16. September 2024
Jugendsprache

Wallah, Drip und Rizz: Sprechen Sie Pausenplatz? Eine Übersetzungshilfe zum Schulstart

Wenn Teenager untereinander reden, verstehen Eltern oft kein Wort. Was heisst sus? Was ist ein Talahon, oder was bedeutet Mewing? Und warum reden plötzlich alle arabisch? Ein Artikel der “NZZ am Sonntag”von den Journalisten Sascha Batthiany und Andrea Bornhauser.

Die Sommerferien sind vorbei. Wir plauderten, so gut es eben ging, mit dem Bagnino auf Italienisch über die Quallenplage, beschwerten uns in Aix-en-Provence holprig auf Französisch über die wässrige Bouillabaisse oder waren stolz, wenn wir in Athen kapierten, was der Taxifahrer nuschelte.

Doch es gibt eine Fremdsprache, direkt vor unserer Haustüre, von der verstehen wir kein Wort: diejenige, die Kinder und Jugendliche in der Schule und auf der Strasse reden. Oder checkt jemand, warum nur Chabos wissen, wer der Babo ist?

Eben.

Gastautor Sascha Batthyany, Journalist bei der NZZ

Mit kümmerlichen Sprachkenntnissen (oder einer Übersetzungs-App) kann man sich in den Pizzerien von Trastevere, in Ramatuelle oder auf Mykonos zwar durchschlagen. Aber auf den Pausenplätzen dieses Landes wären wir alle Noobs und völlig lost.

Deshalb haben wir uns bei den Teenies umgehört, haben sie befragt oder heimlich belauscht und neue Ausdrücke eingefangen wie Schmetterlinge.

Sprache als Spiegel der gesellschaftlichen Veränderung

Sprache lebt, sie entwickelt sich und ist ein Spiegel gesellschaftlicher Veränderung. Gerade der Jugendslang war schon immer ein popkultureller Seismograf und eine nicht versiegende Inspiration für Linguistinnen und Linguisten.

Noch vor ein paar Jahrzehnten empörten sich Puristen über Anglizismen, die sich in den deutschen Sprachraum eingeschlichen hatten. Plötzlich war alles cool, man war entweder ausgepowert oder total relaxed. Ab den nuller Jahren kam der sogenannte Balkanslang hinzu, Sätze wurden abgehackt und zusammengezurrt, gömmer Migros – und überhaupt war plötzlich alles: “voll krass, Mann!”

In der Sprache ist es nicht wie in der Mode, in der ein Trend den anderen verdrängt. Vielmehr werden neue Wörter mit alten vermischt.

Der Balkanslang ist nicht vorbei, ebenso wenig sind Anglizismen out. Im Gegenteil, dank Tiktok-Trends und der Beliebtheit von Videogames kommen ständig neue dazu.

Ein bisschen wie Fernost

Heute sprechen Jugendliche kehlige und harte schweizerdeutsche Laute wie etwa das K bei Klasse oder das Ch beim schweizerdeutschen Wort Chind plötzlich weicher und pointierter aus: Teenies in Zürich sagen Khind oder Schuelkhlass, ähnlich vielleicht, wie man es in Basel sagen würde. Ihre Gespräche klingen wie ein verspielter Singsang, mal weich, mal hart – ein bisschen wie in einer fernöstlichen Sprache.

Sowieso fliessen immer mehr arabische Wörter und Ausdrücke in den jugendlichen Sprachgebrauch.

Gastautorin Andrea Bornhauser, Journalistin bei der NZZ.

Neuerdings begrüssen sich Schweizer Mittelstandskids mit Habibi statt mit Bro oder hängen Wallah! an jeden Satz. Und wenn sie sich beeilen müssen, rufen sie, als befänden sie sich auf einem Markt in Kairo: “Yallah, yallah!”

Eine Erklärung für die Orientalisierung ist, dass viele Teenager gerne Deutschrap hören und imitieren, was ihre Vorbilder mit Migrationshintergrund wie Capital Bra, Samra, L Loko & Drini, Mc Hero, EAZ oder Pashanim von sich geben.

