Alain Pichard zeigt differenziert auf, wie Projektunterricht gelingen kann. Dabei unterstreicht er, dass ein Grabenkrieg zwischen den Anhängern gegensätzlicher didaktischer Konzepte zu vermeiden ist. Das kann ich voll unterschreiben. Ich finde allerdings, dass in seinem Beitrag die Ausgangslage für die Kritik am Gruppenunterricht etwas verwischt worden ist. Es ist nicht der qualitativ gute Projektunterricht, der zur Diskussion steht, sondern die überzogenen Erwartungen an das selbständige Lernen und der gleichzeitige Abbau bei bewährten Lernformen. Da ist wirklich einiges aus dem Ruder gelaufen.
Projektunterricht unter falschen Voraussetzungen scheitert
Allzu häufig wird ausgerechnet dort, wo Gruppenarbeiten erfahrungsgemäss wenig Wirkung zeigen, diese Unterrichtsform in unzähligen Lektionen eingesetzt. Dieses wenig reflektierte didaktische Vorgehen ist leider so weit verbreitet, dass für die Volksschule ein erheblicher Schaden entstanden ist. Ich kenne viele Lehrpersonen, die zutiefst verunsichert sind, weil ihr Unterricht von Fachstellen abwertend als “veralteter Frontalunterricht” taxiert wurde. Bedenklich bei der ganzen Sache ist, dass unterdessen das neue Dogma von der Überlegenheit des selbstorganisierten Lernens an manchen Schulen widerspruchslos akzeptiert wird.
Setzt man aber zu früh mit anspruchsvollen Gruppenarbeiten ein, kommen viele Schüler kaum auf einen grünen Zweig.
Meine Erfahrung geht dahin, dass der Projektunterricht erst gelingt, wenn die Schüler über eine gefestigte Arbeitshaltung und solide Basiskompetenzen verfügen. Setzt man aber zu früh mit anspruchsvollen Gruppenarbeiten ein, kommen viele Schüler kaum auf einen grünen Zweig. Wer am Ende auch noch das Üben schwieriger Kompetenzschritte vollständig einer Gruppe überlässt, kann sein blaues Wunder erleben. Ich erinnere mich noch gut an eine Studentengruppe, die geknickt in unserem Lehrerzimmer sass und völlig ratlos wirkte. Auf meine Frage, was sie so bedrücke, kam heraus, dass die Gruppe von ihrem Mentor den Auftrag erhalten hatte, in ihrem Praktikum weitgehend auf direkte Instruktion zu verzichten! Das ist natürlich didaktischer Unfug erster Güte.
Völlig offener Wettbewerb um die didaktische Krone
Heikel wird es, wenn der Projektunterricht zum Vornherein die Krone für den besten didaktischen Weg erhält. Zweifellos verlangen themenverschiedene Gruppenarbeiten in den Realien oder ein grosses Theaterprojekt viel didaktisches Geschick. Diese Herausforderung stellt sich nicht zuletzt in Abschlussklassen, wo die im langjährigen Unterricht erworbenen Kompetenzen in freierer Form zur Anwendung kommen sollen. Wenn dies dem Ziel dient, den Schülerinnen und Schülern auf dem Weg zur Selbständigkeit nochmals einen Schub zu geben, darf man sicher von einem krönenden Abschluss sprechen. Doch wäre es verfehlt, den bewährten und erfolgreichen Klassenunterricht im Rückblick in irgendeiner Weise abzuwerten. Eine aufwändige Physikstunde mit anschaulichen Experimenten oder eine packende Geschichtsstunde aus dogmatischen Gründen in den zweiten Rang zu versetzen, schiesst völlig am Ziel vorbei.
Bewusst oder auch gedankenlos wird mit dem Schlagwort vom rückständigen „Frontalunterricht“ der gemeinsame Klassenunterricht verunglimpft.
Leider scheint trotz der Hattie-Studie, welche einer überzeugenden direkten Instruktion gute Noten erteilt, die Lehrerbildung lieber mit höchst anspruchsvollen didaktischen Konzepten zu liebäugeln. Bewusst oder auch gedankenlos wird mit dem Schlagwort vom rückständigen „Frontalunterricht“ der gemeinsame Klassenunterricht verunglimpft. Statt die Kunst des anschaulichen Erklärens und Erzählens zuerst einmal gründlich zu üben, werden Studierende vermehrt angehalten, für die Schüler individuelle Wochenpläne zu entwickeln und daneben Lernprozesse in Gruppen zu gestalten. Dabei wird gern unterschätzt, wie viel Anstrengung es überhaupt braucht, bis in jedem Fach die spezifischen Lernmethoden den Schülern bekannt sind.
Im Wissen um die nach wie vor grosse Bedeutung des gemeinsamen Unterrichts lohnt es sich, die Lehrerbildung wieder stärker auf die in der Praxis am häufigsten verwendeten didaktischen Konzepte auszurichten.
Investitionen in besseren Klassenunterricht sind wirkungsvoller
Alain Pichard schreibt, dass er drei Viertel seines Unterrichts in den Abschlussklassen dem gemeinsamen Klassenunterricht zuordnen würde. In der Praxis sind das zwar nicht reine Lektionen mit ausschliesslich direkter Instruktion. Darin enthalten sich auch Phasen mit Partnerarbeiten, längeren Trainingssequenzen und Eigentätigkeit im gestalterischen Bereich. Doch der Anteil des eher traditionellen Unterrichts bleibt verhältnismässig hoch. Ein Nachteil ist dies sicher nicht. Im Wissen um die nach wie vor grosse Bedeutung des gemeinsamen Unterrichts lohnt es sich, die Lehrerbildung wieder stärker auf die in der Praxis am häufigsten verwendeten didaktischen Konzepte auszurichten. Das bringt für den Schulerfolg weitaus mehr, als alles in die risikoreiche Kür des Projektunterrichts zu investieren. Selbstverständlich bleibt die Förderung des intrinsisch motivierten Lernens ein ganz grosses Bildungsziel, doch dafür muss nicht über Jahre hinweg der halbe Unterricht auf den Kopf gestellt werden.
Die aktuelle Projekt-Euphorie hat bei manchen Neueinsteigenden zu einem belastenden Praxisschock geführt.
Die aktuelle Projekt-Euphorie hat bei manchen Neueinsteigenden zu einem belastenden Praxisschock geführt. Diese unschöne Erfahrung muss wirklich nicht sein. Jüngere Lehrpersonen sollen ermutigt werden, in voller Freiheit die besten Wege für erfolgreiches Unterrichten zu finden. Abwertende Etikettierungen bewährter Methoden gilt es entschieden zurückzuweisen. Sorgen wir dafür, dass jüngere Kolleginnen und Kollegen wieder ohne indoktrinierte Gewissensbisse ins aufregende Abenteuer Schule einsteigen können.
Fehraltorf, 7. Sept. 2020
Hanspeter Amstutz