In einem beachtenswerten Referat liess sich Jürgen Oelkers, emeritierter Professor und Erziehungswissenschaftler an der Universität Zürich, im Jahre 2009 zum Thema «Führung und Management von Schulen[1]» wie folgt vernehmen: «Reformen im Bildungsbereich, die tatsächlich etwas bewirken, sind seltene Erscheinungen. Für Erfolg oder Misserfolg gibt es eine Faustformel: Was den Unterricht nicht erreicht, geht verloren. Diese Formel erklärt, warum viele Anstrengungen oft vergeblich waren; sie haben die Akteure verfehlt und blieben der entscheidenden Handlungsebenen gegenüber äusserlich».

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Liest man Oelkers Aussagen, muss aktuell eine ernüchternde Bilanz gezogen werden. Trotz seines «Mahnrufes» hat eine Flut von Reformen die Volksschule durchdrungen; und dies ohne erkennbaren und nachhaltigen Mehrwert. Insbesondere mit dem Lehrplan 21 – der nunmehr 10 Jahre in Kraft ist und nur zögerlich hinterfragt wird – ist das Volksschulsystem in Schieflage[2] geraten. Es ist ein Trugschluss zu meinen, dass es die auf Hyperaktivismus basierenden Reformen sind, welche eine Topschule ausmachen.
Das Erfolgsrezept heisst «Weniger ist mehr» und beruht auf wenigen, jedoch wichtigen Faktoren, deren Beachtung eine glaubhafte und kompetente Schulleitung ausmachen.
Gelingensfaktoren
- Einheitliche Rahmenbedingungen, klare Strukturen und Prozesse
Mit Einheitlichkeit und Klarheit werden Ambivalenzen auf allen Ebenen der Schule vermieden. Sie führen zu präzisen Definitionen der Aufgaben und Kompetenzen der Beteiligten. Zu dieser Homogenität zählen Grundsätze, Verständnis und Prinzipien; und dies mit Wirkung nach innen wie nach aussen.
- Entscheidungsstrukturen
Der Einbezug der Lehrpersonen – allem voran bei grösseren Schulentwicklungsprojekten mit Breitenwirkung – ist eine zwingende Voraussetzung. Reformvorhaben, die von der Schulleitung gegen den Willen des Kollegiums durchgedrückt werden, verpuffen und können im Lehrkörper zu Verwerfungen führen. Allem voran erreichen sie die Ebene des Unterrichts nicht.

Trotzdem gilt – um dem Phänomen der manchmal in der Bildungswelt erwarteten Basisdemokratie zu begegnen – die Formel des so genannten «zweiten Drittels[3]». Wenn eine deutliche Mehrheit der Lehrpersonen einem Vorhaben der Schulleitung zustimmt, dann soll dieses entwickelt und umgesetzt werden.
- Egalität der Schulleitungspersonen und der Lehrpersonen
An den meisten Volksschulen stehen Ko-Leitungen in der obersten und einzigen Hierarchiestufe. Eine Institution in einem mehrköpfigen Team zu steuern, gilt in der Führungslehre als Herausforderung. Die Unterschiede der einzelnen Leitungspersonen bezüglich Persönlichkeit[4], Ausbildung, Professionalität, Problemsicht, Reflexionskompetenz usw. stellen für die Lehrpersonen oft eine anspruchsvolle Gegebenheit dar. Sie führt mitunter zu Akzeptanzproblemen; insbesondere dann, wenn sich übertriebene Führung und/oder Opportunismus bemerkbar machen.
Homogenität im Lehrpersonen-Kollegium ist ebenso erstrebenswert. Zu den zentralen Aufgaben einer Schulleitung gehört deshalb auch die Auswahl geeigneter Lehrpersonen[5] mit ausgeprägtem pädagogischem Kern. Dieses Vorhaben ist bei der heutigen Arbeitsmarktsituation rund um den Lehrberuf alles andere als einfach. Trotzdem muss die Erkenntnis «Unterrichten ist Beziehungsarbeit» leitend sein.
Der Wechsel von «Ich und meine Klasse» zu «Wir und unsere Schule» ist eine Grundvoraussetzung, um die Schule als lebendigen Organismus zu verstehen.
- Perspektivenwechsel
Der Wechsel von «Ich und meine Klasse» zu «Wir und unsere Schule» ist eine Grundvoraussetzung, um die Schule als lebendiger Organismus zu verstehen. Das Einzelkämpfertum in der Schulstube hat längst ausgedient; was nicht bedeutet, dass Persönlichkeiten mit Individualitäten keinen Platz mehr haben. Im Gegenteil sollen diese mit ihren Stärken in die Gemeinschaft eingebunden werden. Kurz: Es kann keine erfolgreiche Schule entstehen, wenn ein solcher Sichtweisen-Wechsel nicht stattfindet.
