In seinem Bühnenstück «Flug nach Milano» erkundigt sich Franz Hohler beim Publikum nach typischen Ausdrücken auf der Höhe der Zeit. «Innovativ!», tönt es von den Zuschauerrängen – «Wie hätten Sie das früher gesagt? Es ist nicht einfach, nicht jedes Wort wird durch ein anderes ersetzt. Früher hätte man sich vielleicht einfach etwas vorgestellt und fertig. Das ist natürlich schon trostlos!»
Nicht ganz so trostlos ist das derzeit inflationär verwendete Vokabular innerhalb des bildungspolitischen Diskurses auf LinkedIn, dem weltweit grössten beruflichen Online-Netzwerk. Im Gegenteil: Begeisterte Bildungs«experten» setzen konsequent auf Prädikate der Superlative. Ob Podcast, Podium oder Netzwerktreffen: Allesamt sind sie «hochspannend», «brillant», «überwältigend», mindestens aber «grossartig».
Nicht minder wortgewaltig gehen die Pauschal-Basher zur Sache. Man solle die Kinder endlich aus den Fängen der unfähigen, ahnungslosen Lehrpersonen befreien. Schülerinnen und Schüler dürften nicht länger auf Gehorsam getrimmt und zu unreflektierten Befehlsempfängern degradiert werden. Die Institution Schule, so wie wir sie kennen, gehöre abgeschafft. Lieber gestern als morgen.
Die Visionäre wiederum setzen auf Metaphorik und glauben, dass es nur dank der Forcierung der Future Skills – also der Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und des kritischen Denkens – gelingen könne, die «alte Schulgrammatik» in einen farbenprächtigen Schmetterling zu transformieren. Als ob der Mensch bis anhin als stummes, isoliertes, fantasieloses und unreflektiertes Wesen auf der Erde gewandelt wäre.
Ein farbenprächtiger Auftritt ist auch den umtriebigen Selbstdarstellern und Event-Hoppern eigen. Mit bunten Flügeln ausgestattet, jetten sie von einer bildungspolitischen Hundsverlochete zur nächsten. Die mediale Berichterstattung über ihr Schaffen – lieber noch über ihre Person – erfüllt sie mit grossem Stolz und Genugtuung, selbst dann, wenn Medienschaffende ihren Reformvorhaben kaum etwas abgewinnen können. Hauptsache, die Medienpräsenz ist hoch.
In den Untiefen des algorithmisch gesteuerten LinkedIn-Beckens treiben zudem zahlreiche Aale ihr Unwesen. Sie verstehen es meisterhaft, konkrete Fragen maximal ausweichend (nicht) zu beantworten, beispielsweise jene nach einer objektiven, exakten und lernwirksamen Alternative zur Notengebung, jenseits ausladender Kompetenzraster und interpretationsbedürftiger Lernberichte. Mal ist die Formulierung der Fragestellung «problematisch», mal wird die Zeichenbeschränkung vorgeschoben, die einen fundierten Gedankenaustausch angeblich verunmögliche – nicht selten im Anschluss an einen 1500 Zeichen langen Rundumschlag in bester Poltermanier.
Doch aufgepasst: Auf andere Sichtweisen reagiert diese Spezies äussert empfindlich. Perspektivisches Sehen ist nicht ihr Fachgebiet. Wer es wagt, den Gottesdienst zu stören, wird gemeldet und blockiert.
Die pädagogischen Schwärmer schliesslich propagieren das Lernparadies der unbeschränkten Selbstentfaltung, jenseits von Leistungsdruck und Verbindlichkeiten. Auf der Suche nach dem Ende des menschheitsumspannenden Regenbogens bestärken sie sich unablässig in Glaubenszirkeln – im Zeitalter der (a)sozialen Medien euphemistisch Bubbles genannt – vorzugsweise mit kindlich verspielten Emojis aller Art.
Doch aufgepasst: Auf andere Sichtweisen reagiert diese Spezies äussert empfindlich. Perspektivisches Sehen ist nicht ihr Fachgebiet. Wer es wagt, den Gottesdienst zu stören, wird gemeldet und blockiert.
Zum Glück finden sich auf LinkedIn und innerhalb unserer Leserschaft auch Bildungsinteressierte, die sich dank ihres breiten Horizonts nicht von den Sirenen der Reformindustrie in die Irre führen lassen, sondern beherzt in die Tasten greifen: faktenbasiert und gehaltvoll. Davon zeugen auch die zahlreichen Reaktionen auf unsere letzte Ausgabe des «lvb inform» im LVB-Forum der Juniausgabe 2024. Überzeugen Sie sich selbst!
Dieser Artikel erschien zuerst in der Juni-Ausgabe des «lvb inform», der Verbandszeitschrift des Lehrerinnen- und Lehrervereins Baselland LVB.
Zum Beitrag “Die Krux mit den sozialen Medien am Beispiel von LinkedIn” ein paar Gedanken. Ich bewege mich seit vielen Jahren auf den Social-Media-Kanälen. Angefangen hat es mit Facebook, um sich mit andern Menschen zu vernetzen und auszutauschen. Anfänglich stand dort Berufliches wie Privates nebeneinander. Dann folgten – insbesondere in der Geschäftswelt – die Plattformen XING und Twitter (heute X) dazu, die für sich ein eigenes Profil aufwiesen. Mittlerweile bin ich auf keinem dieser Kanäle mehr. Mit LinkedIn hingegen existiert heute eine Plattform, die meines Erachtens bedeutsam und auch wirkungsvoll ist. Es scheint mir wichtig, dass “CONDORCET Bildungsperspektiven” mit dabei und aktiv ist. Und anderem ist gerade das Thema “Bildung” hier omnipräsent. Zahlreiche so genannte Reformpädagoginnen und -pädagogen äussern auf diesem Kanal ihre oft futuristischen Ansätze und Konzepte für eine angeblich bessere Schule. Die kritische (Gegen-)Stimme von CONDORCET schein mir deshalb wichtig, um ein Gleichgewicht in den Diskursen zu erzielen.