18. November 2024
Streitfall integrative Schule

Szenen einer leidenschaftlichen Podiumsdiskussion

«Die Starke Volksschule Zürich hat am letzten Donnerstag in Zürich ein Podium organisiert, auf dem leidenschaftlich zum Thema integrative Schule gestritten worden; dies im Lichte einer kantonalen Initiative zur Wiedereinführung von Förderklassen. Die Gegnerinnen der Vorlage gaben zwar zu, dass das System die «normalen» Kinder am Lernen hindert, von Förderklassen wollen sie trotzdem nichts wissen. Das Publikum sah es anders. Die neue Condorcet-Autorin, Claudia Wirz, berichtet.

Das allgemeine Unbehagen über die Entwicklung der Volksschule ist gross. Immer mehr finanzielle Ressourcen werden in die Schule gesteckt, während die Leistungsüberprüfungen immer schlechtere – oder wie es Podiumsteilnehmer und Condorcet-Autor Roland Stark nannte – lausigere Resultate zu Tage fördern. Die integrative Schule, die auf internationalistischen Gerechtigkeitsvorstellungen beruht und vorgibt, dass alle Kinder in der Regelklasse unterrichtet werden sollen, sei am Anschlag, sagte die Zürcher FDP-Gemeinderätin, Schulleiterin und Condorcet-Autorin Yasmine Bourgeois in einer kurzen Einführung zum Podiumsanlass.

Claudia Wirz, freie Journalistin, seit April auch für den Condorcet-Blog schreibend.

Bourgeois ist Co-Präsidentin der  kantonalzürcherischen Volksinitiative , die eine Rückkehr zu den Förderklassen fordert. Die im Sammelstadium befindliche Vorlage will damit vor allem Ruhe ins Klassenzimmer bringen und die Lehrpersonen entlasten, auf dass diese sich wieder aufs Schule Geben konzentrieren können. Mit dem heutigen integrativen System werde man weder den Regelschülern noch den Verhaltensauffälligen oder Lernschwachen gerecht, sagte Bourgeois. Die Initiative will deshalb das Recht auf einen Platz in einer Förderklasse festschreiben. Die Förderklasse wiederum soll die Reintegration in die Regelklasse zum Ziel haben.

Integration vor Bildung

Die beiden Gegnerinnen der Initiative wollten davon nichts wissen. Ursula Sintzel von der SP, Rechtsanwältin und Präsidentin der Kreisschulbehörde Letzi, beschrieb das Konzept Förderschule als «Abschiebung», was für die Betroffenen verletzend sei und der Willkür der Entscheider, insbesondere der Lehrpersonen, Tür und Tor öffne. Dem pflichtete die grüne Kantonsrätin und Soziologin Karin Fehr Thoma bei. Zudem warnte sie davor, die Kleinklassen zu idealisieren, ohne allerdings dafür Argumente zu liefern. Sie gab allerdings an, dass integrierte Kinder später erfolgreicher seien als solche aus Kleinklassen. Juristin Sitzel hält Förderklassen ausserdem für rechtswidrig. Sie widersprächen dem Gleichstellungsgebot.

Das Gleichstellungsgebot steht für Sintzel also offenbar über dem Bildungsauftrag der Schule. Sintzel gab nämlich indirekt zu, dass Verhaltensauffällige und Lernschwache die anderen Kinder am Lernen hindern.

Das Gleichstellungsgebot steht für Sintzel also offenbar über dem Bildungsauftrag der Schule. Sintzel gab nämlich indirekt zu, dass Verhaltensauffällige und Lernschwache die anderen Kinder am Lernen hindern. So glaubt sie nicht, dass eine Reintegration in die Regelklasse gelingen kann, weil die Regelklasse ohne die Störungen schneller vorankomme und die Förderklassenkinder so den Anschluss verpassten. Sintzel gab auch zu, dass die Konzentration der Kinder durch Störungen aller Art zunehmend leide. Sie rief deshalb dazu auf, den Unterricht einfach an die verminderte Konzentrationsfähigkeit der Kinder anzupassen.

Roland Stark, SP-Mitglied, Heilpädagoge: Gefängniswärter oder Pädagoge?

Roland Stark wiederum, ebenfalls SP-Mitglied und erfahrener Heilpädagoge, fand es verletzend, dass Förderklassen und deren Lehrpersonal mit Begrifflichkeiten wie «Abschiebung» und «Ausgrenzung» assoziiert werden. Manchmal komme es ihm vor, als werde er als Gefängniswärter gesehen und nicht als Pädagoge. Die Schaffung von Förderklassen hält er für pädagogisch dringend notwendig.

Volksschule als Problemverwaltungszone

Das Publikum, das sich beileibe nicht nur politisch mitte-rechts verortete, reagierte auf die oft halsstarrigen Positionen der Förderklassengegnerinnen grösstenteils mit Kopfschütteln. Ein mittlerweile pensionierter Lehrer warf Sintzel und Thoma vor, Schule nur noch als Ort der Problemverwaltung zu verstehen und nicht als Ort der Bildung. Über das Lesen, Schreiben und Rechnen hatten die beiden Förderklassengegnerinnen den ganzen Abend lang nämlich kein einziges Wort verloren. Eine als Heilpädagogin tätige dreifache Mutter konstatierte, wie froh sie darüber sei, dass sie ihren jüngsten Sohn dank eines Stipendiums nicht der Volksschule anvertrauen müsse, sondern an eine Privatschule schicken könne, die seine musischen Begabungen fördere. Eine erfahrene Berufsschullehrerin mahnte, dass Kinder und Jugendliche im geführten Unterricht am meisten lernten und Roland Stark meinte in der von NZZ-Redaktor Robin Schwarzenbach geführten Diskussion, dass die unselige Akademisierung des Lehrerberufs hinterfragt werden müsse.

Kein einziges Votum aus dem Publikum stützte die Argumentation von Sintzel und Thoma. Wäre an diesem Abend über die Initiative zur Einführung von Förderklassen abgestimmt worden, sie wäre haushoch, wenn nicht gar einstimmig angenommen worden.

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Bildung sei wichtig. Das betonen alle. Was aber bedeutet sie? Schlüsselqualifikationen oder Basiskompetenzen, operationalisierbare Fähigkeiten oder eine möglichst hohe Maturitätsquote, wie dies die OECD fordert? Gedanken zu einem inflationär gebrauchten Wort von Condorcet-Autor Carl Bossard.

2 Kommentare

  1. Da haben wir den Salat. Im posthumanistischen Ponyhof wird keinerlei Leistung abverlangt. Die Paradiesdekonstrukteure(innen) müssen für keine Ergebnisse haften, weil es keine Ergebnisse gibt.

  2. Lese ich richtig? “Den Unterricht an die verminderte Konzentrationsfähigkeit anpassen”? Hier wird offen gefordert, dass wegen der Lernenden mit speziellen Bedürfnissen der Unterricht für alle nach unten nivelliert werden soll? Sintzel und Thoma verletzen mit diesem Vorschlag das Schulgesetz, das allen Kindern eine ihnen gemässe Schulbildung vorschreibt. Aber die beiden Damen sind zu bewundern. Wie einst die frühen Märtyrerinnen halten sie trotz Gegenwind aus dem Publikum an ihrem Glauben unerschütterlich fest.

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