6. Dezember 2025
Nicht nur in der Bildung wird geschwurbelt

Aufgeblasene Nullbotschaften

Achtung: Dieser Beitrag ist kein Text über Bildung. Aber warum kommt uns das, was der Feuilletonist der FAZ, Jürgen Kesting, hier schreibt, so bekannt vor? Es mag amüsant sein, dass es in anderen Bereichen der Kultur und Bildung ähnlich zu- und hergeht, wie in der Bildungspolitik. Ein Trost ist es nicht. Übrigens: In Dortmund kann man “Medien und Musikjournalismus” studieren. Der Beitrag ist in der FAZ vom 11.10. erschienen. Wir bringen einen Auszug.

Die Phrasendrescherei über Musik wächst sich aus. Aufgeblasene Nullbotschaften erfassen das Marketing, die Politiker und längst auch die Musikkritik. Zeit für eine Polemik.

Journalist und Musikkritiker in der FAZ: Muss man es noch feierich tun?

Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum. Wer kennte sie nicht, diese tiefe, diese tiefste Wahrheit? Wer wüsste nicht, dass sie unsere Resilienz in Zeiten von Kriegen stärken kann? Dass sie unser Bewusstsein für die Gefährdung der Mutter Erde durch die Wandlungen des Klimas zu wecken vermag? Dass sie selbst zur Stimme der Erde werden kann im Klang eines Instruments. Aus einem Avviso für eine CD des Cellisten Gautier Capuçon: „Die Erde, auf der wir alle leben, ist einzigartig – und darum widmet ihr der französische Cellist mit Gaïa ein Album: eine Hommage an die gleichnamige Urmutter Erde in der Mythologie. Mit emotionalem Blick und eingängigen Klängen von heute erkundet Gautier Capuçon das besondere Verhältnis des Menschen zu seinem Heimatplaneten.“

Khatia Buniatishvili, georgische Pianistin: Emotion pur.

Musik ist Emotion pur. Wer kennte sie nicht, diese den Konsumenten eingehämmerte Plattitüde aus dem Lügenarsenal der Verkaufslyrik? Aus einem Avviso für ein Konzert von Khatia Buniatishvili: „Ein Klavierabend eröffnet eine ganz besonders emotionale Welt (sic!) und ist ein Erlebnis, das lange nachklingt. Augenblicke gespannter, vollkommen stiller Konzentration sowie Momente, in denen Zeit und Raum, Interpret und Zuhörer zu einer Einheit verschmelzen. Und schließlich rauschhafte Ekstase, wenn Leidenschaft und pianistische Virtuosität alles mit sich reißen.“ Wohlan, jedem Werbetexter kann es passieren, dass er Unfug redet, aber es wird schlimm, wenn er es feierlich tut.

Musik ist nicht nur die im Badezimmer-Auto-Fahrstuhl-Shop-Restaurant dudelnde-dröhnende-quälende akustische Alltagskulisse, sondern auch eine Art von Aphrodisiakum zur Belebung des Lebensgefühls. Aus einem Interview mit dem neuen Hamburger Generalmusikdirektor Omer Meir Wellber: „Es soll nicht nur moderne Musik erklingen, sondern es soll auch moderne Augenblicke geben. Musik soll Spaß machen, ein bisschen lustiger und ein bisschen leichter sein. Ich finde, durch Dinge wie Wasser, Wind und alles, was in Hamburg vorkommt, soll eine besondere Identität entwickelt werden, als eine Art Klang-Identität.“

Wohlan, jedem Werbetexter kann es passieren, dass er Unfug redet, aber es wird schlimm, wenn er es feierlich tut.

Überall und ständig sehen wir uns einer Sprache ausgesetzt, die mit erhabenen Vokabeln, Versprechungen und Nullbotschaften daherkommt. Musik schenkt uns „Gesänge von verstörender Schönheit, „die den Tod nicht als Schrecken, sondern als Erlösung besingen“; lässt uns die „künstlerische Auseinandersetzung mit den drängenden Themen unserer Gegenwart und Zukunft“ erleben; hat die „therapeutische Kraft, Emotionen zu sortieren und innere Ruhe zu schaffen“; beschert uns das Glück der Begegnung mit Genies. Aus einem Avviso von Elysia Biro: „Die Sängerin, Songwriterin und Pianistin schöpft ihren einzigartigen Sound aus einer Verschmelzung verschiedenster Genres: Klassik, Jazz und modernem Pop. Dabei verbindet sie ihre klassische Ausbildung in Klavier und Gesang mit ihrer Leidenschaft für Jazz-Instrumentierung und Songwriting.“

Das ist die scheinbar gehobene Sprache, zum Jargon gewordene Erhabenheit, die dem Laien, wenn er überhaupt nach einem Sinn sucht, unverständlich bleibt und noch unverständlicher ist für jeden, der mit Musik vertraut ist.

Das ist die scheinbar gehobene Sprache, zum Jargon gewordene Erhabenheit, die dem Laien, wenn er überhaupt nach einem Sinn sucht, unverständlich bleibt und noch unverständlicher ist für jeden, der mit Musik vertraut ist. Tausende dieser Beispiele finden sich in Schlager-Paraden des Fernsehens, in Moderationen des Rundfunks wie im Magazin-Journalismus: mit einer Leerstelle – der Kritik. Kürzlich war im „Newsletter“ des Magazins „The New Yorker“ eine von David Remnick gestellte Frage zu lesen: „Are critics too nice?“ Eine Antwort erteilte Kelefa Sanneh in einem Essay: „How music criticism lost its edge“. Gegenstand ihrer Betrachtung war ein Musikjournalismus, der sich seiner eigentliche Aufgabe, der Analyse von Ästhetik und Inhalt eines Kunstwerks, entzieht.

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Ein Kommentar

  1. Zum gleichen Thema hier ein ungekürzter Auszug aus dem Artikel “Auf die Qualität der Elite kommt es an”. NZZ, Montag, 20. Oktober 2025:
    “Nach der Wende 1990 erhielten die Personalchefs der Uno zunehmend Bewerbungen und Lebensläufe für Führungsposten, geschrieben von Konsulenten – also viel Raum für heisse Luft. Mit dem Ausbau der pädagogischen Hochschulen wurde wichtiger, wie man etwas sagt, als was man sagt. Speziell in Non-Profit-Organisationen, bei Uno-Agenturen oder beim Staat, dort, wo die Leistung Einzelner schlecht messbar ist, beschleunigte das geschmeidige Wort den Aufstieg.”

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