30. Dezember 2024

Alain Pichard im Kulturplatz – Das vollständige Interview: Der Mensch lernt durch den Menschen

Es gab viele Vorgespräche und grosse Vorbereitungen, bis der SRF-Journalist Richard Herold mit seinem Kameramann einen insgesamt fünfstündigen Arbeitseinsatz am OSZ-Orpund absolvieren konnte. Im Vorfeld beantwortete Condorcet-Autor Alain Pichard schriftlich einige Fragen und gab auch bei den Filmaufnahmen ein 20-minüitges Interview. Heraus kam ein 10-Minutenbeitrag, der die wichtigen Punkte streifte und auf Zuspitzung bedacht war. Dass Alain Pichard die digitalen Medien intensiv nutzt, beweist er nicht nur mit seiner Arbeit an unserem Bildungsblog, sondern auch in seinen ausführlichen Antworten, die er hier unserer LeserInnenschaft vorstellt.

Bilanz der Corona-Wochen im Lockdown – was hat die Schule gelernt in dieser ausserordentlichen Zeit? Wie erlebten Sie diese Zeit?

Für mich war es eine spannende, intensive und hochinteressante Zeit, in der ich viel gelernt habe. Und die Schule hat getan, was sie konnte. Manchmal besser, manchmal weniger gut. Im Großen und Ganzen ziemlich unaufgeregt und mehrheitlich professionell. Die wichtigste Erkenntnis aus der Corona-Zeit ist eine an sich bekannte: dass Erziehen und Bilden, Schule und Unterricht immer in Beziehungen stattfindet, dass die Lehrerinnen und Lehrer mit ihrer ganzen Persönlichkeit, mit ihrer Betreuung und den persönlichen Rückmeldungen entscheidend für das Gelingen von Lernprozessen sind. Der Mensch ist des Menschen Lehrer oder Lehrerin. Medien können Vermittlungsprozesse unterstützen und begleiten, vor- oder nachbereiten, aber es braucht immer den Dialog.

Ausserdem bin ich zur Überzeugung gekommen, dass für Phasen des Fernunterrichts mehr, nicht weniger qualifizierte Lehrkräfte gebraucht werden. Die Gruppen müssen kleiner sein, es braucht viel mehr Kleingruppengespräche bis hin zur Einzelbetreuung. Fernunterricht ist personalintensiv und gewiß nicht geeignet, um (Personal-)Kosten zu sparen. Was man aus der Erwachsenenbildung weiß – Fernunterricht gelingt durch klare Ziele, feste organisatorische und zeitliche Strukturen und eine Bindung durch persönliche Betreuung – gilt in noch viel stärkerem Maße für den Fernunterricht mit Kindern.

Und als drittes: Für die Primarschulen ist Fernunterricht eine extreme Belastung und Zumutung für alle Beteiligten und von Grund auf ungeeignet.

Wie erlebten Sie diese Zeit? Was hat gut funktioniert – was nicht so? 

Digitalunterricht ist automatisiertes Lernen

Im Grunde zeigt sich, was auch im Präsenzunterricht gilt: Schülerinnen und Schüler, die sich und ihre Zeit gut organisieren können, kommen bei klaren Aufgabenstellungen und regelmäßigem Feedback halbwegs gut zurecht. Das Soziale fehlt, alles Menschliche, aber wer familiär gut eingebunden ist, übersteht solche Auszeiten ordentlich. Wer mehr Unterstützung und Führung braucht, fällt im Fernunterricht schneller und noch stärker zurück. Fehlt die Unterstützung zu Hause, wird es schnell kritisch.

Unterschiedliche Lerntypen und -geschwindigkeiten hat man in jeder Klasse, jeder Unterricht ist binnendifferenziert, das Zwischenschalten von Lernmedien und digitaler Kommunikation wirkt im Prinzip nur als Verstärker bekannter Phänomene.

Technisch vermittelte Hilfe ist immer distanziert, unpersönlich, weniger ganzheitlich, weil niemand körperlich präsent ist. Körperliche Präsenz ist aber elementar, um direkt aufeinander reagieren zu können.

