9. Dezember 2025

Willkommen im goldenen Zeitalter der Dummheit

Die Journalistin Sophie McBain veröffentlichte eine bemerkenswerte Recherche im Guardian Weekly (1). Sie referiert die Forschung zur Wirkung der Künstlichen Intelligenz (KI) auf das menschliche Gehirn. Condorcet-Autor Felix Schmutz hat sie – ganz ohne KI – nacherzählt.

Künstliche Intelligenz und das Gehirn

Während Instrumente wie Google uns bei der Suche nach Namen, Fakten, Wissensbeständen aller Art halfen, schafft KI eine ganz neue Dimension der Arbeitserleichterung: Sie nimmt uns das Denken ab.

McBain berichtet über die Arbeit der Forscherin Natalyia Kosmyna am MIT Media Lab in Massachusetts. Kosmyna bildete die Hirntätigkeit von Studierenden ab, die eine Arbeit schreiben mussten: Die eine Gruppe ohne technische Hilfsmittel, die andere mit Recherchetools, die dritte mit künstlicher Intelligenz.

Sophie Mc Bain, Journalistin im Guradian: Kaum jemand konnte aus dem Gedächtnis zitieren. 

Fazit: Je grösser die elektronische Hilfe, desto geringer die messbare Aktivität in Gehirnnetzwerken, die für kognitive Verarbeitung, Aufmerksamkeit und Kreativität zuständig sind.

Nach dem Versuch wurde jede Gruppe gefragt, ob sie sich daran erinnerten, was sie in ihrer Arbeit geschrieben hatten. Kaum jemand aus der Gruppe, die mit ChatGPT gearbeitet hatte, konnte aus dem Gedächtnis aus seiner Arbeit zitieren. Die Erinnerung war praktisch blank.

Lernen durch Widerstand und Herausforderungen

Kosmyna erläutert, dass das Verfassen von Arbeiten lebenswichtige Fähigkeiten (skills) verlangt, die auch zur Bewältigung des Alltags entscheidend sind: Das Zusammenfügen von Informationen, gegensätzliche Perspektiven berücksichtigen, Argumente aufbauen.

 

Dr. Nataliya Kosmyna, Wissenschaftlerin am MIT: Unser Gehirn liebt Abkürzungen.

Die Forscherin weist darauf hin, dass wir von der Evolution her programmiert sind, neue Hilfsmittel, die uns das Leben erleichtern, bereitwillig einzusetzen, denn unser Gehirn liebt Abkürzungen (shortcuts). Was uns im Übrigen passiver und abhängiger werden lässt.

Wahr ist anderseits aber, dass unser Gehirn Widerstände und Herausforderungen (frictions and challenges) braucht, um überhaupt lernen zu können und echtes Wissen aufzubauen. Die Krux ist, dass uns die Technologie widerstandsloses Lernen verspricht, durch die benützerfreundliche Ersparung von Widerstand dieses Lernen jedoch gerade verhindert. Wie Süchtige zur Droge greifen, um sich wohl zu fühlen, greifen KI-Konsumierende bei jeder Rechenaufgabe, bei jeder Beanspruchung des Gedächtnisses oder statt der mühsamen Lektüre eines Buches zu ihrem Gerät, um dem Widerstand auszuweichen, der ihr Lernen eigentlich befördern würde.

Wir beobachten, dass die von der OECD erhobenen PISA-Daten ergeben, dass um 2012 weltweit die besten Resultate bei 15-Jährigen erzielt wurden. Seither befinden sich die Leistungen im Lesen, Rechnen und in Naturwissenschaft im Sinkflug. Ebenso stiegen im Verlauf des 20. Jahrhunderts die IQ-Werte global an, während sie im 21. Jahrhundert zu sinken drohen.

Die digitalen Hilfsmittel wurden nämlich nicht daraufhin konstruiert, unser Denken effizienter zu machen, sondern mit der Absicht, unsere Aufmerksamkeit zu gewinnen und in klingende Münze zu verwandeln.

Schwarzmalerei?

