Als bildungsinteressierter Vater schulpflichtiger Kinder komme ich aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus, wenn ich an die Interviews und Berichte von der Schulrevoluzzer-Front denke, die seit Wochen die Zeitungen füllen. Abschaffung von Noten und Leistungsniveaus in der Sek als Heilmittel für die Volksschule? Noch weiter daneben kann man ja gar nicht liegen.
Was sind stattdessen die tatsächlichen Herausforderungen der Volksschule?
- chaotische Zustände in den Klassenzimmern, u.a. als Folge der als alternativlos verkauften physischen Integration nicht beschulbarer Kinder und Jugendlicher, aber auch als Konsequenz «moderner» Unterrichtskonzepte, z.B. Kinder mit iPads oder irgendwelchen Aufträgen auf dem ganzen Schulareal verteilen, ohne Kontrolle, ohne Überblick, ohne Ergebnissicherung (Leerlauf, der am Elternabend als «Selbständigkeit» verkauft wird)
- als Folge davon Abdelegieren des Vermittelns von Unterrichtsinhalten an uns Eltern, die sich fragen, wofür sie eigentlich Steuern bezahlen, wenn sie den Bildungsauftrag privat in ihrer Freizeit übernehmen müssen
- bei Punkt 2. meine ich explizit auch Kulturtechniken wie Lesen und Schreiben – diese werden zunehmend im Unterricht nicht mehr richtig geübt, vermittelt, gesichert; gerade in Sachen Rechtschreibung muss zuhause schauen, wer will, dass seine Kinder diese lernen – wie können eigentlich ausgebildete Lehrpersonen die Rechtschreibung als vernachlässigbar taxieren, wo sie erwiesenermassen einen massiven Einfluss auch auf das Verstehen von Texten hat?
- die von den Schulrevoluzzern angeprangerten «bösen» Noten sind vor allem dann ein Problem, wenn sie keine Aussagekraft besitzen (z.B. jahrelang 6er im Frühfranzösisch, obwohl das Kind überhaupt gar kein Französisch lernt) oder wenn offensichtlich wird, dass die Lehrperson keine Ahnung hat, wie man eine sinnvolle, altersgerechte Prüfung schreibt, korrigiert und bewertet (der Fachkräftemangel lässt grüssen)
- der vollgestopfte Lehrplan 21 hat dazu geführt, dass niemand eine Ahnung hat, was behandelt wird, jeder macht, was er will oder kann oder auch nicht – hatte man nicht Harmonisierung damit versprochen? So kannst du also mehrere Kinder an der gleichen Primarschule haben, die in NMG vollkommen unterschiedliche Themen behandeln – und als Folge davon wissen an der Sek die Lehrer nicht, worauf sie aufbauen könnten – aber das gilt offenbar auch als modern, Slogan: «Abholen, wo sie stehen», nur schade, wenn die Kinder im Regen stehen
Darum: Schulrevolution absagen! Stattdessen dafür sorgen, dass die Schule ihren Bildungsauftrag wieder erfüllen kann – und sicherstellen, dass sie das auch tatsächlich tut!
(Der Name des Verfassers ist der Redaktion bekannt.)
So ist es. Bzw.: So wäre es richtig. Angesichts des ideologischen Wahns, dem die Schulverantwortlichen verfallen sind, aber vielleicht doch (noch) ein frommer Wunsch…
Dem ist nichts beizufügen. Wann wacht man endlich auf und zeigt den kompetenzverliebten Reformideolog(inn)en bzw. der kommerziellen Bildungsindustrie die rote Karte. Den Stecker ziehen wäre wohl noch effektiver. Jede Stunde zuwarten ist ein Verlust, der nie mehr korrigiert werden kann. Die Schule verkommt zu einem Labor nach dem Motto: Basteln mit Gerda Konzetti!
