7. November 2024

Jugend ohne Plot – ein Essay übers Jungsein in Coronazeiten

“Eine bessere Welt nach Corona. Was wir aus der Krise gelernt haben” war das Essay-Thema für eine Maturandenklasse. Chiara Hornemann nahm es zum Anlass darüber zu reflektieren, was es für sie heisst, in Zeiten der Pandemie und der damit einhergehenden Einschränkungen jung zu sein. Sie moniert, dass die Jungen und ihre Bedürfnisse von der Politik als letzte beachtet werden. Dabei gehe es um mehr als nur ein wenig Partyleben. Wir schenken ihr hier als junger Gastautorin gerne Gehör.

Chiara Hornemann, Maturandin an der Kantonsschule Zürich Nord: Etwas, das zur persönlichen Entwicklung gehört.

Ein Hoch auf die Zeit, in der wir per Anhalter die Städte im Nahen Osten bereisten oder mit einem spärlich renovierten, alten VW-Bus Roadtrips quer über die Balkanhalbinsel unternahmen, in bizarren Hippie-Gemeinschaften durch die Nacht tanzten oder mit intellektuellen Obdachlosen über den Sinn des Lebens philosophierten. Ein Hoch auf die Zeit, in der wir schlammgebadet auf dem endlosen Festivalgelände zelteten. Ein Hoch auf die Zeit, in der wir «Freiheit» in vollen Zügen geniessen durften – Erlebnisse, von denen die Generation Z wohl nicht erzählen werden kann. Was macht Jungsein in Zeiten einer Corona-Pandemie aus, wenn Feiern, Reisen und Lebensgenuss von staatlich verordneten Massnahmen unterbunden wird?

Doch wer genauer hinsieht, bemerkt darin eine Art «Essenz der Jugendjahre», etwas, was einfach zur persönlichen Entwicklung gehört.

Das «Loch in der Jugend», das Gefühl, etwas verpasst zu haben, ist dabei nicht zu unterschätzen: Auf den ersten Blick mag das Partyleben als reine Vergnügungsphase erscheinen, auf die man ohne Weiteres verzichten kann. Doch wer genauer hinsieht, bemerkt darin eine Art «Essenz der Jugendjahre», etwas, was einfach zur persönlichen Entwicklung gehört: Es ist die Zeit, in der man durch Erlebnisse zu Lebenserfahrung gelangt, eine Zeit, in der man Menschen kennenlernt, Freundschaften knüpft, Neues ausprobiert. Man ergründet die eigenen Grenzen, lernt sich sozial korrekt zu verhalten und bildet sich durch den Austausch mit den unterschiedlichsten Menschen eine eigene Meinung. Die Persönlichkeitsentwicklung hängt von der Gestaltung dieser Lebenszeit ab! Was passiert mit uns Jungen von heute, denen eine solche Chance genommen wird? Depressionen nehmen deutlich zu, Langeweile führt zum Stressaufbau und zu aggressiven Entladungen. Verwunderlich ist das nicht, doch wird auch etwas dagegen unternommen?

Mini- und Nebenjobs, von denen viele Studenten abhängen, sind von einem auf den nächsten Tag gestrichen, Praktika abgesagt worden.

Stark betroffen, wenig beachtet

Für die Wirtschaft ist der Staat rasch zur Stelle

Die Altersgruppe zwischen 17 und 22 Jahren ist von den Pandemiemassnahmen mit am härtesten betroffen. Für sie gab es die radikalsten Veränderungen, und doch werden ihre Bedürfnisse und Probleme am wenigsten beachtet. Um die Wirtschaft und die Leidtragenden der Geschäftsschliessungen zu unterstützen, war der Staat rasch zur Stelle: Kredite, Kurzarbeitergeld und Sozialhilfe sorgen dafür, die wirtschaftliche Situation zu sichern. Und wo ist die Hilfestellung für die Jungen? Der Staat hat ja bewiesen, wie schnell und effizient er handeln kann. Aber die Prioritäten liegen ganz klar woanders, als bei den Bedürfnissen der Nachfolgegeneration. Natürlich, die Versorgung der Schwerkranken hat im ersten Moment Vorrang. Doch die Probleme, mit denen die Jugend sich konfrontiert sieht, werden auch nach so vielen Monaten der Pandemie nicht ernsthaft debattiert. Mini- und Nebenjobs, von denen viele Studenten abhängen, sind von einem auf den nächsten Tag gestrichen, Praktika abgesagt worden. Zu reden wäre von den etlichen Lehrstellengesuchen, die abgelehnt wurden. Dafür hat das Parlament bisher kein Auge. Das Paradoxe dabei: Es wird zuerst denen geholfen, die schon etwas haben: den Firmen, den Angestellten, dem Fundament des Schweizer Wohlstands. Denen, die dazu noch nicht unmittelbar beitragen, also dem 19-jährigen Maturanden, der ein Austauschsemester in Australien geplant hat, helfen die Entscheidungen des Bundesrats nicht.

