14. August 2025
Romain Lanners erfundene Erfolgsstory

Im Reich der Schwurbler (mit einem Rätsel)

Condorcet-Autor Felix Schmutz liess es sich nicht nehmen, den ironischen Kommentar der Redaktion zu Romain Lanners Informationsblättern (Grosse Denkerinnen und Denker) einer näheren Untersuchung zu unterziehen. Seine Analyse fällt nicht zum Vorteil des studierten Heilpädagogen aus.

Der Artikel Romain Lanners-Prinzip: Dort ist die Mauer, hier ist das Gaspedal

im Blog spielt an auf die Informationsblätter für Lehrpersonen, die in integrierten Klassen unterrichten. Diese wurden verfasst von der Stiftung Schweizer Zentrum für Heil- und Sonderpädagogik.

Wer die Informationsblätter konsultiert, stellt sofort fest, dass sie in der Schwurbelsprache verfasst sind, welche die pseudowissenschaftlichen Texte der PH-Dozierenden kennzeichnet:

  • Eine Reihung von pädagogischen Modebegriffen und Sentenzen (Integration vor Separation, Kompetenzen, spezieller Bildungsbedarf, Differenzierung, selbstorganisiert, Lernarchitekturen),
  • die ausufernden Hinweise auf Fachartikel in Klammern (mit der Gewissheit, dass kein Leser je nachsieht, ob der zitierte Artikel auch wirklich den Gedanken des Autors stützt),
  • das Ausblenden der praktischen Erfahrung, obwohl landauf-/landab Lehrpersonen und Eltern sowie Medien Horrorzustände melden und die Idealbedingungen, die allenfalls das Gelingen des Projekts sichern könnten, nicht erfüllt sind.
  • die Einseitigkeit der Argumentation, obwohl es in der Lernforschung und aus verwandten wissenschaftlichen Kreisen erhebliche Einwände gibt,
  • die Berufung auf gesetzliche Grundlagen, die natürlich stets im Sinne der Autorinnen und Autoren ausgelegt werden, um ihre Position als unumstössliche Vorgabe darzustellen.
  • das quasi-religiöse Festhalten an ideologischen Positionen, auch wenn landesweite Testergebnisse den Niedergang des Wissens und Könnens breit dokumentieren.
Felix Schmutz, Baselland: Kämpfen Sie sich durch das Geschwurbel und urteilen Sie selbst. 

Im Folgenden möchte ich den Leserinnen und Lesern ein kleines Rätsel unterbreiten. Es folgen zwei Artikel aus den Merkblättern des Zentrums für Heilpädagogik zuhanden der Lehrpersonen in integrierten Klassen. Der eine Abschnitt ist echter Teil eines Merkblatts, der andere ein Fake. Erkennen Sie auf Anhieb, welcher Text echt ist und welcher «nachempfunden»? Kämpfen Sie sich durch das Geschwurbel und urteilen Sie selbst! 

Differenzierung im Unterricht

Die Heterogenität in integrierten Klassen bildet ein Hauptmerkmal der heutigen Schule. (Singer & Drommling, 2008; Bieler & Huppel, 2012; Bassmann Hänggi, 2015). Das Behindertengleichstellungsgesetz (Art.20, Absatz 2) verlangt, dass die Lehrpersonen dieser Diversität mit geeigneter Binnendifferenzierung gerecht werden (Pumpenkern & Züffler, 2009; Regsam, Ligéan, Touchepin, et al. 2015). Dies betrifft auch den Musikunterricht (Deblanc & Schreier, 2007). [Gerade das Zusammenwirken] «bei der gemeinsamen Produktion von perkussiv und allenfalls instrumental begleiteten Klangprojekten verwandelt eine heterogene Klasse in eine organisch funktionierende Gruppe» (Deblanc & Schreier 2007, S.83). Solche integrativ angelegten Unternehmungen garantieren, «dass alle Lernenden im Rahmen ihrer Möglichkeiten [neue] Kompetenzen erlangen können» (Stübli & Maus, 2022, p. 14). Studien belegen die positiven Effekte auf die musikalische Entwicklung der Lernenden mit besonderem Bildungsbedarf (Tschebinsky, 2010,2015). Auch die Teilnahme der Hörbehinderten, der ADHS-Betroffenen und Schwerbeeinträchtigten verlangsamt bei den andern Lernenden das Wachsen des Musikverständnisses in keiner Weise, sofern das erforderliche Instrumentarium bereitgestellt wird (Schrunzling & Frieger, 2017, zitiert nach Schrammel Tönjachen & Klödler, 2020).

«Für die Lehrpersonen gilt, dass sie sich am Prinzip der Gleichheit und Gerechtigkeit orientieren» (Talich Bösiger & Helbling, 2014, S. 17), [um allen Lernenden]«den Zugang zur Tonkunst in seinen vielseitigen Facetten zu ermöglichen» (Hoover, 2013, S. 24). Da die Lernvoraussetzungen unterschiedlich sind, kann die Aufgabe nur durch Differenzierung bewältigt werden.