Was gar nicht funktioniert, ist die tatsächliche Interaktion, bei der man jemandem über die Schulter und ins Gesicht schaut, auf einem Übungsblatt etwas vorrechnet oder zeichnet oder kurz gesagt: die direkte und ganz persönliche Ansprache und Hilfestellung am Sitzplatz. Technisch vermittelte Hilfe ist immer distanziert, unpersönlich, weniger ganzheitlich, weil niemand körperlich präsent ist. Körperliche Präsenz ist aber elementar, um direkt aufeinander reagieren zu können.

Was sind für Sie die wichtigsten Learnings – was nehmen Sie mit? 

Arbeitsplatz einer Schülerin während der Fernschulung

Die wichtigste Erkenntnis ist, dass auch eine gute technische Ausstattung wie an den meisten Schweizer Schulen nur ein Hilfsmittel in Pandemie-Zeiten sein kann, manches erleichtert, etwa den Dokumentenaustausch, aber dass Lernprozesse immer ein persönliches Gegenüber brauchen. Die Anfangseuphorie des „Schule vom Sofa aus“ verebbt schnell. Eine Videokonferenz nach der anderen führt fast automatisch zum Abschalten, nicht nur der Kamera. Auch Diskussionen in Kleingruppen wirken zunehmend steril, da Kamera und Mikrofon nur akustische und visuelle Signale übertragen, aber kein echtes Miteinander ermöglichen. Alles bleibt zweidimensional und technisch vermittelt.

Zum Denken-Lernen als Ziel von Lehre und Unterricht brauchen wir aber ein menschliches Gegenüber, den direkten Dialog. So jedenfalls Immanuel Kant im Text „Was heißt: sich im Denken orientieren?” (1786). Sonst bekämen wir nur leere Köpfe, die zwar das Repetieren (heute: Bulimie-Lernen) trainieren, aber nicht selbständig denken und Fragen stellen könnten. Anderes formuliert: Schulen sind nur als Präsenzschulen echte Schulen. Alles andere sind Hilfskonstruktionen für den Notfall.

Und für die Schülerinnen und Schüler wage ich zu behaupten: Viele von ihnen haben entdeckt, dass man auch zu Hause für die Schule arbeiten kann. Sie haben Arbeitsplätze eingerichtet und lange Zeit an Aufträgen gearbeitet. Das ist sicher ein positiver Aspekt.

Und für die Schülerinnen und Schüler wage ich zu behaupten: Viele von ihnen haben entdeckt, dass man auch zu Hause für die Schule arbeiten kann. Sie haben Arbeitsplätze eingerichtet und lange Zeit an Aufträgen gearbeitet. Das ist sicher ein positiver Aspekt.

Eine Studie besagt, dass ein Drittel der Schüler besser, ein Drittel gleich gut und ein Drittel während der Fernschulung weniger gelernt hätten. Wie stehen Sie dazu? 

Eine umfassende Studie der OECD aus dem Jahre 2012 zeigt ernüchternde Resultate

Ich staune immer wieder, wie schnell solche Studien auf den Markt kommen und wie unkritisch sie von den Journalisten kolportiert werden. Bei solchen Studien gilt doch immer nachzufragen: Was heisst „mehr gelernt“? Handelt es sich um eine Befragung oder eine Output-Auswertung?  Für welche Schüler gilt dies? Oder besser: Wer hat an dieser Umfrage teilgenommen? Gab es Kontrollgruppen? Wer hat die Studie in Auftrag gegeben? und so weiter. Ich kann Ihnen aber eine OECD-Studie empfehlen, in der alle Methoden transparent sind. Die Daten wurden 2012 erhoben und 2015 veröffentlicht. Diese Studie wurde von der FAZ als „zweiter PISA-Schock“ kommentiert, weil sie ergab, dass Schülerinnen und Schüler, die intensiv mit den digitalen Medien lernten, wesentlich schlechtere Ergebnisse erreichten als ihre Kontrollgruppe.

Inwiefern hat sich Ihre Position gegenüber digitalen Mitteln verändert? 

Digitale Medien sind seit über 30 Jahren in Schulen im Einsatz, es wurde vieles ausprobiert und jetzt in der Covid-19-Zeit vieles aus dem Berufsleben und der Erwachsenenbildung übernommen. Dabei hat sich ganz klar gezeigt, dass Schülerinnen und Schüler weder Erwachsene noch Arbeitnehmer sind – und es ja auch (noch) nicht werden sollen, solange man Bildungseinrichtungen als solche begreift – und nicht nur als Zurichte-Anstalten für den Beruf.