Dass es sich ebenso um kulturelle Aneignung handelt, wenn ein nichtmuslimischer Mensch aus reiner Coolness alhamdulillah ruft, wie wenn weisse Menschen Dreadlocks tragen, scheint plötzlich nebensächlich.

 

Wenn hingegen Erwachsene meinen, diese neuen Jugendwörter jetzt auswendig lernen zu müssen, ist das keine gute Idee.

Denn es gilt, die wichtigste aller Regeln zu beachten: Wer älter als 30 Jahre alt ist, soll die Ausdrücke zwar verstehen, aber bitte nicht benutzen.

Und schon gar nicht, um den eigenen Kindern und deren Freunden gefallen zu wollen. Es wäre zu cringe.

A

AFK – Kommt aus dem englischen Gaming-Vokabular und bedeutet away from keyboard. Beispiel: «Er isch grad AFK» beschreibt jemanden in einer Runde, der geistig abwesend scheint.

Aura – Begriff von Tiktok, bedeutet Ausstrahlung, die durch coole Taten und Aktionen verliehen wird. Beispiele: Wenn jemand auf dem Pausenplatz strauchelt und hinfällt, bekommt er oder sie «eine harte Minus-Aura». Wer hingegen beim Badi-Ausflug vor der Klasse einen Backflip macht, kann eine «Plus-Aura» einheimsen.

B

baba – Heisst auf Türkisch Vater und umgangssprachlich so viel wie cool oder fein. Beispiele: “Dieser Kebab ist voll baba” oder “Ich habe baba Noten dieses Semester”.

Babo – Bezeichnet auf Kurdisch einen Boss. Beispiel: “Chabos (siehe C) wissen, wer der Babo ist”, Liedtitel des Deutschrappers Haftbefehl.

Bro – Abkürzung des englischen brother, wird als Anrede benutzt. Beispiel: “Hey Bro, was gaht?” Kommt auch als Bra oder Brate vor, vom russischen Begriff brat für Bruder.

C

Chadface – Übertrieben männliche Gesichtszüge: breite Kieferknochen, Jawline (siehe J), volle Lippen, hohe Wangenknochen, Bartwuchs. Daraus entstanden sind ein Tiktok-Trend und ein Chadface-Filter. Beispiel: «Er isch voll hot mit sim Chadface.» Siehe auch: Mewing.

Chaya und Chabo – Attraktives Mädchen, attraktiver Junge oder einfach ein Kumpel. Abgeleitet vom arabischen schabo für Junge und schaba für Mädchen. Im Hebräischen bedeutet chaya so viel wie lebendig oder Leben.

cringe – Bereits seit längerem im Umlauf. Wird von einigen schon nicht mehr verwendet, weil das Wort immer mehr Erwachsene übernehmen. Es drückt das Gefühl des Sichfremdschämens aus, etwas ist cringe, wenn es peinlich oder unpassend ist.

chillen – Sich beruhigen, sich entspannen nach der Schule oder Arbeit. Auch als Aufforderung an alle Eltern gedacht, die ihre Teenager bitten, ihre verdammte Sauerei im Zimmer aufzuräumen: “Hey, chill’s mal, Dad!”

D

Drip – Jemand, der drippt, sieht gut aus, hat einen guten Style.

delulu – Abkürzung des englischen Wortes delusional, also wahnhaft. Jemand ist delulu, wenn er oder sie an etwas glaubt, was unrealistisch ist. Beispiel: “Voll delulu, dass du glaubst, Taylor Swift würde dir auf Insta zurückschreiben.”

E

Ehrenfrau/Ehrenmann – eine Person, die ein ehrenhaftes Verhalten an den Tag legt, auf die man sich verlassen kann. Beispiel: “Er hät mir voll en Platz reserviert, sonen Ehrenmann!”

F

Ja, fix! – Heisst so viel wie “Ja, klar!” oder “Ja, eh!”.

flexen – Angeben. Beispiel: “Er flext mit seinen Noten.”

G

gottlos – Verstärkungswort, anzuwenden wie mega oder voll. Beispiel: “Das ist gottlos geil!”

geil – Das Wort aus der eigenen Kindheit erlebt momentan, wie alles aus den Neunzigern, ein Revival auf dem Pausenplatz.

H

Habibti/Habibi – Aus dem Arabischen, liebevolle Bezeichnung für Geliebte/Geliebter, heute Kollegin/Kollege.