Unter den Jugendlichen macht sich eine gewisse Angst und Ungewissheit über die Zukunft breit. Und es ist nicht das erste Mal, dass die Sorgen der Jugendlichen unter den Teppich gekehrt werden; auch in der Klimakrise, die scheinbar auch wieder auf Eis gelegt wurde, mussten sich die Jungen erst lautstark Gehör verschaffen und Druck ausüben, bis sich die Schweizer Politik mit dem Thema befasst hat. Sie hat aber anscheinend keine Lektion daraus gezogen, dass sich ihre Sorgen später als international zu bekämpfendes Problem offenbart haben. Nein, sie begeht denselben Fehler noch einmal und schenkt Jugendlichen und ihren Bedürfnissen kein Gehör.

Der Altersmeridian liegt in der Schweiz bei 42, der Bundesrat liegt darüber.

Das liegt nicht zuletzt an der Unterrepräsentation der Jüngeren bei der politischen Entscheidungsgewalt. Der Altersmedian liegt momentan bei gut 42 Jahren. Das Alter einer grossen Mehrheit der Bundesräte liegt über diesem Wert. Das wäre grundsätzlich kein Problem, doch wenn der Wille nicht da ist, die Sorgen der Generation Z ernst zu nehmen, dann ist es höchste Zeit, die politische Partizipation auch für Jüngere zugänglich zu machen. Wie wäre es da mit einer Jugendlobby? Skigebiete, Fluggesellschaften und Gastro-Bereiche haben eine mächtige Lobby, die sich für ihre Interessen in der Politik einsetzt. Eine Lobby für die Jugend ist dagegen inexistent. Ein Ort, an dem die Jugend ihre Anliegen, Ängste und Probleme geltend machen kann, die dann auch präventiv behandelt und beachtet werden, wäre bitternötig.

Heutzutage werden die Jungen erst zum Thema, wenn sie selbst zum Problem werden.

Heutzutage werden die Jungen erst zum Thema, wenn sie selbst zum Problem werden. Zum Beispiel weil man in ihnen wegen ihres Sozialverhaltens den Hauptverteiler des Virus sieht. Die Erwartung, als junge Generation die Verantwortung über die ältere Generation zu tragen, wird dabei als selbstverständlich angesehen. Selbstverständlich ist das aber vor allem dann nicht, wenn man das Gefühl hat, dass das Verantwortungsbewusstsein nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Wo ist die Verantwortung gegenüber den Jungen?

Die körperlichen Beschwerden bei einer Viruserkrankung sind für die wenigsten ein Problem, doch die psychischen Folgen, die mit der Isolierung, dem fehlenden sozialen Kontakt und Austausch einhergehen, sind auf keinen Fall minderwertiger!

Jugendliche zeigen sich mehrheitlich verantwortungsvoll.

Die Coronakrise hat gezeigt, dass wir es mit einer verantwortlich handelnden, einer «seriösen» Generation zu tun haben, junge Leute, die zum Schutz der Allgemeinheit die Sicherheitsmassnahmen einhalten, die selbstverständlich Masken tragen, die über lange Zeit ihre Bildung zuhause selbst organisieren, die für die Grosseltern den Einkauf erledigen, sich kümmern, wo es nötig ist – die aber auch eins ihrer wertvollsten Jahre aufopfern, möglicherweise sogar zwei. Die körperlichen Beschwerden bei einer Viruserkrankung sind für die wenigsten ein Problem, doch die psychischen Folgen, die mit der Isolierung, dem fehlenden sozialen Kontakt und Austausch einhergehen, sind auf keinen Fall minderwertiger! Es ist deshalb umso wichtiger, auch die Jungen zu unterstützen, ihre Anliegen anzuhören, ihnen eine Stimme zu geben und eine Lösung für ihre ernstzunehmenden Probleme zu finden.

Schliesslich spielen wir hier alle mit unserer Zukunft!

 

Chiara Hornemann

 

Quellen:

https://www.sueddeutsche.de/politik/corona-krise-der-staat-vergisst-die-jungen-1.5133466

https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/wer-im-bundesrat-zu-kurz-kommt-die-tessiner-sind-es-nicht-ld.1293222

 

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