Romain Lanners, Direktor der Fachagentur Stiftung Schweizer Zentrum für Heil- und Sonderpädagogik SZH

Definition

Die Differenzierung im Unterricht (oder innere Differenzierung) ist – nach dem Verständnis verschiedener Autoren (Leroux & Paré, 2016) – ein «Prozess, bei dem die Lehrperson den Unterricht so anpasst, dass jede einzelne lernende Person ein Lernziel erreichen kann» (Stradling & Saunders, 1993, zitiert in Prud’homme, 2007, S. 2). In der Schweiz ist «die Differenzierung im Unterricht […] offiziell eine Didaktik, die es den Lernenden bei Bedarf erlaubt, auf unterschiedlichen Wegen eine Reihe von Kompetenzen zu erreichen, die vom Gesetzgeber definiert werden» (Kahn, 2010, p. 68). Prud’homme und Bergeron verstehen unter Differenzierung im Unterricht «eine Denkweise über Unterricht, bei der die Lehrperson Situationen so flexibel gestaltet, dass alle Lernenden Fortschritte machen können, und gleichzeitig die Bildung einer Lerngemeinschaft gefördert wird, in der die Diversität in einem Klima der gegenseitigen Verbundenheit und des gegenseitigen Verständnisses
anerkannt, genutzt und wertgeschätzt wird» (Prud’homme und Bergeron, 2012, S. 12). Die Massnahmen zur Differenzierung betreffen sowohl «die Gestaltung kollektiver Lernsituationen [als auch] die Anpassungen […], um bestimmtem Unterstützungsbedarf gerecht zu werden (Arbeit in Kleingruppen oder in Einzelarbeit) [und insgesamt alle] Interventionen, die mit der Gestaltung eines Umfelds verbunden sind, in dem die Manifestationen der Diversität […] legitim sind» (ebd. S. 12). Die Differenzierung im Unterricht kümmert sich also gleichermassen um den Einzelnen wie um das Kollektiv und versucht mithilfe verschiedener Mittel, das Potenzial aller Lernenden zu maximieren (Gillig, 1999, zitiert in Leroux &
Paré, 2016), wobei gemeinsame Ziele verfolgt werden (Perraudeau, 1999, zitiert in Leroux & Paré, 2016).

Bei den Texten dieser Merkblätter, sowohl dem echten als auch dem gefakten, fällt auf, welche Diskrepanz besteht zwischen dem, was sich PH-Dozierende unter Schulrealität vorstellen, und der tagtäglichen Wirklichkeit eines real-existierenden Klassenzimmers.

Bei den Texten dieser Merkblätter, sowohl dem echten als auch dem gefakten, fällt auf, welche Diskrepanz besteht zwischen dem, was sich PH-Dozierende unter Schulrealität vorstellen, und der tagtäglichen Wirklichkeit eines real-existierenden Klassenzimmers. Pädagogische, didaktische Theorie und Forschung sind noch weit entfernt davon, schulische Realität auch nur annähernd in ihrer Komplexität erfassen zu können. Die politisch Verantwortlichen und die Medien täten gut daran, nicht bei jeder Gelegenheit schulfremde Expertinnen und Experten an PHs zu befragen, sondern sich dort zu erkundigen, wo das Wissen über Schule tatsächlich vorhanden ist.

Haben Sie den Fake erkannt? Echt ist der zweite Text (Definition), der erste (Differenzierung) ist frei nachempfunden. Er tönt aber trotzdem eigentlich echt, was meinen Sie?

 

 

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3 Kommentare

  1. Als Lehrerin oder Lehrer organisiert den Mut zu haben, all diesen FH-Schwachsinn total zu verweigern, das ist ein hoffentlich wahr werdender Traum.
    Pädagoginnen und Pädagogen – nehmt endlich euer Land (wieder) ein!

  2. Gut gebrüllt, Löwe! Ich redigiere des Öfteren Arbeiten von Studierenden; diese sind alle im Tonfall der beiden Beispiele geschrieben und darin liegt auch die Crux: Die angehenden Lehrer und Lehrerinnen werden bereits so ausgebildet und befinden sich beim Antritt der Praxis in einer Flughöhe, die in vielen Fällen zum Absturz führt, sprich zum *Burnout* schon in jungen Jahren.

  3. Bei der Lektüre des zweiten Rätsel-Textes (Definition) hat man den Eindruck, es wird hier die Schule Eden beschrieben, wo «jede einzelne lernende Person ein Lernziel erreichen kann», wo «alle Lernenden Fortschritte machen können», «in einem Klima der gegenseitigen Verbundenheit und des gegenseitigen Verständnisses», in einem Umfeld, «in dem die Manifestationen der Diversität legitim sind», um so «das Potenzial aller Lernenden zu maximieren». Was ist das?!? Die Manifestation der naiven Peinlichen? Tragen die Autoren solcher Zeilen ein unverarbeitetes Trauma aus ihrer Schulzeit mit sich rum und träumen sich seither ins Paradies? Oder sind solche Gedanken das Produkt einer subjektiv empfundenen göttlichen Offenbarung? Werden junge, angehende Lehrkräfte in ihrer Ausbildung mit solchen Flausen konfrontiert, verbunden mit dem Anspruch, sie zu verwirklichen, werden sie jedenfalls reichlich Resilienz benötigen, um die Bruchlandung auf dem harten Boden der Realität unbeschadet zu überstehen. Insofern ist dieser Text keine Orientierung für Neueinsteiger in den Lehrberuf, sondern eine Anleitung zum Scheitern. In diesem Sinne ist er bemerkenswert verantwortungslos, pädagogisch subversiv und geradezu hinterhältig.

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