21. November 2024

Eine Replik auf die Pseudo-Kritik von Pichard/Schmutz: Hier wird das Geschäft der Rechten betrieben.

Am 18. Juli stellte der Redaktor des VPOD-Bildungsmagazins, Johannes Gruber, seine Idee einer linken Bildungspolitik vor (Warum «linke Bildungspolitik» vonnöten ist und warum sie nicht ausreicht). In Ihrer Replik vom 25. Juli kritisierten die Condorcet-Autoren Schmutz und Pichard den Beitrag und warfen ihm sogar Falschaussagen vor. Nun reagiert Thomas Ragni, im SECO tätig und freier Mitarbeiter von VPOD-Bildungspolitik, auf die Kritik und wirft den Autoren seinerseits eine verzerrende Darstellung der Aussagen von Johannes Gruber vor. Wir freuen uns auf Ihre Reaktion und erhoffen uns einen fruchtbaren Austausch.

Thomas Ragni, ehemals Lehrer an Handels-, Berufsschule und Gymnasium, heute wissenschaftlicher Mitarbeiter am SECO, verantwortlich für Konjunkturprognosen und Sozialpolitik, freier Mitarbeiter der Zeitschrift VPOD-Bildungspolitik.

Ich möchte im Folgenden nicht Stellung nehmen auf die inhaltlichen Einwände, die Alain Pichard und Felix Schmutz (nachfolgend: die Autoren) im Namen ihrer ‚ideologiefreien‘ und ‚pragmatischen‘ Bildungspolitik gegen Johannes Grubers Beitrag vorbringen, wieso eine ‚linke‘ Bildungspolitik vonnöten sei. Ich könnte – selbstverständlich aus meiner ganz eigenen ‚Perspektive‘ (Friedrich Nietzsche) – einige (m.E. überzeugende) Argumente vorbringen, wieso ihre Einwände unbegründet oder falsch sind (z.B. Kompetenzziele als angeblich besonders leichte Einfallstüren für schulische Indoktrination; ein angeblich fundamentaler Widerspruch zwischen ‚égalité‘ und ‚liberté‘ der Französischen Revolution, die eine angeblich bloss zeitbedingte Bedeutung hatten; ein grundlegend falsches, ‚verschwörerisches‘ Verständnis der Bourdieu’schen Theorie der ‚feinen Unterschiede‘, welche erklärt, wieso das Bildungswesen dazu beiträgt, einmal etablierte Privilegienstrukturen stabil zu halten – und zwar nicht obwohl, sondern gerade weil in ihm das ‚meritorische‘ Selbstverständnis eines strikt geltenden ‚Leistungs‘-prinzips vorherrscht).

Keine echte Kritik

Weil die Autoren meistens keine echte Kritik an den Aussagen von Johannes Gruber (nachfolgend: JG) vorbringen, kann auch ich darauf nicht in kritischer Weise inhaltlich-argumentativ antworten. Trotzdem möchte ich nicht im gleichen Stil wie sie reagieren, sondern kühl-analytisch darlegen, was an ihrer Pseudo-Kritik alles schiefläuft.

Das Ziel der Autoren ist offenbar nicht, in einem konstruktiven offenen Debattenstreit mit Informationen und Argumenten gemeinsam zu präzisieren Erkenntnissen und neuen Einsichten zu gelangen.

Das Ziel der Autoren ist offenbar nicht, in einem konstruktiven offenen Debattenstreit mit Informationen und Argumenten gemeinsam zu präzisieren Erkenntnissen und neuen Einsichten zu gelangen. Sie wollen ihr prinzipiell überlegenes, weil schon vollkommenes Wissen demonstrieren. So erkläre ich mir, wieso ihre ‚Replik‘ nur an ganz wenigen Stellen wenigstens echte Kritik ist, auch wenn sie selbst dann durchwegs schlecht, weil grob pauschalisierend ist. Meistens jedoch handelt es sich bloss um Pseudo-Kritik.

