Politikerinnen und Politiker aller Couleur fordern momentan landauf, landab ein staatliches Handyverbot an Schulen. Die Motivation scheint klar: Man hat ein Problem erkannt, oder zumindest ein sichtbares Symptom, und will es mit dem bewährten Allheilmittel der Politik bekämpfen: einem Verbot. Zack, geregelt. So einfach scheint die Welt zu sein, wenn man glaubt, Ordnung entstehe durch Paragrafen.
Doch ein staatliches Handyverbot löst kein einziges Grundproblem des heutigen Schulalltags. Ich war kürzlich an einer Veranstaltung im Rahmen des Berner Grossen Rates, an welcher der Rektor der Pädagogischen Hochschule sinngemäss sagte, es sei nicht besorgniserregend, dass rund ein Viertel der Schulabgänger nicht lesen und schreiben könnten. Und da sollen Handys das Problem sein?

Was hier kaschiert wird, ist das völlige Versagen eines Systems, das weder begeistert noch befähigt. Wenn der Unterricht so belanglos ist, dass ein Tiktok-Video spannender wirkt als die Biologiestunde, liegt das Problem nicht im Gerät, sondern in der Gestaltung. Nicht das Handy stört, sondern der Mangel an Autorität, Relevanz und Substanz.
Zahnlose Symbolpolitik
In der Armee, gewiss kein Ort der pädagogischen Zärtlichkeit, haben wir übrigens selten Probleme mit Handys. Warum? Weil wir klare Regeln haben, die auf gesundem Menschenverstand beruhen (in der Regel sind Handys erlaubt, ausser bei bestimmten Übungen oder wenn es gefährlich wäre). Und weil wir echte Autorität pflegen – durch Präsenz, Haltung und Klarheit. Zwei ehemalige Rekruten sagten mir kürzlich unabhängig voneinander, das Beste an der RS sei das Digital Detox gewesen. Aber nicht wegen eines Verbots, sondern weil es Teil eines nachvollziehbar vermittelten Rahmens war.
In vielen Schulen hingegen ist das Einzige, was noch an Autorität erinnert, der Titel “Lehrperson”. Fachliches Profil? Oft dünn. Persönliche Ausstrahlung? Erschreckend selten. Und so ruft man nach Gesetzen, weil man den Unterricht längst nicht mehr selbst steuern kann. Was folgt? Ein zahnloses Verbot mit symbolischem Charakter. Konsequenzen bei Verstössen? Höchstens ein pädagogisches Gespräch. Oder vielleicht eine weitere Stelle im Schulsozialdienst, besetzt mit einem Bachelor in “digitaler Resilienz und Medienbewusstsein”.
“Man glaubt, mit einem Handyverbot könne man Bildung retten. So wie man glaubt, Gewalt verschwinde durch ein Messerverbot.”
In Frankreich ist das Handyverbot längst Realität. Und was passiert? Genau: wenig. Denn ohne Durchsetzung keine Wirkung.
Verbote wirken nur dort, wo sie mit Konsequenz und Autorität durchgesetzt werden. Beides ist in vielen Schulen Mangelware. Stattdessen wird eine Welt konstruiert, in der man glaubt, mit einem Handyverbot könne man Bildung retten. So wie man glaubt, Gewalt verschwinde durch ein Messerverbot.
Selbstbeherrschung ist der Schlüssel zur Freiheit
Der Stoiker Epiktet sagte einst: “Niemand ist frei, der sich nicht selbst beherrschen kann.” Eine Schule, die das nicht vermittelt, wird durch Regeln auch keine Freiheit schaffen. Und eine Gesellschaft, die glaubt, durch Regulierung werde sie tugendhaft, hat weder den Menschen noch den Liberalismus verstanden.
Das Handy gehört zum Alltag. Es aus der Schule zu verbannen, während Erwachsene in der Parlamentssitzung scrollen, ist nicht nur weltfremd – es ist ein Eingeständnis der Hilflosigkeit. Schulen sollten lehren, mit dem Handy umzugehen, nicht es verbieten. Und Politiker sollten wieder lernen zu führen. Und nicht bloss zu verbieten.
Mathias Müller ist Berufsoffizier in der Schweizer Armee, Politiker, Autor, Referent und Podcaster.


Unterschrieben. Punkt.
“Wenn der Unterricht so belanglos ist, dass ein Tiktok-Video spannender wirkt als die Biologiestunde, ”
Zum Glück darf ich hier nicht schreiben, was ich denke.
Aber die Frage muss erlaubt sein, ob wirklich jeder Schwachsinn zu einem sinnvollen Diskurs beiträgt, oder ob man solche Kommentare nicht einfach gleich in den digitalen Papierkorb steckt.
Ich muss zustimmen. Es ist eine Illusion, zu glauben, Unterricht könne gegen die mediale Präsenz von TikTok usw. bestehen. Diese Diskussion führt einfach zu nichts.
