8. April 2025
Rassismus an der Schule

Eine ganz gewöhnliche Rassismusklage

Condorcet-Autor Alain Pichard beschreibt in seinem Beitrag minutiös, wie ein Problem mit einem Schüler in eine Rassismusdebatte münden kann. Nicht zum Vorteil der Betroffenen.

Vor zwei Jahren kam Rebim* in die Kleinklasse (Sorry, man sagt natürlich “Förderklasse”)von Verena Kuster*. Drei Jahre lang war er in einer Agglomerationsgemeinde Schüler in einer Regelklasse. Durch einen Umzug kam er in ein Schulhaus, wo es noch eine Kleinklasse mit einer Heilpädagogin wie Verena gibt. Rebim, der vom Alter her eigentlich in eine 9. Abschlussklasse gehörte, konnte dort das 8. Schuljahr besuchen. Verena bemerkte sofort, dass Rebim, der aus der Republik Kongo stammt, kaum Deutsch verstand. Nachdem sie festgestellt hatte, dass Rebim in der früheren Regelklasse mehr oder weniger da sass, nichts mitbekam und kaum gefördert wurde, machte sie sich an die Arbeit. Sie begann mit einem intensiven individuellen Sprachunterricht. Bald jedoch merkte sie, dass Rebim auch einfachste Zusammenhänge nicht verstand. Seine eigene Muttersprache konnte er nicht schreiben oder lesen. Sie liess ihn abklären.

Alain Pichard, Lehrer Sekundarstufe 1, GLP-Grossrat im Kt. Bern und Mitglied der kantonalen Bildungskommission: Mein Sohn wurde im Stich gelassen!

Diese Abklärung ergab, dass Rebims kognitive Fähigkeiten unabhängig von seinem Migrationshintergrund dem eines 2. Klässlers entsprach. Mit anderen Worten: Rebim war klar nicht in einen normalen Arbeitsmarkt integrierbar. Er erhielt Speziallektionen als Unterstützung und konnte so eine angenehme Schulzeit verbringen. Besonders angetan hatte es ihm der Musikunterricht. Er war auch Mitglied der Schulhausband.

Doch der Austritt aus der obligatorischen Schulzeit stand bevor und Verena wusste, dass Rebim keine Anschlussmöglichkeiten hatte. Sie organisierte für Rebim darauf einen Platz in einer geschützten Werkstatt mit weiterer Schulförderung. Die Bedingung für die Aufnahme war allerdings eine IV-Anmeldung, bzw. deren Anerkennung.

Als Verena dies der Mutter von Rebim vorschlug, lehnte diese ab. Sie hatte bereits grosse Mühe zu akzeptieren, dass ihr Sohn in einer Kleinklasse eingestuft wurde. Als Verena ihr erklärte, dass sie eine IV-Anmeldung machen sollte, meinte sie entrüstet: «Mein Sohn ist nicht behindert»

Ein 2. Gespräch im Beisein der Schulleitung änderte nichts an ihrer Haltung. Und so kam es wie es kommen musste. Rebim verliess die Schule ohne Anschluss. Nach den Sommerferien kam er zur Schule, hing dort etwas herum, kam schliesslich rein und ging dann zum Musikraum, wo ihn sein ehemaliger Musiklehrer begrüsste. Er kam immer wieder mal vorbei, was auch von Verena bemerkt wurde. Die Hektik der ersten Schultage aber verlangten von allen Lehrkräften die volle Aufmerksamkeit. Nach zwei Wochen kamen die ersten SMS von Seiten der Mutter von Rebim an Verena. Sie waren voller Vorwürfe. Ihr Sohn sei im Stich gelassen worden. Die Schulleitung riet Verena, nicht mehr auf die SMS zu reagieren. Schliesslich folgte eine Droh-SMS. Die Mutter kündigte an, sie werde morgen in die Schule kommen, dann passiere etwas. Verena informierte die Schulleitung. Der Schulleiter versprach, im Fall eines Besuchs an Ort zu sein.

Plötzlich sagte die Frau, dass Verena ihrem Sohn mehrfach das N-Wort an den Kopf geschleudert habe. Sie habe sich rassistisch verhalten. Das habe ihr ein Mitschüler von Rebim erzählt.

