Der euphorische Chor der technokratischen Bildungselite befindet sich gerade in einem paradoxen Stadium. Normalerweise folgt er blind der Losung, dass Reformen stets zu begrüssen sind; sogar dann, wenn sich der Status quo bewährt hat.
Wenn sich jedoch, wie jetzt beim Fremdsprachenunterricht, tatsächlich Veränderungen aufdrängen: Dann halten viele der sogenannten Experten, seien es Politiker oder Wissenschafter an den pädagogischen Hochschulen, auf einmal nicht mehr an ihren Überzeugungen – neu ist immer besser – fest.

Im akademischen Elfenbeinturm will man nichts davon hören, dass etwa Frühfranzösisch nichts gebracht hat. Das lässt sich insofern nachvollziehen, als dass die Reformer dann eine Lebenslüge eingestehen müssten.
Enttäuschender ist die Haltung der Bildungspolitiker, die tatsächlich für Verbesserungen sorgen könnten. Die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) agiert realitätsfern. An der Jahresversammlung wurden zwar gewisse Probleme eingestanden, aber so schnöde im Diminutiv formuliert, als handle es sich um Lappalien.
Dabei kennen alle Erziehungsdirektoren die Wahrheit. Es war eine Untersuchung, die sie selbst in Auftrag gegeben haben, die im Mai miserable Ergebnisse aufgezeigt hat. Im Lesen erreicht nur die Hälfte der Schüler in den Deutschschweizer Kantonen in Französisch die Grundkompetenzen, im Hören sind es knapp 60 Prozent. Am Ende der obligatorischen Schule, notabene.

Gegen eine Transformation, die auch einige kritische Kantone wollen, wehrt sich die EDK wortgewaltig. Eine Verschiebung der Fremdsprachen in die Sekundarstufe lehnt man ab. Begründung: Der nationale Zusammenhalt sei gefährdet. Man sei eine Willensnation, die in die “nationale Kohäsion” investieren müsse. Ohne Frühfranzösisch keine Schweiz? Darunter macht man es nicht. Ähnlich argumentiert auch die Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (SP), die die Kantone notfalls zwingen will, am Frühsprachenkonzept festzuhalten.
Niemand möchte Französisch aus der Schule verbannen, an der Wichtigkeit des gegenseitigen Verständnisses wird nicht gezweifelt. Nur gibt es gute Gründe, dass ein späterer Beginn von Vorteil ist.
Das sind lächerliche Argumente. Die Bildungselite labt sich gerne an der eigenen Progressivität. Und nun ist sie auf einmal patriotisch? Das wirkt wenig glaubhaft.
Vor allem suggeriert diese Botschaft falsche Tatsachen. Niemand möchte Französisch aus der Schule verbannen, an der Wichtigkeit des gegenseitigen Verständnisses wird nicht gezweifelt. Nur gibt es gute Gründe, dass ein späterer Beginn von Vorteil ist.
Die Forscherin Simone Pfenninger hat schon vor über zehn Jahren nachgewiesen, dass es am Ende der Schulzeit keinen Unterschied macht, ob man eine Sprache mit 8 oder mit 13 Jahren beginnt. Das liegt hauptsächlich daran, dass das “Kurzfutterkonzept” mit zwei, drei Lektionen in der Woche wenig Fortschritt bringt. Pfenninger wurde dafür diskreditiert. Heute wagt niemand mehr Widerspruch.
Intellektuelles Armutszeugnis
Und es gibt ja auch Ideen, wie eine zweite Landessprache gestärkt werden könnte. Der Nidwaldner Bildungsdirektor Res Schmid schlug etwa vor, dass man mit Französisch in der 5. Klasse beginnen sollte – und mit Englisch in der Sekundarstufe. Ein radikaler Kurswechsel wäre das nicht, aber zumindest ein Kompromiss. Schmids Idee hatte keine Chance.
Lieber will die EDK die Bildungsziele anpassen, “den Unterricht stärken”. Man lobt sich selbst für ein “deutliches Zeichen”. Das ist ungefähr so wahr, wie wenn man die Fremdsprachenkenntnisse aller Schüler als hervorragend einstufen würde.

Was das in der Konsequenz heissen wird, ist klar: Das Niveau wird sinken. Neuerlich. Wie das schon zuvor in Deutsch und Mathematik geschehen ist – was auch daran liegt, dass immer mehr Kinder daheim keine Landessprache sprechen. Aber Frühfranzösisch bringt alle weiter?
Diese Mutlosigkeit ist ein intellektuelles Armutszeugnis. Zum Schaden der Schüler. Die insgesamt weniger können werden, erst recht kein Französisch. Die kritischen Kantone sollten deshalb weiter am Ende des Frühfranzösisch festhalten. Am besten passiert das mit einer Anpassung des Harmos-Konkordats. Gelingt das nicht, bleibt nur der Austritt.
Legende Titelbild: Französisch? Unbedingt. Aber nicht so früh. (Bild: Karin Hofer/NZZ)

