sich von seiner eigenen Schulbehörde als zukünftiger Schulleiter anstellen. Zugleich kassiert er eine überrissen hohe Abfindung in der Höhe von 650’000 Franken. Die gesetzlich verankerte Abfindung kann Rodriguez nicht angelastet werden. Höchstens, dass er sich diese, vermutlich, um Steuern zu sparen, in Raten auszahlen lassen will.

Die Abfindungen sollen verhindern, dass Politiker, welche schon länger im Amt sind, nicht zu Sesselklebern werden, aus Angst, keinen anderen Job mehr zu finden.

Die Abfindungen sollen verhindern, dass Politiker, welche schon länger im Amt sind, nicht zu Sesselklebern werden, aus Angst, keinen anderen Job mehr zu finden. Je länger man im Amt und je älter man ist, desto schwieriger wird es, sich neu zu orientieren. Bedenkt man, dass Politiker ständig unter Beobachtung stehen und bereits der kleinste Fehler von der Öffentlichkeit genüsslich kritisiert, gedreht, gewendet und verbreitet wird, könnte man argumentieren, dass Abfindungen ein Zückerchen für diese doch dann und wann unangenehme Kehrseite der Medaille darstellen dürften. Doch wer sich auf die Politik einlässt, kennt alle Vor- und Nachteile, und ein Fallschirm in dieser Höhe kann nicht mehr zeitgemäss sein und ist gegenüber den Steuerzahlern, welche in den meisten Fällen selbst nie in den Genuss eines Fallschirms kämen, ein Affront.

So reichten zwei Gemeinderäte im Jahr 2018 eine Motion ein, die forderte, Abfindungen von Behördenmitgliedern auf maximal zwei Jahresgehälter zu kürzen.

So reichten zwei Gemeinderäte im Jahr 2018 eine Motion ein, die forderte, Abfindungen von Behördenmitgliedern auf maximal zwei Jahresgehälter zu kürzen. Die Forderung wurde vom Rat mit einer Textänderung in einer abgeschwächten Form überwiesen. Der Stadtrat hätte für die Ausarbeitung einer Weisung zwei Jahre Zeit gehabt, beantragte aber eine Verlängerung bis November 2021. Gemäss Aussagen von Politikern aller Parteien dürfte aber zumindest darüber Konsens herrschen, dass in Zukunft keine so hohen Summen mehr spendiert werden.

Wie steht es aber mit dem Vorwurf der Vetternwirtschaft? Es mutet schon etwas seltsam an, wenn ein abtretender Präsident einer Behörde sich von ebendieser Behörde einen Job zuspielen lässt. Selbst wenn der Betroffene in den Ausstand tritt, kann die Befangenheit nicht aus dem Weg geräumt werden.

Der zuständige Stadtrat betont, dass er den Schritt nicht hätte verhindern können, weil die Kreisschulpräsidien mit ihren Schulkreisen praktisch autonom seien. Im ganzen Kanton Zürich stellt man sich inzwischen in immer mehr Gemeinden die Frage, in welcher Form an den Schulpflegen festgehalten werden soll.

Seit die Schulen von professionellen Schulleitungen geführt werden, die neuerdings auch für die Mitarbeiterbeurteilung die alleinige Verantwortung tragen, sind Aufgabenspektrum und Verantwortlichkeiten der Schulpflege bedeutend geschrumpft.

Seit die Schulen von professionellen Schulleitungen geführt werden, die neuerdings auch für die Mitarbeiterbeurteilung die alleinige Verantwortung tragen, sind Aufgabenspektrum und Verantwortlichkeiten der Schulpflege bedeutend geschrumpft. Bereits heute ringen die verschiedenen Parteien um geeignete Kandidaten. Mit dem Wegfall der Mitarbeiterbeurteilung wird dieses Problem in Zukunft wohl verschärft. Einige Gemeinden sind bereits zur Tat geschritten und haben eine grundsätzliche Reorganisation der Schulbehörden eingeleitet. So zum Beispiel die Stadt Winterthur. Dort wird es, sofern die Vorlage beim Volk durchkommt, in Zukunft nur noch eine siebenköpfige Schulpflege für die ganze Stadt geben, die aus sechs Mitgliedern und einem Stadtrat bestehen wird. Den Schulleitungen in den vier Stadtkreisen wird je ein Leiter Bildung vorstehen. Diese Zwischenstufe – quasi ein Schulleiter für mehrere Schuleinheiten – wurde im Kanton Zürich jüngst als Option für grössere Gemeinden eingeführt.