Sophie McBain verweist an dieser Stelle auf einen gewichtigen Einwand gegen die Schwarzmalerei. Schon Sokrates befürchtete, dass die Erfindung des Schreibens gefährlich sei, weil sie die Abhängigkeit vom Gedächtnis schwäche und zu einem oberflächlichen Verständnis, zur «Einbildung von Weisheit» statt zur wahren Weisheit führe. In Wirklichkeit führten Schrift, Buchdruck, Medien und Internet zu einer stetigen Ausbreitung des Wissens. Mehr Leute konnten Ideen entwickeln und diese mit andern teilen. Schreiben hilft, unser Denken zu entwickeln. Intelligente Leute lösen dank technologischer Hilfsmittel schwierige Probleme, Pharma-Forscher entdecken neue Heilmittel, Ärzte können Krebs schneller diagnostizieren.

Dennoch erkor Oxford University Press das Wort Denkfäule (brain rot) letztes Jahr zum Wort des Jahres. Obwohl uns theoretisch mit dem Handy das gesammelte Wissen der Welt zur Verfügung stünde, verschwenden wir die Lebenszeit mit dem Anklicken von dümmlichen Inhalten.

Ständige Ablenkung

Die digitalen Hilfsmittel wurden nämlich nicht daraufhin konstruiert, unser Denken effizienter zu machen, sondern mit der Absicht, unsere Aufmerksamkeit zu gewinnen und in klingende Münze zu verwandeln. Jedes Mal, wenn Menschen zum Handy greifen, um eine Aufgabe zu lösen, wird ihre Aufmerksamkeit auf irgendwelchen Mist (junk) abgelenkt.

Professorin Linda Stone, New York: Ständige Teilaufmerksamkeit.

Professorin Linda Stone, New York, bemerkte, dass ihre Studenten bei ihrer Arbeit in einem Zustand einer stressigen «dauerhaften Teilaufmerksamkeit» (continuous partial attention) verharrten. Damit meint sie das ständige Multitasking, zu dem wir uns mit den digitalen Geräten verführen lassen. Ihre Studien zeigten, dass 80% der untersuchten Probanden unter «Bildschirm-Apnoe» litten, d.h. nicht mehr richtig atmeten, wenn sie ihre e-mails durchsahen, weil sie sich in einem Alarmzustand, einem Flucht- und Kampfmodus befanden.

Ständige Teilaufmerksamkeit erklärt sowohl das Entstehen der «Denkfäule» als auch die Attraktivität des seichten Inhalts im Internet. Was sich für die Tech-Firmen lohnt, ist das Bestreben, die Nutzenden online zu halten. Dies gelingt ihnen mit Inhalten, die den Nutzenden eine Art Wohlgefühl vermitteln: z.B. Netflix-Serien, Spotify-Playlisten, einfach Dinge, die verhindern, dass man sich vom Bildschirm losreisst.

Solche Auslagerung des Denkens gab es bisher schon punktuell in wenigen bestimmten Gebieten: Taschenrechner, die Zahlenoperationen für uns durchführten; Navigationsprogramme, die Chauffeure durch die Gegend lotsten.

Anbruch des KI-Zeitalters: Auslagerung des Denkens

In dieses Klima stiess KI als neues attraktives Angebot. Wenn man bisher das Erinnern und Datenverarbeiten an die Technologie auslagern konnte (offload), erlaubt KI nunmehr, das Denken an und für sich auszulagern: KI schreibt Berichte und e-mails oder plant die Ferien.

Solche Auslagerung des Denkens gab es bisher schon punktuell in wenigen bestimmten Gebieten: Taschenrechner, die Zahlenoperationen für uns durchführten; Navigationsprogramme, die Chauffeure durch die Gegend lotsten.