Es gibt durchaus Gebiete und Themen, in denen digitale Medien dem klassischen Unterricht überlegen sind. Darauf sollte man zurückzugreifen oder in die konstruktive Medienproduktion einsteigen (Videos produzieren, PP herstellen, webbasierte Produkte kreieren). Zum Wörtchen-Lernen, Wortarten-Üben, Umrechnungen-Üben oder Texte-Verfassen sind die digitalen Tools echt nutzbringend. Aber das wussten wir schon vor dem Homeschooling.

Das heißt, dass digitale Medien, die im Kern nichts anderes sind als Automatisierungstechniken, gezielt eingesetzt werden, dagegen alle Automatisierungstendenzen beim Lernen und Prüfen vermieden werden sollen: ein Widerspruch schlechthin.

Bezüglich Pädagogik und Didaktik sind aber viele Angebote in den Lernportalen trotz ihrer zum Teil beeindruckenden Technik ausserordentlich bieder, wenn nicht sogar reaktionär.

Es gibt durchaus Gebiete und Themen, in denen digitale Medien dem klassischen Unterricht überlegen sind. Darauf sollte man zurückzugreifen oder in die konstruktive Medienproduktion einsteigen (Videos produzieren, PP herstellen, webbasierte Produkte kreieren). Zum Wörtchen-Lernen, Wortarten-Üben, Umrechnungen-Üben oder Texte-Verfassen sind die digitalen Tools echt nutzbringend. Aber das wussten wir schon vor dem Homeschooling. Bezüglich Pädagogik und Didaktik sind aber viele Angebote in den Lernportalen trotz ihrer zum Teil beeindruckenden Technik ausserordentlich bieder, wenn nicht sogar reaktionär. Pädagogische Konzepte für den Einsatz von – analogen wie digitalen – Medien im Unterricht haben immer den Menschen und seine Lernprozesse im Blick, nicht Mess- und Prüfbarkeit.

Grundsätzlich sehen Sie die Rolle des Pädagogen in Gefahr – nur noch „Coach”, „Controller” – können Sie das etwas näher ausführen.

Die Frage ist auch hier: Welche Aufgabe hat ein Pädagoge, eine Pädagogin? Die traditionelle Antwort: Junge Menschen zur Freiheit zu führen, das geht nur über Lernen und Verstehen. Das wiederum geht nur über Beziehung und Dialog. Das funktioniert nur im Miteinander.

Ich bin überzeugt, dass unsere Gesellschaft besser damit fährt, die Unterrichtsprozesse nicht an Algorithmen zu delegieren.

Was technisch abgebildet werden kann, ist nur das Auswendiglernen von Repetitionswissen, das dann auch automatisiert abgeprüft werden kann. Der ehemalige Leiter des MIT, Rafael Reif, formulierte im NZZ-Interview (2015): „Die Ausbildung bei uns besteht aus drei Komponenten. Erstens: das Lernen von bestehendem Wissen. Zweitens: das Verbessern von bestehendem Wissen. Drittens: die Anwendung des Wissens, um etwas Neues zu schaffen. Den letzten Punkt nennt man Innovation. Digitales Lernen können wir nur für den ersten Teil nutzen.

Online-Aufträge – verkappte Arbeitsblattitis

Aber wir gewinnen damit mehr Zeit für die beiden anderen Komponenten.“ Punkt Zwei ist das Arbeiten im Seminar oder im Klassenzimmer. Auch hier stellt sich wieder die Frage: Welche Aufgabe, welche Funktion hat Schule? Wer sich nur als Lernbegleiter oder Lerncoach begreift, sorgt dafür, dass Kinder und Jugendliche an ihre Lernstationen gehen und dort ihr Pensum abarbeiten, greift nur ein, wenn etwas nicht funktioniert. Die Metapher dazu ist: Produktion von Wissen wie in einer Fabrik Waren produziert werden; der Nürnberger Trichter in digitaler Version. So funktioniert vielleicht das Bulimie-Lernen, aber daraus werden weder Verstehen noch Persönlichkeitsentwicklung. Fazit: Ich bin überzeugt, dass unsere Gesellschaft besser damit fährt, die Unterrichtsprozesse nicht an Algorithmen zu delegieren.