Wenn man den Text von JG liest, erkennt man schnell, dass das gezeichnete Bild der Autoren einfach nur grotesk verzerrend ist.

Felix Schmutz, Baselland: Die Kritik ist diffamierend und grob verzerrend.

Wenn man den Text von JG liest, erkennt man schnell, dass das gezeichnete Bild der Autoren einfach nur grotesk verzerrend ist. Praktisch alle Textstellen von JG, auf die sie sich explizit in meist bloss scheinbar kritischer Weise beziehen, lesen die Autoren auf möglichst verzerrende Weise. Der Grund ist, dass sie ihre ‘Replik’ dazu missbrauchen, ihr dogmatisch einbetoniertes Wissen den LeserInnen vor die Füsse zu werfen. Dabei entgeht ihnen offenbar völlig, dass sie mit ihrer Pseudo-Kritik das Geschäft jener ‘Rechten’ betreiben, die die universelle Geltung der egalitären Menschenrechte grundsätzlich bestreiten. Das wirklich ärgerliche Ergebnis ihrer Pseudo-Kritik ist aber, dass sie damit gute Chancen haben, das zarte Pflänzchen der Debattenkultur sofort wieder auszutilgen.

Einige Beispiele ihrer fast ausnahmslos mutwillig verzerrenden Interpretation des Textes von JG:

  • In ihrem zweiten Hauptpunkt präsentieren die Autoren ein Paradebeispiel einer Pseudo-Kritik: Ihre scheinbare argumentative Entgegnung ist einfach nur eine Darlegung ihres Credos, was gute Schule ist und wie sie in der Schweiz ihrer Meinung nach realisiert ist – ohne jeden Bezug zum Text von JG. Ihre Einsichten kulminieren im Satz, die Schule sei «politisch ein kaleidoskopartiges Abbild der politischen Landschaft». – Ja schön, wenn man dieser Überzeugung ist, deren inhaltliche Aussage aber sehr nebulös bleibt, so dass sie auch nicht irgendwie belegbar ist. Aber das ist auch nicht ihr Zweck. Vielmehr soll sie einen möglichst drastisch aussehenden Gegensatz aufzeigen zu einer gerade anschliessenden, in Zitatzeichen gesetzten wörtlichen Wiedergabe einer Textstelle von JG, der behaupte, dass die Schule «einseitig gesellschaftliche Verhältnisse zementieren hilft». Das Problem ist nur, dass sich dieses scheinbar wörtliche Zitat im Text von JG nirgends finden lässt. Ich will einfach nicht glauben, dass die Autoren hier eine böswillige Manipulation vorgenommen haben. Ich hoffe, sie haben die auf irreführende Weise kolportierte Textstelle von JG als eine harmlose, nicht wörtliche, aber sinngleiche Paraphrase interpretiert, und dass sie mit den Zitatzeichen bloss ihre eigene frühere Textstelle wörtlich zitieren wollten, die bereits auf den Text von JG auf nicht wörtliche Weise Bezug genommen hatte. Man sieht, ich muss hier recht virtuos herumturnen, um ihnen weiterhin ‘bona fide’ unterstellen zu können …
Brachliegende Ressourcen?
  • In ihrem dritten Hauptpunkt setzen die Autoren selber wieder in Zitatzeichen, was sich so wörtlich im Text von JG nirgends finden lässt: Die von Linken mitgestaltete Bildungspolitik lasse nichts unversucht, die «brach liegenden menschlichen Ressourcen» der wenig privilegierten Schichten zu mobilisieren. An diesem Massstab gemessen, bewerten die Autoren die vielen schweizerischen Reformbemühungen der Schulstrukturen der letzten 50 Jahre auf sehr positive Weise. Ich will einmal davon absehen, dass sie sich damit in einen klaren Widerspruch zu ihrer eigenen Behauptung bringen, wonach gemäss einer breit angelegten Studie, auf die sie sich vorbehaltlos zustimmend beziehen, «die Schulstruktur einen kleinen Einfluss auf die Wirksamkeit von Schule ausübt». (Ich habe hier korrekt wörtlich zitiert.) Entscheidend ist hier vielmehr, dass die Autoren das angeblich wörtliche Zitat, das sie aber auf nicht wörtliche Weise korrekt paraphrasieren (wörtlich spricht JG davon, «dass es Ressourcenverschwendung ist, Bildungspotentiale brachliegen zu lassen»), völlig aus dem Zusammenhang reissen und so eine eklatante Sinnverzerrung begehen, die ich leider nicht anders als einen mutwilligen Winkelzug verstehen kann. JG spricht an dieser Stelle von der bildungsökonomischen Denkweise, die Chancengleichheit eben nicht aus normativen Gründen verbessern will, sondern weil damit die ökonomische Effizienz unseres Wirtschaftssystems weiter optimiert werden soll. Wenn diese beiden Ziele nie in einen Zielkonflikt gerieten, wäre aus Sicht auch der ‘linken’ Bildungspolitik nichts gegen ökonomische Effizienzoptimierung einzuwenden. Doch gerade hier liegt ein Kernanliegen ‘linker’ Bildungspolitik: Chancengleichheit unter rein ökonomistischen Gesichtspunkten herzustellen, bedeutet bloss, dass es ein ‘Instrument’ unter vielen anderen ist, den Erwerb von Humankapital weiter zu optimieren. Eine ganz andere Art von Chancengleichheit ist gemeint, wenn es um eine essentielle Voraussetzung für egalitäre Chancen zu einer emanzipierend wirkenden Bildung geht, die für eine menschenwürdige freie Lebensgestaltung essentiell ist. Eine solche Art von Bildung kann nicht in einer platten instrumentellen Logik ‘optimiert’ werden. Der entscheidende Punkt ist, dass eine emanzipierende Bildung ganz unter die Räder fallen muss, wenn sich das öffentliche Bildungswesen unter Anleitung der Mainstream-Bildungspolitik bloss noch als Zudienerin zu den unwägbar wechselnden ‘Bedürfnissen’ der Wirtschaft versteht und damit die rein ‘technischen’ Fragen des möglichst effizienten Erwerbs von Humankapital allein noch im Fokus der Bildungspolitik ist. (Früher war das mal der Ansatzpunkt für eine Kritik der ‘technokratischen’ Optimierungslogik.)
Johannes Gruber, Redaktor VPOD-Bildungspolitik: Seine nüchtern analytischen Aussagen wurden bewusst verzerrt oder falsch zitiert.
  • Einen traurigen Höhepunkt an deplatzierter Polemik erleben wir im vierten Hauptpunkt ihrer angeblichen Kritik. Wieder ohne jeden Bezug zum nüchtern-ausgewogenen Text von JG lassen sich die Autoren ausführlich über das «ideologisch geprägte( ) Zerrbild» vom Menschen aus (eines «aus Ton formbaren prometheischen Geschöpfes»), das sie bei den ‘Linken’ diagnostizieren zu können glauben und das sie ‘daher’ auch JG unterstellen – wie gesagt ohne jeden Textbeleg. Auch hier kann ich nicht anders als den Autoren zu unterstellen, dass sie den Text von JG mutwillig krass verzerrend dargestellt haben. Was nur ist ihre Motivation? Wollen sie, dass man ebenso haltlos polemisch auf ihre Pseudo-Kritik reagiert? Was versprechen sie sich von offenbar herbeigewünschten unversöhnlich geführten ideologischen Grabenkämpfen? Etwa eine wertvolle gemeinsame Lernerfahrung, die einer besseren Bildungspolitik dienen kann?

Ist das alles nur der Reflex realitätsblinder und überambitionierter Eltern und der Hirngespinste der Kinder?