Ob sich so ein Modell im ganzen Kanton bewähren würde? Die Stadt Zürich ist daran, eine Behördenreorganisation durchzuführen – aufgrund von Corona mit grossen Verzögerungen.

Aus liberaler Sicht gibt es beim Modell der Stadt Winterthur nicht nur Vorteile. Die Schulleitungen werden neu Beamten unterstellt.

Aus liberaler Sicht gibt es beim Modell der Stadt Winterthur nicht nur Vorteile. Die Schulleitungen werden neu Beamten unterstellt. In den letzten Jahren haben es liberale Kreise gänzlich verpasst, Schlüsselpositionen in der Bildung zu besetzen. Der Einfluss der meist ideologisch gesteuerten pädagogischen Hochschulen auf die Entwicklungen im Bildungssystem ist daher enorm. Was die PH’s predigen, wird an der Politik vorbeigeschleust und in der Praxis kaum hinterfragt. Kreative Beurteilungssysteme, die Abschaffung von Hausaufgaben, schulische Integrationsmodelle und vieles mehr. Schliesslich klingt zügellose Reformpädagogik gut und schön – man weiss es schliesslich auch nicht besser. Wer sich auskennt, kommt von einer der zahlreichen PH’s und hat die gut klingenden, praxisfernen Theorien bereits als Religion einverleibt. Und wer sich wehrt, wird als Ewiggestriger in die Schmuddelecke gestellt. Dies alles würde eher dafür sprechen, die echte Milizfunktion der Schulbehörden beizubehalten und allenfalls zu stärken, damit in Zukunft die Bodenhaftung der Volksschule nicht noch ganz verloren geht.

 

 

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Ein “pädagogischer” Kuhhandel: Geografielektionen erhalten – dafür mehr Sensibilität bei politischen Themen https://condorcet.ch/2020/11/ein-paedagogischer-kuhhandel-geografielektionen-erhalten-dafuer-mehr-sensibilitaet-bei-politischen-themen/ https://condorcet.ch/2020/11/ein-paedagogischer-kuhhandel-geografielektionen-erhalten-dafuer-mehr-sensibilitaet-bei-politischen-themen/#respond Mon, 23 Nov 2020 05:08:13 +0000 https://condorcet.ch/?p=6994

Im Kanton Zürich soll der Geografieunterricht zugunsten der Mintfächer abgebaut werden. Dagegen wehren sich die Geografielehrer und schlagen einen "pädagogischen Kuhhandel" vor. Warum das nicht zielführend ist, erklärt uns Condorcet-Autorin Yasmine Bourgeois.

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Yasmine Bourgeois, Mittelstufenlehrerin ohne Wollsocken, Gemeinderätin der FDP in Zürich: Gesinnung erzeugen ist keine Aufgabe der Schule.

Kaum hat man den Lehrplan 21 in der Volksschule eingeführt, soll er auch schon seinen Weg in die Gymnasien finden, denn das Langgymnasium umfasst die obligatorischen Schuljahre 7 und 8.