Es kann aber doch auch durchaus ein Vorteil sein, wenn man es mit der Lehrperson einfach nicht kann?

Schlechte Lehrer sind eine Zumutung

Keine Frage: Schlechte Lehrer sind eine Zumutung. Aber schlechte Lehrkräfte machen auch keinen guten Fernunterricht. In den letzten Jahren ist viel geschehen, damit sich Schülerinnen und Schüler sowie Eltern auch wehren können. Ihre Frage suggeriert, dass neutrale Algorithmen den Unterricht übernehmen können und damit die Qualitätsunterschiede vermieden werden. Wie langweilig wäre Schule, wenn alle Lehrkräfte gleich wären? Manchmal sind auch die, an denen wir uns reiben, besonders wichtig für die eigene Entwicklung. Außerdem: Wir lernen auch von den Lehrkräften, mit denen wir gar nicht zurechtkommen, sehr viel – und sei es nur, wie man mit Menschen auskommt, mit denen man an sich nicht auskommt, aber auskommen muss. Das haben wir in der Familie, in der Klassen oder Nachbarschaft, in der Gemeinde oder am Arbeitsplatz. Wir müssen lernen, mit ganz unterschiedlichen Menschen und Charakteren und selbst mit halben Psychopathen auszukommen, weil es diese überall gibt. Die digitalen Medien sind sicher kein Ausweg.

Für mich ist klar: Wir haben während der Zeit des Homeschoolings Dinge gemacht, die in Bezug auf den Datenschutz illegal sind. Wenn man das alles in Zukunft machen will, soll man die Gesetze ändern. Sie einfach administrativ auszuhöhlen ist eines Rechtsstaats unwürdig.

Datenschutz ist ja auch immer ein Thema im digitalen Unterricht – wo sehen Sie die grössten Probleme? 

Vieles ist absolut illegal

Die größten Probleme sind:

  1. die US-Monopolstrukturen, weil US-Unternehmen auf Anfrage amerikanischer Behörden alle Daten herausgeben müssen (US Cloud Act). US-Recht bricht EU-Recht und jede kantonale Datenbestimmung; es gibt keinen Datenschutz mit US-Unternehmen;
  2. die völlige Intransparenz der Datensammlung und -auswertung, obwohl die Nutzer durch die zurückgespielten Antworten in ihrem Verhalten gesteuert werden;
  3. das lebenslange Speichern der Daten und damit die fehlende Option des Vergessens; gerade für Schülerinnen und Schüler ist es eminent wichtig, dass sie sich, z.B. nach einem Scheitern, „neu erfinden können“ und sie z.B. nach einem Schulwechsel nicht schon vorab durch ein Profil identifiziert werden, sondern sich als Person in neue Sozialstrukturen einfinden können;
  4. die ganzen unterschwelligen Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten, die mit den ganzen Psychotechniken der Benutzerführung (affective Computing, persuasive Technologies usw.) eingesetzt werden. Für diese Systeme ist man keine Person, sondern nur ein zu optimierender Datensatz, der für ein extern vorgegebenes Ziel optimiert wird (Teilziele sind z.B. möglichst lange Bildschirmzeiten, um Werbung schalten zu können, Maximierung des Konsumverhaltens usw.).

Für mich ist klar: Wir haben während der Zeit des Homeschoolings Dinge gemacht, die in Bezug auf den Datenschutz illegal sind. Wenn man das alles in Zukunft machen will, soll man die Gesetze ändern. Sie einfach administrativ auszuhöhlen, ist eines Rechtsstaats unwürdig.

Mit vielen digitalen Anwendungen sind weitgehende Formen der Überwachung möglich – nutzen Sie diese? 

Nein, was für eine Haltung steckt denn hinter dieser Frage? Die Basis für die pädagogische Arbeit ist Vertrauen. Man kann kein Vertrauen entwickeln, keine vertrauensvolle Beziehung und keine Bindung aufbauen, wenn man Lehren und Lernen über Kontrollsysteme organisiert. Man muss sich entscheiden: Arbeitet man als Pädagoge oder als Aufseher?