Der Übergang von der Ära Internet zur Ära KI bedeutet, dass wir nicht mehr Informationen aller Art konsumieren, sondern mit wesentlich vorverarbeiteten Informationen eingedeckt werden. Damit überspringen wir wichtige Denkfunktionen, nämlich das Einschätzen und Urteilen, das Filtern und Zusammenfassen von Informationen und das Bearbeiten von Problemen, bei denen uns die KI eine pfannenfertige Lösung präsentiert. KI nimmt uns alle kognitiven Operationen ab.

Professor Michael Gerlich, Swiss Business School: Kritisches Denken geht verloren. 

Verlust des kritischen Denkens

Professor Michael Gerlich von der Swiss Business School stellt in seiner gerade veröffentlichten Studie (2) an 666 Probanden klar, dass die Nutzung von KI negativ mit der Fähigkeit zum kritischen Denken korreliert. Ältere Nutzende von KI und Menschen mit höherem Bildungsgrad sind weniger in Gefahr, das Denken an KI auszulagern, als Jüngere und Leute mit tieferem Bildungsgrad. Kritikfähigkeit ist jedoch das A und O kognitiv unabhängigen Denkens und Urteilens.

KI sind Sprachmodelle. Sie stellen sich mental auf die Wellenlänge der Nutzenden ein und begünstigen einen Verharrungseffekt (anchoring effect). Sie sind kundenfreundlich, indem sie die Nutzenden jeweils in ihren Ansichten bestätigen. Sie erweitern zwar den Horizont des bestehenden Wissens, aber sie führen nicht zu alternativen Zugängen, eröffnen nicht kreative neue Möglichkeiten. Nutzende müssen sich dessen im Umgang mit KI stets bewusst sein.

Wert der Bildungstechnologie

Eine britische Studie besagt, dass 92% der Uni-Studenten KI verwenden und 20% alle ihre Arbeiten (assignments) durch KI ganz oder teilweise schreiben lassen. Sind Schulen und Universitäten noch in der Lage, selbst denkende, kreative Abgehende auszubilden oder einfach nur geschwätzige, fremdgesteuerte Drohnen?

Bei Bildungstechnologie hingegen vertrauen wir darauf, dass diese ungeprüft die Gehirne der Kinder und Jugendlichen entwickeln.

In der Zeit der Pandemie konnten sich die Tech-Firmen mit Bildungsprogrammen in den Schulen etablieren mit dem Versprechen, das Lernen zu revolutionieren, zu personalisieren und die Lehrpersonen zu entlasten. Ein Grossteil der Forschung wurde von der Tech-Industrie finanziert und bestätigte den Erfolg der Digitalisierung. Eine unabhängige weltweite OECD-Studie hingegen kam zum Schluss, dass je mehr Schülerinnen und Schüler Technologie in der Schule nutzten, desto schlechter waren ihre Leistungen.

Professor Holmes vom University College London weist darauf hin, dass die meisten Leute nicht einfach eine neue Pille schlucken würden, ohne dass diese rigoros geprüft und freigegeben werde. Bei Bildungstechnologie hingegen vertrauen wir darauf, dass diese ungeprüft die Gehirne der Kinder und Jugendlichen entwickeln.

Miles und Clement erklären 2017 in ihrem Buch Bildschirmgeschult (Screen schooled), also noch vor KI, dass das Googeln einer Frage und das Angeben der richtigen Lösung kein verstehendes Wissen hervorbringt. Wirkliches Wissen würde verhindern, dass man auf unsinnige Verschwörungstheorien oder so genannte Fake News hereinfällt. Im Übrigen erkennen digitale Schulprogramme nicht, wenn Jugendliche fantasievolle alternative Lösungen bei Aufgaben vorschlagen, sondern halten diese jeweils für falsch.

(1) McBain, Sophie: In The Guardian Weekly, 24 October 2025, Vol. 213, No. 17, S. 41ff.

(2) Gerlich, M. AI Tools in Society: Impacts on Cognitive Offloading and the Future of Critical Thinking. Societies 2025, 15, 6. https://doi.org/10.3390/soc15010006

Zur Beachtung das Interview mit Professor Dr. Michael Gerlich auf you tube:

https://www.youtube.com/watch?v=UCeTgmHp

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