Denkmoment

Faktenwissen und Beurteilungskompetenz – oder: Wo liegt ein Bildungsfokus?

An den Bildungsinstitutionen mit angeblich moderner Pädagogik und Didaktik gilt Faktenwissen als verzichtbar. Dieses wird – so lassen sich namhafte Stimmen vernehmen – geradezu als schädlich betrachtet. Die Hirne der Kinder und Jugendlichen dürften keinesfalls damit belastet werden. Schliesslich gehe es um Kompetenzen und Emotionen .

In der Landwirtschaft pflegt man zu sagen, dass Rahm sich nur auf guter Milch bilde und dass lediglich ein gesunder Acker den erwünschten Ernteertrag ermögliche. Und im Sport heisst es, dass sich hinter der sichtbaren Leistung einer Athletin stets ein grosser, unsichtbarer Trainingsaufwand verberge, der zum Erfolg führen kann. Mit anderen Worten wird von einer voraussetzenden Basis gesprochen, um ein brauchbares und gutes Ergebnis zu erzielen. In die Bildungswelt transferiert heisst das nichts anderes, als dass Kompetenzen erst dann entwickelt werden können, wenn ein Minimum an Basiswissen vorhanden ist.

Gastautor Niklaus Gerber

Es gleicht einem Trugschluss zu meinen, dass mit dem Einzug des Computers in die Bildungswelt die Digital Natives[1] nichts mehr wissen müssten, weil sie ohnehin alles googeln und chat-gpt’len könnten. In der Schule – so heisst es – müssten die Entdeckungen auf dem Internet lediglich zu Kompetenzen aggregiert werden.

Die “copy-paste”-Falle umgehen

Diese Sichtweise ist zu hinterfragen. Handlungskompetenzen entwickeln sich nicht im luftleeren Raum. Sie sind das Ergebnis einer systematischen Kaskade. Diese beginnt bei den Daten[2], den Informationen[3] und den Erfahrungen[4]. Die drei Inputgrössen bilden – angereichert mit der kognitiven Verarbeitung – das (Fakten-) Wissen. Erst wenn sich in der weiteren Abfolge Fähigkeiten[5] und Fertigkeiten[6] dazu paaren, erwächst die erwünschte Handlungskompetenz.

Handlungskompetenzen entwickeln sich nicht im luftleeren Raum. Sie sind das Ergebnis einer systematischen Kaskade.

 

Bildungsinstitutionen müssten diese Erkenntnis beachten. Das heutzutage verbreitete Konfektionieren der überall verfügbaren Inhalte sind gleichzeitig Falltüren und Hilfe[7]. Sie führen oft nur zu scheinbar guten Ergebnissen. Die Erfolgsfaktoren einer qualitativ starken Handlungskompetenz sind insbesondere folgende:

  • Eine ausgereifte Beurteilungskompetenz, die erlernt werden muss. Dazu gehören Plausibilitätsprüfungen von gefundenen Daten und Informationen. Die “copy-paste”-Falle kann damit umgangen werden.
  • Ein Minimum an “Ankerwissen”, um darauf aufbauen zu können. Die erste Lernzielstufe der Bloom’schen[8] Taxonomie gehört hier dazu.

 

[1] Digital Natives: Junge Menschen ab ca. 1980 Geborene, die in der digitalen Welt mit Internet, Handys und sozialen Medien aufgewachsen sind

[2] Daten: Personenunabhängige, objektive Darstellung von einem Sachverhalt, z.B. Schülerdaten, Messdaten, Zahlenfolgen, etc. («26022014»)

[3] Informationen: Personenabhängige, umgewandelte Daten in etwas Sinnvolles und Verständliches («Du hast am 26. Februar 2014 Geburtstag»)

[4] Erfahrungen: Personenabhängige Kenntnisse, entstanden durch praktische Arbeit, Wiederholung etc. («Du hast Erfahrung auf diesem Gebiet»)

[5] Fähigkeiten: Personenabhängige, allgemeine, angeborene Eigenschaften («Du bist in der Lage, etwas Bestimmtes zu tun.»)

[6] Fertigkeiten: Personenabhängige, konkret erlernbare Kompetenzen («Du kannst etwas gut.»)

[7] Herzog, W., Die Zukunft der Wahrheit, 2024

[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Blooms_Taxonomie (Abruf 26.03.2024)

 

Niklaus Gerber, war bis zu seiner Pensionierung im August 2021 Abteilungsleiter und Mitglied der gibb-Schulleitung in Bern und hat sich mit NORDWÄRTS – Kompass für kompetente Führung selbständig gemacht.

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Ein Kommentar

  1. Einfach nur noch lächerlich das Ganze. Arrogant und dummdreist. Und in dieser Überheblichkeit rennt die so geführte Welt in die Wand.

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