Richtig ist unabhängig davon, dass Autorität und Klarheit zunehmend die Schulen verlassen. Über Politiker möchte ich mich hier nicht auslassen, da ich keinen Bademantel besitze…
Es weckt Nostalgie, daran erinnert zu werden, was in früheren Zeiten in der Schule von Bedeutung war: Disziplin, Autorität, Konsequenzen, Substanz bzw. eigentliche Inhalte. Heute sind solche Begriffe verpönt im Schulbetrieb. Anstelle von Disziplin traten inflationär um sich greifende Diagnosen wie ADHS, ADS, ASS, DS, LRS, POS, RS, PS, TS bzw. der Pamir gegen den Unterrichtslärm. Die Autorität der Lehrkräfte wich dem Austausch und der Auseinandersetzung mit gleichberechtigten Schülern auf Augenhöhe. Als Ersatz für Konsequenzen trat die auf die letzte Chance prinzipiell folgende zweitletzte. Und Inhalte wurden ersetzt durch Kompetenzen. In einem Punkt allerdings ist Mathias Müller zu widersprechen. Er unterschätzt die nachhaltigen Gefahren von Handys für unseren Nachwuchs: Ablenkungspotential; Beeinträchtigung der Konzentrationfähigkeit; Kostenfallen, Gewaltpotential wie rechtsextreme Hetze, gewaltbetonte bzw. illegale Inhalte; Cyber-Gefahren wie Malware, Cybermobbing, Cyber-Stalking, Phishing und Identitätsdiebstahl; gesundheitliche Beeinträchtigungen wie «Handynacken”, Sehnenscheidenentzündungen („Handydaumen“) und Schlafstörungen; Suchtpotential mit den Folgen sozialer Isolation, Aufmerksamkeitsstörungen und verminderter geistiger Leistungsfähigkeit; Datenverlust, um nur die augenfälligsten Risiken zu nennen. Nur weil Erwachsene im Plenarsaal in Bern während Parlamentsdebatten auf ihren Bildschirmen rauf und runter scrollen, sollten dies ferner nicht auch Kinder und Jugendliche in der Schule während des Unterrichts tun dürfen. Es scheint, hier befürwortet Müller, was er gleichzeitig zurecht bemängelt: der Verlust von Autorität zur Durchsetzung von Regeln zugunsten der Lernenden.
Selbstverständlich handelt es sich bei den Handyverboten zu weiten Teilen um ein Eingeständnis der Hilflosigkeit. Und selbstverständlich wäre es schön, die Schule würde den angemessenen Umgang mit den Smartphones vermitteln. Ich habe jahrelang an diesen Ansatz geglaubt. Er ist gescheitert. Die heutige Realität sieht leider so aus: Vorsichtig geschätzt ein Drittel meiner Lernenden ist hochgradig handysüchtig. Sie wurden zu dem gemacht, und zwar nicht von der Schule (auch wenn ich diese nicht aus der Verantwortung ziehen möchte; dass es dort oft an Konsequenz fehlt: geschenkt), sondern in erster Linie von den perfiden Methoden der Tech-Giganten – und in zweiter Linie von uns Erwachsenen, die es verpasst haben, diese Giganten früh zur Verantwortung zu ziehen. Und ja: Die Verbote – sogar, wenn sie konsequent durchgesetzt werden – sind eine unbefriedigende Notlösung, eben ein Ausdruck der Hilflosigkeit gegenüber dem immensen negativen Potential von TikTok, YouTube, Insta usw.
Um den Vergleich mit der Armee aufzunehmen: Es handelt sich auch um ein (absolut sinnvolles) Verbot, wenn die Handys während vieler Übungen nicht gestattet sind. Ein Verbot, welches allerdings mit ungleich stärkeren, da unmittelbareren Mitteln durchgesetzt werden kann als in der Schule, wie ich – selber Lehrer und Offizier – gut weiss. Präsenz, Haltung, Klarheit sind natürlich trotzdem an beiden Orten, Schule und Armee, gefordert.
Mit mangelnder Autoriät der Lehrkräfte hat ein Handyverbot gar nichts zu tun.
Jugendliche, die sich von der Freizeit her gewöhnt sind, in jeder Minute ihr Handy zu zücken und die neusten Nachrichten zu checken, werden dies auch in der Pause tun, wenn sie das kleine Gerät zur Verfügung haben. Die meisten Jung-Teenager verhalten sich nicht so, dass sie sich in den Pausen den Botschaften der sozialen Netzwerken aus Vernunftgründen entziehen werden. Die Verlockungen der neuen Medienwelt sind einfach zu gross.
Lehrkräfte haben genug von dauerabgelenkten Jugendlichen, die in den ersten Minuten nach jedem Lektionsbeginn in Gedanken noch völlig bei den Handy-Botschaften sind. Ein klares Verbot ist für die allermeisten deshalb eine Wohltat und weit besser als ewige Diskussionen über den sinnvollen Einsatz der Mobiltelefone.
Die wichtige Frage der Autorität von Lehrpersonen sollte nicht am Beispiel des Handyverbots erörtert werden. Überzeugende Klassenführung, inhaltliche Kompetenz und didaktisches Können sind die Themen, welche in der Autoritätsfrage die zentrale Rolle spielen. In diesen Bereichen gibt es tatsächlich einiges, das im Argen liegt. Setzen wir den Hebel lieber dort an, wo er etwas bewirkt!
Schüler/-innen, die sich in den grossen Pausen auf Netflix und den (a)sozialen Medien tummeln oder „durchgamen“, erscheinen in einem anderen mentalen Zustand im Unterricht als solche, die sich bewegen, sich miteinander austauschen oder unter einem Baum ein Znüni geniessen. Darum geht es.
Begleitung/Unterstützung und Handyverbot schliessen sich doch nicht aus.