6. Oktober 2024
Studienerfolgsquote

Freude herrscht(e)!

Obwohl unser Schulsystem durch unzählige Massnahmen in den letzten 20 Jahren so viel zeitgemässer gemacht wurde, liest man mittlerweile allenthalben, dass sich Gymnasien und selbst Universitäten mit basalen fachlichen Kompetenzen in Deutsch und Mathematik herumschlagen und Stütz- respektive Nachhilfekurse anbieten müssen. Roger von Wartburg bedarf der Satire, um all dies auszuhalten.

Der Ausspruch «Freude herrscht!» des ehemaligen Bundesrats Adolf Ogi ist wohl ohne Übertreibung Teil des schweizerischen Kulturguts geworden. Ihren Ursprung hatte die berühmte Aussage 1992 im Verkehrshaus Luzern genommen, wo Ogi mit Claude Nicollier, dem ersten Schweizer im Weltall, telefoniert und seiner Begeisterung über dessen Pionierleistung Ausdruck verliehen hatte.

Roger von Wartburg, Sekundarlehrer, Mitglied der Geschäftsleitung des lvb.

«Freude herrscht!» darf auch für die Performance der Absolventinnen und Absolventen der Baselbieter Gymnasien gelten. Wie das Bundesamt für Statistik ausweist, haben 90.2 % der Maturi und Maturae aus dem Kanton Basel-Landschaft innerhalb von acht Jahren nach Beginn des Bachelorstudiums tatsächlich ein Universitätsstudium abgeschlossen. Diese Studienerfolgsquote ist wahrlich bemerkenswert, schliesslich schafft es Baselland damit auf das innerhelvetische Podium, knapp übertroffen allein von den Kantonen Appenzell Ausserrhoden mit 91.5 % sowie Waadt mit 90.4%. Der gesamtschweizerische Durchschnitt liegt bei 86.1 %, das nationale Schlusslicht bildet unser benachbarter Halbkanton mit einer Studienerfolgsquote von 81.1 %.

Zur Wahrheit dieser Statistik gehört aber auch, dass sich diese höchst erfreuliche Quote auf jene jungen Baselbieterinnen und Baselbieter bezieht, die zwischen 2011 und 2013 ihr Universitätsstudium in Angriff genommen haben. Sie waren folglich grossmehrheitlich in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eingeschult worden, hatten überwiegend in den Nullerjahren ihre Sekundar- und Gymnasialjahre zugebracht und schliesslich vor rund zwölf bis fünfzehn Jahren die Maturitätsprüfungen bestanden.

Weder die HarmoS-bedingte Umstellung von 5/4 (fünf Jahre Primar-und vier Jahre Sekundarschule) auf 6/3 noch die Lancierung der Frühfremdsprachen oder den Paradigmenwechsel hin zur Integrativen Schule haben sie als Schülerinnen und Schüler miterlebt.

Dies bedeutet, dass die besagte erfolgreiche Kohorte von Studierenden während ihrer Schulzeit noch nicht in den Genuss der zahlreichen fortschrittlichen Segnungen gekommen sein kann, die ungefähr ab 2010 die «Gute Schule Baselland» in Gestalt von Strukturreformen, interkantonalen Grossprojekten und Konkordaten grundlegend transformiert haben: Weder die HarmoS-bedingte Umstellung von 5/4 (fünf Jahre Primar-und vier Jahre Sekundarschule) auf 6/3 noch die Lancierung der Frühfremdsprachen oder den Paradigmenwechsel hin zur Integrativen Schule haben sie als Schülerinnen und Schüler miterlebt. Sie hatten sich mit einem vom Umfang her weit bescheideneren Lehrplan begnügen müssen und als phil.II-Wahlpflichtfach auf der Sekundarstufe hatte noch die altbacken übungsintensive «Angewandte Mathematik» anstelle der modernen Modulsammlung «MINT» gedient. Die Promotionsregeln waren deutlich strenger ausgestaltet gewesen als heute und bei weitem nicht allen Fächern wurde das gleiche Gewicht für den Promotionsentscheid beigemessen. Noch nicht einmal identische Stundentafeln für die verschiedenen Leistungszüge der Sekundarschulen hatte es damals gegeben.

Was irgendwie merkwürdig ist: Obwohl unser Schulsystem seither durch die genannten Massnahmen so viel zeitgemässer gemacht wurde, liest man mittlerweile allenthalben, dass sich Gymnasien und selbst Universitäten mit basalen fachlichen Kompetenzen in Deutsch und Mathematik herumschlagen und Stütz- respektive Nachhilfekurse anbieten müssen.

Bildungsreformen brauchen zehn bis fünfzehn Jahre, bis sie wirken, führte der Pädagoge und Publizist Carl Bossard in seinem Beitrag in der Rubrik «Perlenfischen» der letzten Ausgabe des «lvb inform» aus. Dann harren wir einmal gespannt der Studienerfolgsquoten, die dereinst in den 2030er Jahren ausgewiesen werden. Also mindestens 100 % müssen für die Baselbieter Maturandinnen und Maturanden bis dahin drinliegen! Und falls das nicht der Fall sein sollte, so wäre dies der Beweis dafür, dass unser Schulsystem noch immer nicht progressiv genug geworden ist. Dann können wir die nächsten Strukturreformen, interkantonalen Grossprojekte und Konkordate anpacken! Freude herrscht!

 

Dieser Artikel erschien zuerst in der Juni-Ausgabe des «lvb inform», der Verbandszeitschrift des Lehrerinnen- und Lehrervereins Baselland LVB.

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