Sie haben die Welt ganz schön durcheinander gewirbelt und sie haben erreicht, was in dieser saturierten, westlichen Welt schon kaum mehr möglich erschien: Aufhorchen – und eine grosse politische Verunsicherung, vielleicht sogar Veränderung. Das ist das Werk von Fünfzehn- bis Fünfundzwanzigjährigen. Sie haben sich persönlich hingestellt, haben sich gezeigt. Jüngere und Ältere haben sich zusammengefunden – physisch und nicht nur im Internet; sie haben sich gemeinsam engagiert und sich ausgesetzt – nicht um Zustimmung zu ergattern, sondern um sich zu äussern und gehört zu werden.
Und wie bitte, sollen die Älteren reagieren, die sogenannten Erwachsenen. Natürlich mit Wohlwollen, sagen die einen. Natürlich mit Abwehr und mit Repression meinen andere. Was bilden sich denn diese Kids ein! Man(n) und Frau bemüht sich, ihnen eine gute Bildung zukommen zu lassen und sie schwänzen die Schule, reklamieren unsere Verantwortung. Die haben wir doch erfüllt! Oder: Müssen wir uns rechtfertigen, haben sie eventuell doch recht, weil sie ausbaden was wir, die Alten, ihnen eingebrockt haben?
Die Jugendlichen hätten keine reale Einschätzung von den komplexen Verflechtungen, meinen wiederum andere, sie profitierten bloss von den Privilegien, die unsere masslose Lebensweise mit sich bringt. Sollen sie doch selbst die Konsequenzen ziehen, anstatt die Schule zu schwänzen!
Was machen Lehrerinnen und Lehrer damit? Unentschuldigte Absenzen ins Zeugnis eintragen? Beschwichtigen? Verständnis zeigen? Und wie reagieren Lehrmeister und Universitätsprofessorinnen? Ignorieren? In die Privatsphäre verweisen?
Was für eine Herausforderung für die Bildung: Endlich wird wieder über Konkretes geredet – über den Zustand der Welt, über unsere Möglichkeit, sie zu verbessern. Letztlich geht es nicht nur um die Zukunft, sondern auch um Erkenntnis oder pathetisch ausgedrückt: um den Sinn des Lebens.
Natürlich ist das kein Sonntagsspaziergang. Es braucht die Debatte es braucht die Auseinandersetzung, das Gespräch. An diesem Gespräch können junge Menschen ebenso kompetent teilnehmen, wenn man gewillt ist, ihnen zuzuhören und sie ernst zu nehmen. Wie man im wahrsten Sinn demokratisch miteinander spricht und sich gegenseitig Ernst nimmt, machen uns diese Gruppen von Jungen beispielhaft vor.
Wer behauptet, junge Menschen seien nicht so kompetent und noch nicht reif? Sind die politischen und wirtschaftlichen Eliten denn reifer, besser informiert, haben sie den Durchblick? Oder gibt es hier nicht eine Art Verweigerung der persönlichen Verantwortung und der Konsequenzen, die aus den unwiderlegbaren Tatsachen zu ziehen wäre. Wer müsste denn zuerst den Konsumverzicht leisten? Oder die Weichen in Wirtschaft und Politik neu stellen?
Und natürlich führt das zu Abwehr der etablierten Erwachsenenwelt. Da spart man nicht mit Anfeindungen und falschen Unterstellungen. Und die Jungen machen in diesen Auseinandersetzungen auch Erfahrungen, nicht zuletzt mit der Demokratie. Wie ist es möglich, dass ein Polizeidirektor eine angesagte friedliche Demonstration auf dem Berner Bundesplatz verbieten kann, nur weil man befürchtet, dass es zu einer grossen Menge an Demonstranten kommen könnte. Die jungen Menschen lernen somit zu unterscheiden zwischen tatsächlichen Autoritäten und autoritärem Gehabe. Sie lernen sich zu behaupten und selbst zu denken. Das ist in jedem Falle auch Bildung.
Linda Stibler war über 40 Jahre als Journalistin tätig und engagierte sich bildungspolitisch – vor allem für die damalige neue Schule (Orientierungsschule) in Basel-Stadt in den frühen Neunzigerjahren. Sie
ist Mitglied der Bildungsgruppe im Denknetz.
Foto: Claude Giger