Auf der Ebene der Lehrpersonen muss der primäre Fokus der Weiterbildungen auf dem Unterricht liegen.
- Personalentwicklung durch Weiterbildungen
Fortbildungen im Bereich Schulführung müssen stets einen Praxisbezug mit hoher Transferqualität aufweisen. Der Mehrwert jeder Weiterbildungs-Investition soll sicht- und spürbar sein.
Auf der Ebene der Lehrpersonen muss der primäre Fokus der Weiterbildungen auf dem Unterricht liegen. Hier sind es neben der fachlichen Kompetenz die Pädagogik, die Methodik und Didaktik, die immerzu à-jour gehalten werden müssen. «Gute und schlechte Klassen sind gut geführte oder schlecht geführte Klassen.» Diese Differenzierung in Oelkers Aussage ist bekannt: Die Qualität im und rund um den Unterricht steht und fällt mit der Lehrperson. Das professionelle Knowhow und Können spielen eine entscheidende Rolle.
Übernehmen Lehrpersonen von der Schulleitung delegierte Funktionsaufgaben, dann sollen sie sich das entsprechende Knowhow unter anderem durch gezielte Weiterbildungen aneignen können.
- Belastungsreduktion
Länger dauernde Arbeitsüberlastungen sind gesundheitsgefährdend. Zum einen sind es die zeitaufwändigen Leitungsarbeiten mit all ihren Facetten, welche zu Überläufen führen. Hier lohnt es sich beispielweise, schul-administrative Themen[6] an eine dafür geeignete

Schulleitungsperson auszulagern. Zum anderen sind es die mehrfach erwähnten Reformen, welche den Charakter von Nebenschauplätzen aufweisen und den Kernbereich Unterricht nicht oder nur marginal erreichen.
Überlastungen auf Lehrpersonen-Ebene sind stets subjektiv empfundene Phänomene. Sie treten bei stark engagierten Lehrpersonen häufiger aus. Im ganzen Lehrkörper jedoch haben die administrativen Zusatzbelastungen in den letzten Jahren zugenommen. Es gehört zu den Aufgaben der Schulleitung, hier genau hinzuschauen und den Lehrpersonen den Rücken freizuhalten. Insbesondere sind sie von modischen Strömungen in Form fragwürdiger Reformen zu verschonen. Die Kernaufgabe der Lehrpersonen heisst – wofür sie notabene ausgebildet sind – professionell unterrichten.
- Evaluationen und Qualitätsmanagement
Jedes Schulentwicklungsvorhaben soll solide angedacht werden. Zu Grunde liegen muss ein professionelles Projektmanagement[7]. Zu einem solchen gehört stets die Evaluation, welche an die Umsetzung anschliesst und Teil eines Qualitätskreislaufes[8] ist.
Das Qualitätsmanagement an einer Volksschule soll zudem geeignete Instrumente umfassen, die letztlich dem Unterricht zugutekommen müssen. Dazu gehören auch periodische Zufriedenheitsbefragungen bei den Schülerinnen und Schülern, den Lehrpersonen und den Erziehungsberechtigten.
Fazit
Die Führung und Steuerung einer Volksschule ist eine wichtige und edle Aufgabe. Um erfolgreich zu sein, braucht es Engagement und Professionalität auf allen Ebenen: «Die richtigen Dinge tun und die Dinge richtig tun», so ein Merksatz für das erfolgreiche Gelingen. Zudem braucht es von der Führung her Mut und Gelassenheit, nicht unreflektiert auf die ständigen Strömungen in der Bildungswelt aufzuspringen. Die Sinnfrage nach den Wirkungen auf der Unterrichtsebene zu stellen, gehört zur primären Aufgabe einer kompetenten und verlässlichen Schulleitung.
[1] Teilautonome Volksschulen (TaV). Um die Jahrtausendwende herum wurden im schweizerischen Volksschulbereich Projekte rund um das Thema
TaV durchgeführt und evaluiert. Zielsetzung war es, von der globalen Steuerung durch behördliche Vorgaben wegzukommen und sich hin zu
teilautonomen autonomen Schulen mit je einer Führungsstruktur zu entwickeln. Schulleitungen gab es vorher lediglich an Gymnasien und an
Berufsfachschulen.
[2] Gerber, N. (2025). Die Volksschule ist aus dem Gleichgewicht geraten.
https://condorcet.ch/2025/04/die-volksschule-ist-aus-dem-gleichgewicht-geraten/
[3] Gerber, N. (2023). Das zweite Drittel gewinnen. Schulführung im Alltag. NORDWÄRTS.