  • Die Autoren wollen bei JG einen «etwas altmodischen Bildungsdünkel» ausgemacht haben, wenn er auf die herkunftsabhängige Selektivität zu den allgemeinbildenden weiterführenden Schulen hinweist. Schlichte Gegenfrage: Wie ist es zu erklären, dass Eltern, je wohlhabender desto häufiger, ihre Schützlinge immer früher in ‘privaten’ Förderunterricht schicken (eine ausgesprochene Boombranche in allen reichen Ländern weltweit)? Und wie ist es zu erklären, dass ihre Sprösslinge selbst immer öfter davon überzeugt sind, die erhofften Lebenschancen und -perspektiven definitiv aufgeben zu müssen, wenn sie nicht in sog. ‘höhere’ Schulen selegiert werden? Ist das alles nur der Reflex realitätsblinder und überambitionierter Eltern und der Hirngespinste der Kinder? Wenn ja, dann frage ich mich, wie die Entstehung dieser Überambitioniertheit und dieser Hirngespinste zu erklären ist. – Anstatt hier JG «Bildungsdünkel» und eine «ideologische Brille» zu unterstellen und sich in wilden Mutmassungen über die Unterschichtung durch immer neue Migrationswellen und «die Nachfrage nach neuen ‘Arbeitssklaven’» zu ergehen (wo wird bei JG auf Migration im Kontext der Bildungsmobilität Bezug genommen?), sollten einfach mal die unzähligen Belege der ‘intergenerationellen Bildungsmobilität’ zur Kenntnis genommen werden, mit welcher das Ausmass der herkunftsbestimmten Selektivität in der ‘Schulkarriere’ empirisch zu messen ist. (Ich habe in der VPOD-Bildungspolitik Nr. 222 von Juni 2021 auf S. 7 bis 10 ein paar eigene entsprechende empirische Auswertungen für die Schweiz präsentiert.) – Aber klar, das ist natürlich auch wieder nur «eine einseitige Interpretation von statistischen Daten», die sie schon JG pauschal vorgeworfen haben.
  • Die Autoren haben sicher Recht, wenn sie ‘einwenden’, gerade in der Schweiz hätten Berufsleute (vorläufig noch!) auch ohne Matura einer allgemeinbildenden Schule intakte Chancen, dank berufsbezogenen Qualifikationen und Weiterbildungen gute bis sehr gute Einkommen während ihrer Berufskarriere zu erzielen. Trotzdem erzielen, statistisch belegbar, ‘Akademiker’ im Mittel halt immer noch signifikant höhere Einkommen, und vor allem: Sie geniessen ein markant höheres gesellschaftliches Prestige als (hoch) qualifizierte Berufsleute ohne ‘akademischen’ Abschluss (z.B. ein Assistenz- oder Oberarzt ohne Leitungsfunktion an einem x-beliebigen Spital im Vergleich zu einem Techniker oder Ingenieur mit Abschluss an einer höheren technischen Fachschule). Aber auch der rein ökonomische (Geldeinkommens-) Wert höherer Berufsbildungsabschlüsse wird in Zukunft immer mehr erodieren, wenn auch in der Schweiz die Tertiärabschlussquote sich jener im Ausland annähern wird, was schon heute klar absehbar ist (was auch mit statistischen Indkatoren belegbar ist).
  • Jean-Marie de Condorcet: Bildung hat das Ziel der Mündigkeit.

    Weiter beziehen sich die Autoren auf eine Textstelle von JG, wonach sich Mündigkeit nicht in der Aneignung von Wissen erschöpfe, sondern auch das Vermögen beinhalte, Anerzogenes und Gelerntes in Frage zu stellen. Die Autoren halten diese sehr allgemeine Definition von JG allerdings für noch zu eng gefasst. Denn sie müsse auch für «die von den Linken so vehement verteidigten Kompetenzziele» gelten, welche aber, «als Kompetenzen beurteilt und gemessen, in eine schulische Indoktrination führen mit diktatorischen Ansprüchen.» Wie kommen die Autoren nur dazu, sich zunächst mit der Mündigkeitsdefinition von JG einverstanden zu erklären, dann aber zu bemängeln, JG schliesse nicht die «holistischen Kompetenzziele» in seine Definition ein, nur um in einer weiteren logischen Volte heftig gegen die Aufnahme von Kompetenzzielen in die Lehrpläne zu polemisieren. Ich vermute, den Autoren geht es hier primär darum, ihre Aversion gegen Kompetenzziele zu zelebrieren, die nota bene JG in seinem Text mit keinem Wort erwähnt. Auch bei dieser ‘Replik’ der Autoren kann es sich darum nur um eine Pseudo-Kritik handeln.