Bedeutungsverlust der Profession

Um neu die Mint-Fächer zu stärken, sollen diese 1.5 Lektionen mehr umfassen. Weiter sollen die Fächer Informatik und Religion und Kultur eingeführt werden. Natürlich kann die Anzahl Lektionen nicht beliebig erhöht werden, ohne an anderen Orten fühlbare Abstriche zu machen. Konkret hat man die Lateinstunden und die Geografielektionen im Visier. Die angekündigte Reduzierung der Geografiestunden hat – nicht ganz unerwartet – Proteste bei den Geografielehrern ausgelöst. Das ist verständlich, denn einerseits gehört das geografische Wissen durchaus in den Humboldtschen Bildungskanon, vermittelt Orientierung und Einordnung. Andererseits geht es natürlich um den Bedeutungsverlust der Profession. Ähnlich wie unsere Bauern, die sich im Kampf um Subventionen seit längerem als Landschaftsschützer und Ökologiebeauftragte ausgeben, versuchen die Geografielehrer nun, sich als die Garanten der Nachhaltigkeit darzustellen. So zumindest argumentiert beispielsweise Lucius Hartmann, der oberste Gymilehrer der Schweiz. Er schlägt vor, die Lektionen, welche die Gymnasien zusätzlich frei verteilen können, den Geografen zuzuteilen, vorausgesetzt, sie verpflichten sich dazu, Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in ihren Lehrplan aufzunehmen.

Es ist obsolet, wenn Lucius Hartmann den Geografielehrern verspricht, dass  ihre Lektionenzahl wieder erhöht werden, wenn sie bereit seien, BNE in ihren Lehrplan aufzunehmen – sie müssen es ohnehin tun.

Die BNE ist offizielles Staatsziel der Schweiz und in der Bundesverfassung verankert. Der Lehrplan 21 der Volksschule hat BNE ebenfalls integriert. Insofern ist es obsolet, wenn Lucius Hartmann den Geografielehrern verspricht, dass  ihre Lektionenzahl wieder erhöht werden, wenn sie bereit seien, BNE in ihren Lehrplan aufzunehmen – sie müssen es ohnehin tun.

Die Ansicht, dass eine Kürzung der Geografielektionen nicht sinnvoll ist, teile ich. Aber nicht der Nachhaltigkeit wegen. Das bedarf sicher einer tiefer gehenden Begründung.

Auf der Internet Seite von Education 21 werden Inhalte und Fragestellungen von BNE wie folgt definiert:

SchülerInnen setzen sich mit Lebensstilen auseinander

«BNE ist kein neues Fach, sondern knüpft an viele aktuelle Themen an, die in der Schule etabliert und im Lehrplan verankert sind. […] Die Schülerinnen und Schüler setzen sich unter Einbezug globaler/lokaler und zeitlicher Entwicklungen mit Lebensstilen auseinander und damit mit überfachlichen Themen wie beispielsweise Ernährung, Mobilität und ressourcenschonende Technik oder Konsum. BNE beinhaltet und lanciert neue Inhalte und Fragestellungen und bezieht zur Zielerreichung weitere überfachliche Bildungszugänge mit ein wie zum Beispiel UmweltbildungGlobales LernenGesundheitsförderungPolitische Bildung und Menschenrechtsbildung sowie ökonomische Bildung

Wir sind uns wohl alle einig, dass BNE seine Berechtigung in den Lehrplänen hat. So werden diese Themen insbesondere in der Volksschule auch begeistert von den Lehrpersonen aufgenommen und entsprechend in den Unterricht miteinbezogen.

Verschiedene Wege bei der Umsetzung

Die Frage stellt sich nun, wie diese Inhalte in den Schulen vermittelt werden. Hier gibt es verschiedene Wege.

Mit der Legitimation der Verfassung und der Lehrpläne fühlen sich Lehrkräfte frei, ihre von der politischen Ausrichtung gefärbte Meinung in ihren Unterricht einfliessen zu lassen. Spricht man sie darauf an, ist die Antwort voraussehbar. Nämlich, es sei klarer Auftrag, dies im Unterricht zu thematisieren.

Unterstützt werden sie dabei von Unterrichtsmaterialien, deren Eindeutigkeit kaum etwas zu wünschen übrig lässt, wie untenstehende Ausschnitte dokumentieren:

«Wer ohnehin schon viel hat, profitiert von der Globalisierung, wer dagegen wenig hat, gerät noch mehr unter wirtschaftlichen Druck.»

«Wir werden durch Medikamente versklavt», statt uns gesund zu ernähren.