[4] Gerber, N. (2024). Führungsperson vs. Führungspersönlichkeit – oder: Die Bedeutung des Charismas.
https://condorcet.ch/2024/10/fuehrungsperson-vs-fuehrungspersoenlichkeit-oder-die-bedeutung-des-charismas/
[5] Gerber, N. (2023). Der pädagogische Kern. Schulführung im Alltag. NORDWÄRTS.
[6] Beispiele: Personaladministration, Finanzen, Infrastruktur, Informatik, Personal- und Pensenadministration, etc.
[7] Gerber, N. (2023). Das Dinosaurier-Delfin-Paradigma. Schulführung im Alltag. NORDWÄRTS.
[8] Gerber, N. (2023). Die dunkle Seite des Mondes – oder: Wo beginnt die Qualität? Schulführung im Alltag. NORDWÄRTS.
Es ist ganz einfach: Die Zunahme narzisstischer Tendenzen und Prägungen ab der Stufe Schulleitung bis hin zur Stufe Regierungsrat korrelliert mit der Zunahme sinnloser Reformen, die lediglich das Ettikett tragen: ICH habs gemacht!
Leidtragende sind engagierte Lehrerinnen und Lehrer und deren Schülerinnen und Schüler. Doch das interessiert die Narzissten nicht.
Ein Text, der viele Fragezeichen aufwirft und Widersprüche stehen lässt:
1. «Klare Strukturen und Prozesse». Das ist eine dieser Floskeln aus der Management-Welt, die gut tönen, bei denen aber nie klar ist, was im schulischen Umfeld genau gemeint ist. Bei einer Bäckerei, einem Recycling-Werk kann ich mir das gut vorstellen. Was aber bitte ist in einer Schule damit gemeint? Bitte konkreter!
2. «Schulentwicklungsprojekt». Wozu braucht es Schulentwicklungsprojekte? In der Schule ist alles Entscheidende von den Erziehungsbehörden vorgegeben: Lehrplan, Lehrmittel, Stundenplan, Übertrittsbedingungen, Leistungszüge, Freiräume. Alles andere wirkt belanglos: Wo stellen wir Papierkörbe auf? Wie viele Stunden Arrest gibt Schwänzen? Ist diese Ebene gemeint? Was gibt es da zu entwickeln? Bitte konkretisieren!
3. «Homogenität im Kollegium»: Wenn eine Schulleitung gewählt wird (von den Behörden, nicht mehr basisdemokratisch von den Lehrpersonen!), trifft sie ein Lehrerkollegium an, das vermutlich alles andere als «homogen» ist. Das ist die simple Realität. Die Kunst ist es nun, dieses Kollegium trotz seiner Heterogenität unparteiisch führen zu können, die Individualität eben nicht abzuwürgen durch ideologisch begründete «Entwicklungsprojekte». Im Gegensatz zu Wirtschaftsbetrieben ist in Schulen Offenheit und Vielseitigkeit gerade das Wünschbare. Soll doch die Kollegin im Nebenzimmer anders unterrichten, wenn sie damit das Ziel ebenso gut erreicht. Wem schadet das? Schulen produzieren nicht gleichartige Autos, sondern bilden individuell verschiedene Kinder und Jugendliche. Auch dieses Kapitel ist schwammig: Einerseits findet Gerber den Unterricht, den die Fachperson zu verantworten hat, entscheidend, anderseits betont er, «Wir und unsere Schule» seien übergeordnete Ziele. Ein Widerspruch: Man kann nicht alles haben, man muss sich entscheiden.
Lieber Felix
Wir haben anscheinend unterschiedliche Schulen durchlaufen. Du erkennst Widersprüche in meinem Beitrag, die ich nicht erkenne und auch nicht teile. Klare Strukturen und Prozesse an einer Bildungsinstitution sind das A und O einer funktionierenden Organisation. Und dass sich eine Schule weiterentwickeln muss, scheint mir ebenso selbstverständlich. Dass kann im Übrigen ohne die vielen Reformen sein. Homogenität im Kollegium bezieht sich insbesondere auf die pädagogische Eignung einer Lehrperson, welche von einer Schulleitung beurteilt werden muss. Ich spreche nicht von Methodik und Didaktik, die zur Lehrfreiheit gehört. Und “Wir uns unsere Schule” entspricht meiner tiefen Überzeugung, dass Schule nur so funktioniert.
Lieber Niklaus
Ich muss Felix recht geben. In meiner ganzen Unterrichtszeit habe ich, was schulleitungsinitierte Vorgaben anbelangt, vor allem Leerläufe erlebt. Angefangen bei den verlogenen Leidbildern. Klar war wenig, eingehalten wurden etwa ebenso wenig.
