Der verwandte Begriff “Wertschöpfungskette” verdeutlicht, dass entlang einer solchen mit jedem Kettenglied Werte geschöpft werden. Die Umdeutung in “Wertschätzungskette” beinhaltet eine ähnliche Idee. Alle Glieder oder Schlüsselelemente – man kann sie auch als Gelingensfaktoren bezeichnen – erzeugen einen Mehrwert an Wertschätzung. Im Folgenden werden 10 Faktoren erläutert, die allesamt bedeutsam sind.

Begegnungsqualität. – Erfolgreich führen kann nur, wer zuerst eine emotionale Verbindung zu den Mitarbeitenden aufgebaut hat. Eine emphatische Führungskultur erfordert Nähe, Mut und Bereitschaft zu echtem und offenem Austausch.
→ Dadurch entsteht eine Arbeitsatmosphäre, die das Wohlbefinden der Mitarbeitenden stärkt und die Bereitschaft erhöht, Verantwortung zu übernehmen.
Integrität. – Glaubwürdige und verlässliche Führung bedeutet ehrliches und verbindliches Verhalten. Sie ist das Ergebnis gelebter Werte. Worte und Taten müssen übereinstimmen.
→ Dies führt zu einem hohen Vertrauen in die Leitungsperson.
Transparenz. – In der Führung ist sie unverzichtbar. Sie schafft Klarheit in Bezug auf Informationen und auf begründete Entscheidungen.
→ Damit können Mitarbeitende selbstständig und engagiert arbeiten.
Haltung. – Als vorgesetzte Person braucht es nicht ständige Perfektion. Führung erfordert keine Fehlerlosigkeit, sondern Authentizität, Menschlichkeit und Werteorientierung. Leitungspersonen müssen Stellung beziehen und ihre Haltung vertreten, insbesondere auch in anspruchsvollen Situationen.
→ Dies führt zu einer stärkeren Bindung den Mitarbeitenden gegenüber.
Vorbild. – Führungskräfte erwerben sich echte und positive Autorität, wenn sie Vorbilder sind. Dabei ist Autorität [1] keine Qualifkation, sondern eine Beziehungsqualität.
→ Eine auf Authentizität beruhende Vorbildrolle strahlt aus und wirkt für die Mitarbeitenden überzeugend.
Das Kennen dieser Wertschätzungskette reicht allein nicht aus. Jede Führungspersönlichkeit müsste interessiert sein zu wissen, welche Wirkung diese Gelingsfaktoren haben.
Verbindlichkeit. – Führung, die nicht stattfindet, kommt bei den Mitarbeitenden als Unverbindlichkeit an. Sie wird mit Unzuverlässigkeit gleichgesetzt. Verbindlich agiert, wer auf Anliegen zeitnah reagiert und diese nicht ignoriert [2].
→ Verbindliches Verhalten erlaubt es den Mitarbeitenden, eine Situation oder einen Entscheid richtig einzuschätzen.
Kontinuität. – Eine fortschreitende Weiterentwicklung [3] der Organisation gehört zu den Aufgaben eines mit Weitblick ausgestatteten Managements. Veränderungen müssen proaktiv geplant und gestaltet werden, um die Zukunftsfähigkeit der Organisation zu sichern.
→ Mitarbeitende wünschen sich Führungspersonen, die als “Speerspitze” die Fähigkeit und den Willen zu laufenden Anpassungen und Erneuerungen besitzen.
Ermöglichung. – Gute Führungspersönlichkeiten sind reflektiert und hinterfragen regelmässig sich selbst und ihre Position. Sie erkennen und fördern Talente innerhalb ihrer Mitarbeitenden und geben ihnen Freiraum.
→ Das Ergebnis eines solchen Möglichmachens sind Potenzialausschöpfungen zum Gesamtnutzen der Organisation.
Nahbarkeit. – Leitungspersonen sind keine Funktionsträger mit Macht, sondern Menschen mit Empathie. Sie müssen für die Mitarbeitenden greifbar und einschätzbar sein. Führen bedeutet Beziehungsarbeit und führt zu starken und wertvollen Bindungen.
→ Ein ganzheitlicher Führungsansatz ist geprägt von emotionaler Intelligenz und zwischenmenschlichen Fähigkeiten. Er stärkt das Vertrauen und das organisationale Klima.
Verantwortung. – Verantwortung ist eine zentrale Dimension in der Führung, die weit über formale Zuständigkeiten hinausgeht und sich nicht delegieren lässt. Dazu gehört die Bereitschaft, die Konsequenzen für das eigene Handeln zu tragen.
→ Mitarbeitende verbinden die Verantwortungsübernahme ihrer vorgesetzten Person mit persönlicher Integrität. Denn nur wer zu seinen Entscheidungen steht, schafft Vertrauen und entwickelt gleichzeig eine Fehlerkultur, welche Lernen und Wachstum ermöglicht.