Hajde! – Kroatisch für “Hopp!” und “Auf geht’s, wir müssen los!”.

I

“Ich küss dis Herz / Ich küss dini Auge” – Spruch, um seine Dankbarkeit auszudrücken, etwa wenn ein Kumpel ein Getränk ausgibt. Beliebte Redewendung aus dem arabischen Sprachraum.

J

Jawline – Ausgeprägte Linie, die vom Unterkiefer bis zum Kinn verläuft – gilt als attraktiv bei Jungs. Auch bekannt als Torjubel, bei dem mit dem Finger entlang der Jawline gestrichen und dann der Zeigefinger vor die geschürzten Lippen gehalten wird.

K

Kaputt nöd! – Heisst so viel wie “Sicher nöd!”, “Auf keinen Fall!” – Steigerungsform von “safe nöd”, was dasselbe bedeutet, nur weniger krass.

Karen – Begriff aus den USA für eine mittelalte, weisse Cis-Frau mit konservativen Ansichten. Jugendliche bezeichnen aber gerne nervende, strenge Mütter als Karens. Beispiel: “Das isch jetzt voll en Karen-Move gsi, Mami!”, wenn diese ihnen etwa die Spielkonsole aus den Händen reisst. Oder die ungesunde Packung Chips.

L

Lelek – So wird im osteuropäischen Sprachraum ein dummer, einfältiger Mensch und Handlanger bezeichnet. In Polen bezeichnet man einen Ziegenmelker als lelek. Der Begriff wird als Beleidigung verwendet.

lost – Englisch für verloren, verwirrt, kann aber auch unsicher bedeuten. Beispiel: “Hey, Alte, du bisch so lost.”

M

Mewing – Eine Art Technik, um die eigene Jawline zu verbessern. Wird angewendet, wenn man fotografiert wird oder ein Selfie von sich macht. Man beisst die Zähne zusammen und presst die Zunge oben an den Gaumen. Beispiel: “Achtung, Selfie, mach Mewing!”

Mogging – Trend von Tiktok, der viral gegangen ist und nun im Alltag verwendet wird. To mog bedeutet, die Gewissheit zu haben, the hottest person in the room zu sein, also äusserlich am attraktivsten. Beispiel: “Sie hät die andere uf dem Bild voll gmoggt.”

N

NPC – Kommt aus dem englischen Gaming-Vokabular und bedeutet non-player character (eine Spielfigur ohne Mission). Auf dem Pausenplatz werden damit langweilige, zu angepasste, brave Mitschüler bezeichnet. Solche, die kein Rizz (siehe R) haben.

Noob – Aus dem Gaming-Vokabular, bezeichnet einen Anfänger, ein Greenhorn, einen Neuling, wird auch IRL (in real life) angewendet.

O

OG – Aus dem Englischen, ein Original Gangster, eine reale Person, tritt authentisch auf und hat viel Street-Credibility, also die Glaubwürdigkeit der Strasse. Wird oft in amerikanischen Rap-Songs verwendet.

P

Pick-me-Girl – Ein “Bubenmädchen”, abfälliger Begriff für Mädchen, die mehr mit Jungs als mit Mädchen abhängen und sich mit ihnen verbünden, so reden wie sie, dasselbe tun; angeblich, um nicht wie die anderen Mädchen zu sein – oder aber, um den Jungs zu gefallen.

R

Rizz – Kommt vom englischen charisma. Jemand mit Rizz hat das gewisse Etwas, ist ein Charmeur. Weiterführend “Er isch so en Rizzler!”, “Sie hat W-Rizz (Gewinnerinnen-Charisma) / L-Rizz (Loserinnen-Charisma)”.

random – Wahllos, im Sinn von austauschbar. Weiterführend: “So en Randie”, eine profillose Person.

rasieren – Etwas durchziehen, gewinnen, abliefern. Beispiel: “Nemo hat voll rasiert gestern. Hat alle fertiggemacht.”