Tatsächlich betrat die Mutter von Rebim am kommenden Tag die Schule. Sie ging schnurstracks zum Klassenzimmer von Verena und begann, sie wüst zu beschimpfen. Der Schulleiter kam hinzu und versuchte die Mutter zu beruhigen. Man sagte der Mutter, dass sie sich an die Schulbehörden wenden solle, die würden ihr sicher helfen. Die Mutter liess sich aber nicht besänftigen. Plötzlich sagte die Frau, dass Verena ihrem Sohn mehrfach das N-Wort an den Kopf geschleudert habe. Sie habe sich rassistisch verhalten. Das habe ihr ein Mitschüler von Rebim erzählt.

Die noch sehr junge Verena ist in den Augen des Kollegiums und auch ihrer Schüler eine der engagiertesten, fleissigsten und migrantenfreundlichsten Lehrerinnen, die man sich vorstellen kann. Fremdenfeindlichkeit oder rassistische Beleidigungen sind mit ihrer Persönlichkeit vollkommen unvereinbar.

Eine Zwischenbemerkung für unsere Leserinnen und Leser: Die noch sehr junge Verena ist in den Augen des Kollegiums und auch ihrer Schüler eine der engagiertesten, fleissigsten und migrantenfreundlichsten Lehrerinnen, die man sich vorstellen kann. Fremdenfeindlichkeit oder rassistische Beleidigungen sind mit ihrer Persönlichkeit vollkommen unvereinbar. Es kann sein, dass der Schulleiter in dieser Situation den Kopf geschüttelt hat. Auf jeden Fall ging die Frau, wie geheissen auf die Schuldirektion, nicht etwa, um sich über eine Lösung für Rebim zu informieren, sondern um die Behörden darüber zu informieren, dass Verena und die Schulleitung sich ihr und ihrem Sohn gegenüber rassistisch verhalten hätten.

Man riet ihr, auf die Rassismusberatungsstelle zu gehen, wo sie schliesslich auch eine Anzeige deponierte. Die Rassismusberatungsstelle forderte das Schulamt auf, eine Erklärung zu liefern, das Schulamt bat Verena und die Schulleitung um eine Stellungnahme. Der erfahrene Schulleiter erledigte diese Stellungnahme professionell, Verena konnte kaum noch schlafen.

Der Schulamtsvorsteher leitete die Stellungnahme an die Rassismusberatungsstelle weiter. Aber nicht nur das. Man sorgte dafür, dass Rebim die IV-Anmeldung nachholen konnte, organisierte für ihn einen Platz in der besagten geschützten Werkstatt mit Schulunterricht. Rebim darf diese nach den Herbstferien besuchen, sofern die IV-Anmeldung jetzt auch vollzogen würde.

Da sich der Rassismusvorwurf von Rebims Mutter auf nicht mehr eruierbare Drittpersonen bezog, riet man der Mutter, die Anzeige zurückzuziehen. Nach einem klärenden Gespräch tat sie dies auch.

Verena kann wieder schlafen, Rebim wird vermutlich eine Anschlusslösung erhalten und viele Leute in der Verwaltung und der Rassismusberatungsstelle waren beschäftigt.

Insgesamt 301 Fälle zählten die Rassismusberatungsstellen 2023: Das ist nicht mal einer pro Tag, darunter keine einzige Gewaltanwendung. Bei einer Bevölkerung von 8,4 Millionen, wobei ein Viertel davon Migranten sind, eigentlich eine überschaubare Zahl. Trotzdem fordert die Präsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, Martine Brunschwig-Graf, einen besseren Opferschutz, sprich neue Gesetze: «Der gesetzliche Schutz vor Diskriminierung ist in der Schweiz ungenügend.» Dabei wird die ominöse Dunkelziffer ins Feld geführt. Viele rassistische Vorfälle würden, so eine Rassismusberaterin, gar nicht erst angezeigt.

Man darf gespannt sein, ob die geschilderte Gegebenheit als 302. Vorfall Aufnahme findet oder in die Sammlung der Dunkelziffer abgesondert wird.

*alle Namen geändert und der Redaktion bekannt

 

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