Diese international vergleichbare ILO-Kennzahl betrug 2019 nicht 2.2%, sondern 8.0%.

  • Zum glaubensdogmatisch verhärteten Streit um die PISA-Ergebnisse Finnlands will ich an dieser Stelle nichts beitragen, sondern nur auf ein (vermutlich nicht absichtlich) irreführend präsentiertes Faktum hinweisen, das die Autoren im Kontext des angeblich «etwas altmodischen Bildungsdünkel(s)» von JG als Gegenargument mobilisieren: «Und eine Zahl gibt enorm zu denken: Die Jugendarbeitslosigkeit in Finnland betrug 2019 fast 19% (Schweiz 2.2%).» Fakt ist, dass die von den Autoren zitierte Jugendarbeitslosigkeit der Schweiz im Jahr 2019 von 2.2% falsch ist, wenn sie mit der finnischen von 19% verglichen wird. Für internationale Vergleiche muss gemäss spezifisch schweizerischer Terminologie die ILO-harmonisierte ‘Jugenderwerbslosigkeit’ herangezogen werden (die in Österreich und Deutschland ‘Jugendarbeitslosigkeit’ genannt wird). Diese international vergleichbare ILO-Kennzahl betrug 2019 nicht 2.2%, sondern 8.0%, und 2018 betrug sie 7.9%. Die in der Schweiz so genannte ‘Arbeitslosigkeit’ (2.5% im Jahr 2018, 2.2% im Jahr 2019) ist eine Schweizer Besonderheit, die international nicht vergleichbar ist. (Sie zählt die bei den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren [RAV] als ‘stellensuchend’ gemeldeten Personen, die sich nicht in einer sog. arbeitsmarktlichen Massnahme oder in einem lohnsubventionierten Zwischenverdienst befinden. Bei stellensuchenden Jugendliche ist die Meldequote bei den RAV besonders tief.) Deshalb ist auch ihre an anderer Stelle aufgestellte Behauptung schon rein faktisch falsch: «Das duale Bildungssystem bewirkt eine gegenüber dem Ausland rekordverdächtig geringe Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen nach Ende der Schulzeit.» Aus der frei zugänglichen Datenbank der OECD lässt sich zeigen, dass die Schweiz bei der Jugendarbeitslosigkeit (nach spezifisch schweizerischem Wording: bei der ‘Jugenderwerbslosigkeit’) unter den 33 reichen westlichen OECD-Ländern ‘bloss’ den 7. Rang im Jahr 2018 eingenommen hat. Keine Rede also von einer «rekordverdächtig geringe(n) Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen» in der Schweiz im Vergleich zum Ausland. Die zitierte Aussage der Autoren ist aber nicht nur rein faktisch falsch, sondern sie taugt auch nicht als Gegenbeispiel zu Finnland, weil dieses Land, wie erwähnt, auch ein duales Bildungssystem wie die Schweiz kennt, welches erst noch durchlässiger ist als das schweizerische. Damit erweist sich auch ihre kausal gemeinte Behauptung als unbelegte Spekulation, das duale Bildungssystem ‘bewirke’ eine rekordverdächtig geringe Arbeitslosigkeit. Das stimmt weder für die Schweiz noch für Finnland.
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4 Kommentare

  1. Trotz Ragnis Einspruch haben die Autoren Schmutz und Pichard Recht mit der Aussage, dass die Jugendarbeitslosigkeit in der Schweiz sehr gering ist. Während sie in der EURO-Zone 2019 durchschnittlich 15,2% betrug, lag sie in der Schweiz nach ILO-Messung immer noch nur bei 8% (Finnland 20,6%). Der Unterschied zwischen ILO-Messung und CH-Statistik (5,8%) erklärt sich folgendermassen:

    «Nicht enthalten [also die 5,8% in der CH-Statistik, F.Schmutz] sind hier Teilnehmer an Programmen zur vorübergehenden Beschäftigung, in Umschulung oder Weiterbildung.»

