Am 23. Oktober 2019 hat der Basler Grosse Rat mit 72 gegen 12 LDP- Stimmen eine Motion an die Regierung überwiesen, die verlangt, dass in der Verordnung „über die Schulung und Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderem Bildungsbedarf“ Kleinklassen als Förderangebot wieder eingeführt werden.
Alles nur Nostalgiker?
Nach Meinung der Volksschulleitung würde es sich bei dieser Reform um „einen massiven Rückschritt“ in „frühere, oft auch leicht glorifizierte Zeiten“ handeln. Die 72 renitenten Parlamentarier aus (fast) allen Parteien müssen zerknirscht zur Kenntnis nehmen, dass sie zur offenbar unheilbaren Spezies der Nostalgiker zählen, die noch immer einer versunkenen pädagogischen Welt nachtrauern.
Und viele ehemalige Lehrkräfte haben sicher mit grösstem Erstaunen gelesen, dass die Kleinklassen „gegen Ende ihres Bestehens (…) schon damals nicht mehr angemessen auf die gesellschaftlichen Entwicklungen und Herausforderungen reagieren“ konnten.
Eine Replik geht in der Regel auf die Argumente der Gegenseite ein und versucht, sie mit Fakten zu widerlegen. Im vorliegenden Fall wird aber ausser Worthülsen und warmer Luft nichts geboten.
Die Selbstbeweihräucherung aus der Schreibstube des Erziehungsdepartements („BaZ“, 17. Dezember 2019) war wohl ursprünglich als Antwort gedacht auf den Gastbeitrag von Riccardo Bonfranchi und mir vom vergangenen Samstag, in dem wir die Abschaffung der Kleinklassen als „bildungspolitischen Irrweg“ bezeichneten. Eine Replik geht in der Regel auf die Argumente der Gegenseite ein und versucht, sie mit Fakten zu widerlegen. Im vorliegenden Fall wird aber ausser Worthülsen und warmer Luft nichts geboten.
In Anlehnung an den bekannten Dokumentarfilm „Die Wüste lebt“ (Walt Disney, 1953) beginnen Dieter Baur und Doris Ilg ihre schönfärberische Beschreibung der Basler Schullandschaft mit dem Satz „Die integrative Schule lebt.“ Zahlreiche positive Rückmeldungen aus der Lehrerschaft auf unseren Artikel zeigen dagegen eindrücklich, wie weit sich die Bildungsbürokratie von der schulischen Realität entfernt und Augen und Ohren vor den Problemen in den Klassenzimmern verschlossen hat. „Die Wirklichkeit“, zitiere ich nochmals Marcel Proust, „ dringt nicht in die Welt des Glaubens.“
Kein Wort verlieren die Bewohner des Elfenbeinturms über die blamablen Ergebnisse der ersten schweizerischen Erhebung der Grundkompetenzen in der Volksschule. Die „Neue Zürcher Zeitung“ wählte für ihren Bericht eine drastische Überschrift: „Katastrophales Zeugnis für die Basler Schulen“. (NZZ, 24.5.2019)
Blamable Ergebnisse
Zur Erinnerung: Schüler aus Freiburg, Wallis und Appenzell Innerrhoden beweisen sowohl in Mathematik wie bei den Sprachen überdurchschnittliche Kompetenzen. Die rote Laterne schwenken die Schülerinnen und Schüler beider Basel und aus Solothurn. Bei den Schülern aus Basel-Stadt leuchtet die Lampe sogar dunkelrot. In Mathematik genügt nicht einmal die Hälfte der Schüler den Anforderungen, aber auch bezüglich der Sprachkompetenzen wird weniger erreicht als in fast allen anderen Kantonen.
Merkel lässt grüssen
Das Erziehungsdepartement hat die Abschaffung der Kleinklassen und der Einführungsklassen stets damit begründet, dass sie die Forderungen des Behindertengleichstellungsgesetzes erfüllen müsse. Diese Massnahmen seien, Angela Merkel lässt grüssen, alternativlos. „Freiheitlich angelegte demokratische Strukturen“, wendet hier mein verehrter Heilpädagogik-Lehrer Emil E. Kobi ein , „vertragen sich nicht mit ekklesialen Alleinseligmachensansprüchen.“ (Heilpädagogik online 02/08)
Die UN-Konvention von Salamanca verlangte keineswegs die Liquidierung der Sonderschulen.
Stillschweigend geht die Volksschulleitung auch an unserem Einwand vorbei, dass die UN-Konvention von Salamanca aus dem Jahr 1994 an keiner Stelle die Liquidierung der Sonderschulen verlangt hat. Im Mittelpunkt der Bemühungen um Integration stehen nicht organisatorische und räumliche Fragen, sondern die Erfüllung der Bedürfnisse aller Lernenden. Es kann wohl nicht wirklich an einer UN-Konferenz in der Universitätsstadt in Kastilien-León entschieden werden, welche spezifischen Schulformen in Basel-Stadt oder Riehen notwendig und erlaubt sind.
Banalitäten und Durchhalteparolen
Zum krönenden Abschlusses eines Artikels voller Banalitäten und Durchhalteparolen werden die Verfasser nochmals unverschämt. Sie diskreditieren die fundierten Argumente zweier Heilpädagogen mit jahrzehntelanger Erfahrung als „rückwärtsgerichteten Blick in vergangene Zeiten“, der den Lehrerinnen und Lehrern im Alltag weniger helfe als ihre departementale Anerkennung.
Diese Platte kennen wir doch: Kritikern der integrierten Schule nach dem Gusto der Obrigkeit, die sich nicht vorbehaltlos der karikativ-missionarischen Agitation unterwerfen und sich einem „romantisierenden Idealismus“ (Emil E. Kobi) verweigern, werden Vorurteile, falsches Bewusstsein, Aberglaube, antiquiertes Denken und mangelnde geistige Beweglichkeit vorgeworfen.
Eine ernsthafte Debatte kann mit Drohgebärden gegen aufmüpfige Lehrkräfte und mit lammfrommen, ED-hörigen „Gewerkschaften“ allein jedenfalls nicht geführt werden.