S

Shababs/Schababs – Arabisch für männliche Jugendliche, shabab heisst “die Jugend”, hat sich eingedeutscht durch den Song des Berliner Rappers mit türkisch-kurdischen Wurzeln Pashanim namens “Shababs botten”, was so viel bedeutet wie “Jugendliche rennen (vor der Polizei) davon (botten von Turnschuh, laufen)”.

sus – Ausgesprochen sasss, kommt von suspect oder suspicious und stammt aus der Gaming-Welt, aus dem Videospiel “Among Us”. Beispiel: “Bro, irgendwie sus, dass du scho mit de Matheprüefig fertig bisch, sie hät ja erscht vor 5 Minute agfange.”

Side-Eye – Geste, um auszudrücken, etwas sei komisch, pervers, unangenehm. Man blickt mit beiden Augen zur Seite. Kann auch verbalisiert werden. Wenn etwas Komisches passiert ist, sagt man: “Voll Side-Eye”, oder in der Steigerungsform: “Bombastic Side-Eye.”

Snitch – Jemand, der petzt. Beispiel: “Amalia ist eine Snitch.”

Situationship – Ausdruck für eine offene Beziehungsform, die sich in alle Richtungen entwickeln kann. Es ist weder eine Affäre noch eine Langzeitbeziehung, sondern eine Verbindung, die sich im Moment gut anfühlt. Nicht mehr und nicht weniger.

Sigma – Der 18. Buchstabe im griechischen Alphabet bezeichnet einen Typ Mann, der als einsamer Wolf durchs Leben geht – und zwar selbstbewusst und stolz. Im Gegensatz zum Alpha-Mann legt ein Sigma keinen Wert auf gesellschaftliches Ansehen. Da steht er drüber.

slay – Englisch, sich gut fühlen, erfolgreich sein (siehe auch rasieren). Der Begriff to slay stammt ursprünglich aus der afroamerikanisch-queeren Community, genauer aus der New Yorker Ballroom-Szene, wo beim Vogueing gegeneinander getanzt und geslayed wurde.

T

Talahons – Junge Männer, meistens mit Migrationshintergrund, erkennbar an gefälschten Gucci-Caps, Bauchtaschen und Kenzo-Pullovern. Sie treten in Rudeln auf, hören Deutschrap, üben sich im Schattenboxen oder düsen auf Elektrorollern durch die City. Der Begriff stammt vom arabischen Ausdruck Ta’ lahon, was auf Deutsch so viel wie “Komm her!” bedeutet. Seit dem gleichnamigen Song des Deutschrappers Hasan, in dem er zu Gewalt aufruft, bekam der Begriff eine negative Konnotation und wird in Kommentarspalten bereits als rassistische Beleidigung verwendet.

U

ume – Schweizerdeutsch, Abkürzung für umenand, deutsch: umher. Beispiel: “Simmer ume”, “Züri isch ume” – wir sind vor Ort, Zürich ist repräsentiert.

V

Vanilla – Helles Gelb, wird übertragen verwendet, im Sinn von beige, alles eintönig, langweilig. Beispiel: Vanilla-Sex, Vanilla-Girls – die sich gerne im Laden der amerikanischen Mädchenmarke Brandy Melville einkleiden.

W

wallah – Aus dem Arabischen, bedeutet “Ich schwöre bei Gott”. Wird umgangssprachlich für alles verwendet, was man betonen und bejahen möchte.

Y

ya wissich / ya wissikh – Aus dem arabischen Sprachraum (Syrien/Libanon), bedeutet dreckig, schmutzig und ist eine Beleidigung.

ya sippi / ya sibbi – Bedeutet “Du Penis!”, wird oft als hänselnde Anrede für einen Kumpel verwendet. Oder als Ausdruck von Genervtheit, wie “scheisse”, oder als beleidigende Bezeichnung für einen Dummkopf.

yallah – Stammt aus dem Arabischen und bedeutet so viel wie: “Los, beeil dich!” Auch: “Lass uns gehen.” Oder: “Mach’s gut!”

Z

Züri HB – Die Bezeichnung “So richtig Züri HB!” für eine Person meint, sie ist arrogant, hochgestochen, was man früher “tussig” genannt hätte. So die Bedeutung für Aargauer und Solothurnerinnen. Wenn hingegen Stadtzürcher “Voll Züri HB!” sagen, dann könnte auch der Stil der Talahons gemeint sein.

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