    Das heisst: Nicht beschäftigte Vermittelbare waren es nur 2,2%.

    Zur Quote in Deutschland (2019: 5,7%):

    «Die Jugendarbeitslosigkeitsquote ist in Deutschland schließlich auch deshalb relativ niedrig, weil viele junge Menschen, die einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz suchen, nicht als Arbeitslose gezählt werden.»

    Quellen:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Jugendarbeitslosigkeit

    https://de.statista.com/statistik/daten/studie/445872/umfrage/jugendarbeitslosenquote-in-der-schweiz/

    Auch die ILO-Daten lassen den einzelnen Staaten Freiräume bei der Bemessung.  Was also soll die ganze Spiegelfechterei mit den Statistiken? Wieso muss die Situation krampfhaft schlechtgeredet werden, wenn sie doch bis zur Pandemie für die Schweizer Jugendlichen sehr positiv bewertet werden kann? Und worauf genau stützt sich der Kassandraruf, dass künftig die nicht akademisch Gebildeten ökonomisch auf der Verliererseite stehen werden? Und warum geht Ragni überhaupt nicht auf die Weiterbildungsmöglichkeiten in Fachhochschulen und den späteren Umstieg an die Universität dank Passerelle ein?

    1. Felix Schmutz hat nicht verstanden, was den Unterschied zwischen ‘Jugendarbeitslosigkeit’ und ‘Jugenderwerbslosigkeit’ ausmacht. Ich mach’ ihm das nicht zum Vorwurf, weil es wirklich tricky ist, wie in der Schweiz mit Statistiken bzw. der der dazugehörigen Terminologie umgegangen wird. Er meint rückschliessend folgern zu können: “Nicht beschäftigte Vermittelbare waren es nur 2,2%.” Das ist falsch. Richtig müsste es heissen: “Nicht beschäftigte Vermittelbare, die sich beim RAV als stellensuchend gemeldet haben, waren es nur 2,2%.” Ohne diese einschränkende Bedingung waren es 2019 (vor Corona) eben 8,0% – gemäss ILo-harmonisierter (international vergeichbarer) ‘Jugendarbeitslosigkeit’, die in er Schweiz ‘Jugenderwerbslosigkeit’ genannt wird. Der Grund für die unterschiedlichen Zahlen ist, dass 2.2% aus den amtlichen Registerdaten stammt, während 8.0% aus einer international harmonisierten repräsenativen Umfrage stammt (die in der Schweiz SAKE heisst). Sachlich besteht die Differenz zwischen 8.0% und 2.2% aus (a) den stellensuchenden Jugendlichen, die sich nicht bem RAV gemeldet haben und (b) aus den Jugendlichen, die sich zwar beim RAV gemeldet haben, aber in einer ‘arbeitsmarktlichen Massnahme’ des RAV befinden. – ‘Spiegelfechterei’ ist das deshalb nicht, weil es eben nicht stimmt, dass die Schweiz eine international ‘rekordverdächtige’ Jugendarbeitslosigkeit aufweise. Vor Corona nahm sie im Jahr 2019 mit 8.0% ‘nur’ den 7. Rang unter den reichen westlichen OECD-Ländern ein.

  2. Ich verstehe den Begriff “Pseudokritik” nicht ganz. Vielleicht meint Herr Ragni “Schattenboxen”. So nennt man es, wenn man dem Kritisierten Argumente unterschiebt, die dieser gar nicht gemacht hat, und sich dann mit ihnen auseinandersetzt. In der Replik von Herrn Schmutz und Herr Pichard konnte ich aber nichts dergleichen feststellen. Sie war sehr sachlich abgefasst und auch mit Quellenangaben untermauert.
    Schade, dass linke Diskussionen immer gleich so bissig werden müssen.

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