Fazit
“Nähe ist die Basis für alles, was Führung erreichen kann.” – Ein Schlüsselelement in der Führung ist die Sicht- und Nahbarkeit der vorgesetzten Person. Durch die emotionale Verbindung und die hohe Begegnungsqualität zu den Mitarbeitenden, durch echte Wertschätzung, durch Standhaftigkeit und Vorbildwirkung entsteht ein starkes Vertrauen; beim Einzelnen und im Team. Das Ergebnis ist eine belastbare “Wertschätzungskette”, welche die gesamte Leistungsfähigkeit des Unternehmens nachhaltig fördert.
Das Kennen dieser Wertschätzungskette reicht allein nicht aus. Jede Führungspersönlichkeit müsste interessiert sein zu wissen, welche Wirkung diese Gelingsfaktoren haben. Am Beispiel und Teil einer periodischen Mitarbeitenden-Befragung lässt sich das erheben.
[1] Autorität und Autoritär sollen nicht verwechselt werden. Autorität hat jemand, der dies als positive Eigenschaft von innen her ausstrahlt, wohingegen autoritäres Verhalten eine negative Eigenschaft ist und mit Unterdrückung und Machtmissbrauch in Verbindung steht.
[2] Ein klassisches Beispiel ist das Mailmanagement. Unbeantwortete Mails werden mit Nicht-Handeln, Schweigen und letztlich als Ignoranz gedeutet.
[3] Kontinuierliche Weiterentwicklung wird oft mit dem japanischen Begriff “KAIZEN – Wandel zum Besseren” in Verbindung gebracht.


Etwas ratlos versuche ich zu verstehen, was Niklaus Gerber eigentlich meint mit Punkt 1 Begegnungsqualität: Ist die emotionale Bindung emphatisch (=nachdrücklich) oder empathisch (=einfühlsam)? Ein Verschreiber oder ein tieferer Sinn? Ich wünschte mir von einer Schulleitung beides: Empathie als menschliche Haltung den Lehrpersonen und Schülern gegenüber, aber auch Emphase, wenn Schlendrian oder Regelverstösse einreissen oder klares Auftreten gegenüber Eltern nötig wäre. Bei diesem Artikel werde ich das Gefühl nicht los, dass es gar nicht um Schulen, sondern um Firmen geht. So sind Schulen nach dem Soziologen Heinz Bude keine Organisationen (Firmen, Geschäfte, Verwaltungen), wie Gerber meint, sondern Institutionen (Schulen, Universitäten, Spitäler). In Institutionen haben Führungspersonen eine andere Stellung und eine andere Rolle als in Organisationen. Deshalb kann ich mir – mit Schule vor den Augen – mangels konkreter Beispiele nicht vorstellen, wie Gerber diese Grundsätze in die Schulwelt übertragen will. Schulleitungen beschäftigen sich mit organisatorischen Fragen, mit Reklamationen und Streitfällen, mit Behördenkontakten. Im Idealfall habe ich als Lehrperson nur wenige Berührungspunkte mit ihnen. Mit dem Schulzweck, nämlich mit dem Lernen, haben Schulleitungen weniger zu tun, das ist die Domäne der Lehrkräfte, diese sind hier die Führungspersonen. In meiner englischen Schule gab es z.B. für jedes Fachgebiet einen “Head”, der für das Lernen in seiner Domäne zuständig war, eine Aufgabe, die bei uns Fachkonferenzen innehaben. Schulleitungen haben hier nichts zu sagen, wenn sie nicht selbst zufällig in diesem Fach unterrichten. Dann sind sie jedoch gewöhnliche Mitglieder dieser Fachgruppe.
Die fortwährende Abgrenzung zwischen Schule und Unternehmen macht mich immer hellhörig. Beides sind Institutionen resp. Organisationen mit arbeitenden Menschen und einer Führungsstruktur. Das Thema “Wertschätzung” ist gleichermassen wichtig, es gibt hier keine Unterscheidung. Unter “Begegnungsqualität” ist selbstredend die Qualität der zwischenmenschlichen Begegnungen gemeint. Sie muss stets von Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Anstand begleitet sein; unabhängig davon, ob das Thema ein Loben oder eine Kritik sei. Kurz: Starke Führungsqualitäten braucht es in allen Institutionen, sei es eine Schule oder eine Firma. Hier eine künstliche Trennung zu machen, ergibt keinen Sinn.
Zudem: Deiner scharfen Trennline, welche du zwischen den Aufgaben einer Schulleitung und denjenigen einer Lehrpersonen machst und mit der Aussage “Schulleitungen haben hier nichts zu sagen” unterlegst, pflichte ich nicht bei. Die Schule ist und bleibt eine Einheit. Die Leitfrage ist stets, wie diese Gemeinschaft an unterschiedlichen Persönlichkeiten funktioniert.