Dann diese ewige Weiterentwicklung. Ja wohin entwickelt sich die Schule denn? Etwa dahin, dass Siebtklässler bei der Rechnung 6×8 ins Studieren kommen? Oder Texte in der Unterrichtssprache kaum verstehen?
Und schlussendlich der Kracher “Homogenität”. Tatsächlich scheint das ein bildungsdirektorischer Anspruch zu sein an Schulleitungen, bei der Auswahl neuer Lehrpersonen auf Homogenität zu achten. Will heissen: Die Abnickerfraktion im Kollegium aufzustocken, damit man alt und renitent gewordene Mühsamkolleginnen und -kollegen besser entsorgen kann.
Ich weiss nicht, was du für ein Bild von Schule hast. Der Durchschnittsschule in diesem Land entspricht es m. E. in keiner Art und Weise.
Lieber Daniel
Siehe mein Kommentar an Felix vom 2. Juni 2025, 07:06 Uhr.
Was hat das mit den Schulen zu tun, die wir “durchlaufen haben”? Noch immer vermisse ich wenigstens ein konkretes Wort zu “Strukturen und Prozesse”: Was ist beispielsweise damit gemeint? Was genau ist eine Struktur und ein Prozess in der Schule? Man müsste das doch benennen können, wenn es das A und O sein soll! Was ist mit “Weiterentwicklung” gemeint? Ganz konkret: Inwiefern weiterentwickeln? Ändert die Mathematik: Gibt 1 + 3 plötzlich 6, wird die Wandtafel durch ein Whiteboard ersetzt? Was genau ist “Weiterentwicklung” denn bitte? Die pädagogische Eignung einer Lehrperson: Müsste die nicht in der Ausbildung an der PH und in den Praktika überprüft werden? Garantiert nicht das Diplom die Eignung? Muss die Eignung nicht vor der Anstellung geklärt sein? Auf diese Fragen hätte ich gerne Antworten, und zwar keine abstrakten Floskeln, sondern konkrete Aussagen.
Lieber Felix
Zu deinem Anliegen: Zu den STRUKTUREN einer Schule gehört, wie sie sich intern organisiert hat. Häufig wird das in einem Organigramm ausgedrückt, wo Zuständigkeiten und Funktionen für bestimmte Themen ersichtlich sind. An einer Volksschule können das beispielweise Zyklus- oder Stufenverantwortliche, Fachverantwortung Informatik, Betreuung der Homepage, etc. sein. – PROZESSE sind wiederkehrende (Verfahrens-)Abläufe. Sie dienen der Schule und damit den Lehrpersonen, wie bei bestimmten Themen vorzugehen ist. Dazu gehören beispielsweise die Einführung neuer Mitarbeitenden, das Vorgehen bei Reklamationen/Kritik von Eltern, Vorgehen bei Mobbing, etc. – WEITERENTWICKLUNG hängt mit der Frage zusammen, ob wir als Schule (noch) besser werden können. Die Frage muss sich jede Organisation und damit auch jede Schule stellen, was auch gemacht wird. – PÄDAGOGISCHE EIGNUNG. Ein PH-Abschluss alleine ist keine Garantie, sondern lediglich eine Voraussetzung. Die Schulleitung und Anstellungsbehörde müssen entscheiden, wen sie in ihr Lehrpersonen-Team aufnehmen wollen. –
Ich möchte den Diskurs an dieser Stelle damit gerne abschliessen.
Danke, das tönt nun schon viel konkreter. Ich habe noch nie eine Schule erlebt, in der solche Dinge (Ämtli, Mentorate, Fachkommissionen, Homepage, etc.) nicht selbstverständlich geregelt werden. Gemeint ist also: Organisation und Abläufe. Das wollte ich wissen. Die Begriffe “Strukturen und Prozesse” sind dafür wohl etwas grossspurig. Vieles hängt dabei übrigens vom Budget ab, das zur Verfügung steht und über das eine Schulleitung verfügen kann. Schwierig oft, wie das Geld verteilt wird. Das schränkt auch die “Weiterentwicklung” ein. Da finde ich das Wort “Verbesserung” ebenfalls sympathischer, denn in der Regel stellt man irgendwo einen Mangel fest. Dann sucht man Ideen, wie man diesen beheben kann. Es gibt eben hochtrabende Reizwörter, deren Häufung den Praktiker schnell skeptisch machen. Übrigens schön, wenn die Anstellenden eine Auswahl haben und nicht einfach diejenigen nehmen müssen, die zur Verfügung stehen, z.B. in Mathematik oder Französisch.
Perfekt kommentiert. Herzlichen Dank.
Ich meine den Kommentar von Felix Schmutz. Genau so ist es doch.