In den USA werden die öffentlichen Kindergärten und Schulen immer stärker digitalisiert, während die privaten die Computer aus den Klassenzimmern verbannen und Kinder für viel Geld den „Luxus der menschlichen Interaktion“ erleben dürfen, wie der Unterricht durch echte Menschen dort heißt.

Mit den Digitaltechniken ist ohne Probleme ein Benthamsches Panoptikum zu realisieren, die kleinteilige, vollständige Überwachung aller Aktivitäten aller Nutzerinnen und Nutzer. Die Instrumente dafür sind das Speichern in Big Data-Datenbanken und die algorithmisch gesteuerte Auswertung der Persönlichkeiten samt Leistungsfähigkeit, Stärken und Schwächen, eine vollständige psychometrische Vermessung usw. Das ist technisch alles machbar. Das ist die Grundlage für die sogenannte „datengestützte Schulentwicklung“ Der Begriff dafür ist Learning Analytics und bedeutet: digital gesteuerter Unterricht. Wollen wir das? Wer will das? Auch für die eigenen Kinder? (In den USA werden die öffentlichen Kindergärten und Schulen immer stärker digitalisiert, während die privaten die Computer aus den Klassenzimmern verbannen und Kinder für viel Geld den „Luxus der menschlichen Interaktion“ erleben dürfen, wie der Unterricht durch echte Menschen dort heißt; so jedenfalls die NYT).

Sind Sie nie versucht, da etwas mehr rauszuholen? 

Nicht das Messen ist das Ziel

Keine Frage, ich will mich als Lehrer ständig verbessern, aber pädagogisches Arbeiten ist kein wirtschaftlich geprägter  Optimierungsprozess, wie es mit dem „mehr Herausholen“ anklingt, weil man dafür vordefinierte Skalen und Ziele bräuchte wie im Sport. Beim Weitwurf sind 15 Meter mehr als zehn. Wir arbeiten aber mit jungen Menschen, da gibt es dieses „Mehr oder Besser als“ nur bedingt. Das klassische Unterrichten vor dem Siegeszug der empirischen Bildungsforschung hatte denn auch nicht das Messen zum Ziel, sondern das Verstehen und die Persönlichkeitsentwicklung. Das aber lässt sich weder automatisiert prüfen noch generieren, sondern dialogisch erfragen und fördern und entwickeln wie in Platons Akademie.

 

Es gibt das nationale Projekt „Edulog” – Anlauf ab August Zugang/Login zu vereinheitlichen und Schulen/Eltern Last abnehmen. Was halten Sie davon?  

Ich begrüsse alle digitalen Neuerungen, welche die Daten der Schüler respektieren. Und ich bin gespannt, welche Inhalte Edulog anbieten wird. Im Moment wird vor allem von biederen ProMotion-Filmchen „geschwärmt“.

Edulog – ein Versprechen, das eingehalten werden kann?

Das nationale Projekt „Edulog“ ist vermutlich ein typisches IT-Projekt, bei dem ganz am Anfang die Frage steht, wie man alle Aktivitäten der Nutzerinnen und Nutzer personenscharf tracken kann. Ich zitiere exemplarisch aus dem Papier eines Anbieters für Schulsoftware, dass „schulische IT ohne eine Benutzerverwaltung nicht funktionieren kann und damit ohne ein Identity- und Acess-Managment (IAM) keine Fortschritte bei der Digitalisierung im schulischen Bildungsbereich erzielt werden. Eine Vielzahl von relevanten Fragen werden mit einem IAM beantwortet: So kann damit beispielsweise ein altersgerechter Zugang ins schulische WLAN gesteuert, ein auf jede Schülerin, jeden Schüler individueller und zielgenauer Zugang zu Lerninhalten (Zuordnung von Lizenzen, Dokumentation des quantitativen und qualitativen Lernfortschritts, definierte Distributionsmöglichkeiten etc.) geregelt sowie jedwede mit Rollen und Rechten verbundene Freigabe oder der Zugang zu Inhalten, Medien und Internetseiten sichergestellt werden.“ (Univention, Handlungsempfehlungen, S. 7.) Das ist nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was in einem IAM und später der Lernmanagementsoftware (LMS) alles zur Person gespeichert ist und wie der Zugang gesteuert werden kann.