«Chemiemultis machen Farmer abhängig. Monsanto etwa ist ein Hersteller von «trojanischer Saat», der seine Gegner «finanziell fertig» macht. Seine Gegner dagegen sind «Helden»».

«NGOs» fordern «Wohlstand für alle statt Reichtum für wenige». Sie verlangen deshalb Regeln, «die allen Menschen ein gutes Leben ermöglichen». Und wollen eine Wirtschaft, «in der nicht nur der Gewinn im Zentrum steht, sondern auch Mensch und Umwelt».

«Autofahrer sind «Anerkennungs-Typen». «Ein Auto zu besitzen, ist mehr als nur ein eigenes Fortbewegungsmittel zu haben. Ein Auto ist Statusobjekt, ein Symbol. Damit zeige ich, dass ich es im Leben zu etwas gebracht habe, selbständig bin, Geld besitze usw.»

Solche Inhalte sind schlicht und einfach nicht politisch neutral. Stehen sie so in einem Lehrmittel, entspricht das nicht der gesetzlich verankerten politischen Neutralität. Schulamt und Volksschulamt sehen unverständlicherweise keinen Handlungsbedarf und schieben die Verantwortung an die Lehrer ab. Es sei Aufgabe der Lehrpersonen, diese Inhalte neutral wiederzugeben.

Keine Frage, Lehrer sind nicht neutral und sie müssen es auch nicht sein. Es geht um Mündigkeit.

Neugier wecken und nicht indoktrinieren

Keine Frage, Lehrer sind nicht neutral und sie müssen es auch nicht sein. Aber sie müssen professionell handeln, das heisst, sie müssen die Kinder befähigen, durch Unterricht Zusammenhänge zu verstehen, ihre Neugier wecken, wissenschaftliche Denkweisen zu entwickeln. Kurzum: Sie müssen die Kinder zu mündigen Menschen erziehen, die sich ihre Meinung später selber bilden können.

Indoktrination, Umerziehung, Bombardierung mit einschlägigem Filmmaterial ist hier nicht vorgesehen und vor allem auch nicht nachhaltig. Häufig bewirkt ein solcher Unterricht das Gegenteil von dem, was man eigentlich beabsichtigt.

Dem geneigten Leser und auch den BefürworterInnen von BNE seien auch die Verfassungsgrundsätze unseres Kantons in Erinnerung gerufen:

So heisst es im

Art. 116 Öffentliche Schulen

1 Kanton und Gemeinden führen qualitativ hochstehende öffentliche Schulen.

2 Diese sind den Grundwerten des demokratischen Staatswesens verpflichtet. Sie sind konfessionell und politisch neutral.

Aber auch im Bildungsgesetz ist die konfessionelle und politische Neutralität verankert:

  • 2. Bildungs- und Erziehungsaufgaben

1 Die Volksschule erzieht zu einem Verhalten, das sich an christlichen, humanistischen und demokratischen Wertvorstellungen orientiert. Dabei wahrt sie die Glaubens- und Gewissensfreiheit und nimmt auf Minderheiten Rücksicht. Sie fördert Mädchen und Knaben gleichermassen.

Wird die Bekundung des guten Willens zudem noch als Kompetenz gehandelt, als prüfbare und messbare Kompetenz bewertet, dann enden wir bei einem Erziehungsbegriff mit totalitärem Anspruch.

Leider werden genau auf diese Weise Kinder – insbesondere im Volksschulalter– beeinflusst.

Insofern plädiere ich zwar dafür, dass nicht bei den Geografielektionen gekürzt wird, fordere die Verantwortlichen aber dazu auf, dem Bildungsgedanken der Schule mehr Gewicht zu geben. Gesinnung zu erzeugen ist keine Aufgabe einer öffentlichen Schule und darf deshalb auch kein Lehrplanziel sein. Wird die Bekundung des guten Willens zudem noch als Kompetenz gehandelt, als prüfbare und messbare Kompetenz bewertet, dann enden wir bei einem Erziehungsbegriff mit totalitärem Anspruch.

Yasmine Bourgeois

 

 

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