Wenn Sie einen IT-Dienstleister damit beauftragen, IT in Schulen zu etablieren, kommt als erstes so ein Tool zur eindeutigen Identifikation heraus. Damit kann man dann alle Aktivitäten an allen Geräten und übergreifend über alle Anwendungen verfolgen und so ein immer genaueres Profil erstellen.

Das ist bequem: Einmal einloggen und alles steht zur Verfügung, was man machen darf und/oder soll. Aber in diesem Profil steht eben auch, wer man ist und was man gemacht hat und machen darf. Aus pädagogischer Sicht sollte man aber immer nur und ausschließlich die (Schüler-)Daten speichern, die zur Nutzung des Systems absolut notwendig sind, ohne Profil- und Leistungsdaten. Das ist ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Und gehört nicht der Respekt vor der Person und den Rechtsgrundlagen einer demokratischen Gemeinschaft zu den Bildungszielen von Schule und Unterricht?

Die technisch affinen „Digitalisierer“ sind oft viel altmodischer als die als altmodisch diffamierten Digitalisierungskritiker.

Was müsste Ihrer Meinung nach in Sachen Digitalisierung jetzt geschehen?

In die Pädagogik investieren

Wir müssen klar zwischen Produktivitätszuwachs (digitale Möglichkeiten) und pädagogischen Zielen unterscheiden. Dort, wo die Schülerinnen und Schüler besser lernen, repetieren und üben können, soll man die digitalen Medien nutzen. Sonst sollte man vor allem in das Verstehen und das Lernen investieren, will heissen: besserer Unterricht, bessere Lehrerinnen und Lehrer, mehr inhaltliche, didaktische Weiterbildung. Ich hatte mich in den sechs Wochen der Fernschulung intensiv in den digitalen Angeboten umgesehen: technisch verlockend, grafisch teilweise eindrucksvoll, aber pädagogische Steinzeit, Frontalunterricht zum Davonlaufen, null Problemstellungen, komplett rezeptorientiert. Innovativ ist das alles nicht. Die technisch affinen „Digitalisierer“ sind oft viel altmodischer als die als altmodisch diffamierten Digitalisierungskritiker.

 

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2 Kommentare

  1. Beruhigende Erkenntnis – dass entgegen früherer Meinungen – die Lehrkräfte auch in dieser Form des Unterrichtes wichtig bleiben – coachen alleine genügt nicht!
    Die persönliche Begegnung bleibt in allen Formen des Lernens das zentrale Moment, das ganz wesentlich über Erfolg mitbestimmt.
    Diese Begegnungen im täglichen Schulbetrieb lassen sich auch durch technische „Hochrüstung“ nicht wett machen.
    Dies müsste eigentlich in der gesellschaftlichen Bewertung des Berufsstandes (endlich) seinen Niederschlag finden!

  2. Mit Interesse verfolge die Diskussion über das“ Fernlernen“ das coronabedingt an den Schulen stattfindet. Viele engagierte LehrerInnen bemühen sich redlich mit Medien (on- oder offline) eine Art Unterricht zu gestalten. Ihnen ist kein Vorwurf zu machen, dass das oft nur Stückwerk ist. Schulbücher sind kein Fernunterrichtsmaterial und das zufällige Gestalten von Onlineangeboten ohne ein durchdachtes didaktisches Design kann nur bedingt den Lernerfolg ermöglichen, zumal in Grundschulen und niedrigen Klassenstufen. Schade nur, dass oft undifferenziert Fernunterricht und Onlineangebote gleichgesetzt wird. Und ärgerlich die Schlussfolgerung ihres Artikels. Nach über 30 Jahren im Fernunterricht habe ich einen relativ guten Überblick über die Angebote nicht nur in Europa sondern weltweit. Möglicherweise hat Herr Pichard „digitale Angebote“ welcher Art auch immer untersucht, kaum aber einen qualitativen Fernunterricht der einen differenzierten, auf das jeweilige Lernziel angepasste Medienmix anbietet, auch für schulische Abschlüsse, in Europa meist um diese nachzuholen, weltweit aber häufig als einziges Angebot. Die Lernerfolge lassen sich sehen!

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