Eigentlich wäre es Zeit, eine Volksinitiative zu starten! Hier eine Idee:
Anregung für eine formulierte Volksinitiative zur Ergänzung des Bildungsartikels in der Bundesverfassung, Zusatz zu Artikel 62 BV:
2 a Der Unterricht der Volksschule fördert die gedanklichen und die praktischen Fähigkeiten der Kinder und Jugendlichen und vermittelt im Laufe der 9 Jahre einen Grundstock an Wissen und Können, der ihnen ermöglicht, eine ihnen gemässe Weiterbildung auf der Sekundarstufe II (Berufslehre oder weiterführende Schule) zu bestehen.
2 b Die Schulen fördern das Grundwissen in folgenden allgemeinbildenden Fächern: Lokale Landessprache, Englisch, eine weitere Landessprache, Rechnen und Mathematik, Geschichte, Geografie, Naturkunde, Physik, Chemie, Informatik. Sie sorgen weiter für Unterricht in Turnen und Sport, in Kunst, Textil- und Werkarbeit, in Musik und Hauswirtschaft. Die Kantone sprechen sich über die Stundentafeln ab. Der Fremdsprachenunterricht beginnt im 5. Schuljahr.
2 c Die Schulen organisieren den Unterricht klassenweise, sie ermöglichen eine direkte und gemeinschaftliche Wissensvermittlung aus der Beziehung zwischen Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern. Selbstständiges Lernen erfolgt in der Eigenverantwortung der betreuenden Lehrkräfte, wenn sinnvoll.
2 d Die Schulen sorgen für die nötige Ruhe und Ordnung, damit Lernen auch ohne räumliche Trennung oder Kopfhörer möglich ist.
2 e Der Einsatz der elektronischen Medien im Unterricht (Computer, Handy, etc.) ist erst ab der Sekundarstufe vorgesehen. Ausnahmen müssen begründet werden. Schreiben von Hand ist während der Primarschuljahre die Regel.
2 f Die Methodenfreiheit der Lehrpersonen ist gewährleistet. Sie sind an die stofflichen Ziele des Lehrplans gebunden.
2 g Die kantonalen Lehrpläne formulieren für alle Fächer und Stufen verbindliche Inhalte und die damit zusammenhängenden Kompetenzen.
2 h Vom siebten Schuljahr an orientieren sich Klassenbildung und Unterricht an der allgemeinen kognitiven Grundfähigkeit g, die mit einem Potenzialtest zu ermitteln ist. Alle Jugendlichen werden in den kognitiv anspruchsvollen Fächern ihrem Begabungsvermögen gemäss gefördert.
2 i Die Durchlässigkeit, Aufstiege und Abstiege, weitere individuelle Hilfs- und Fördermassnahmen sind garantiert und korrigieren allfällige Fehlentscheide der Selektion.
2 j Die Schulleitungen sorgen für die administrativen Belange des Schulbetriebs, sie wachen über die Einhaltung der Lehrpläne und unterstützen die Lehrpersonen. Sie lassen unterschiedliche pädagogische Leitvorstellungen der Lehrpersonen zu, soweit diese nicht dem gesetzlichen Auftrag widersprechen. Einmischung von Stiftungen und Beratungsfirmen in die Unterrichtsgestaltung sind verboten.
2 k Die Lehrpersonen bilden pro Schuleinheit Fachgruppen und verständigen sich über die Lehrmittel und die Zusammenarbeit.
2 l Versuche mit alternativen Unterrichtsformen müssen vom kantonalen Erziehungsrat bewilligt, von einer unabhängigen Instanz begleitend evaluiert und mit einer herkömmlichen Schule laufend verglichen werden. Die Resultate müssen spätestens nach 6 Jahren in einem Bericht dokumentiert werden. Liegen die Leistungen tiefer als in der Vergleichsschule, ist der Versuch spätestens nach 6 Jahren abzubrechen. Neuerungen, die sich in diesem Zeitraum bewährt haben, können von anderen Schulen übernommen werden.
2 m Die Pädagogischen Hochschulen bereiten die Lehrpersonen auf ihre praktische Tätigkeit vor. Die Dozenten und Dozentinnen haben eine Unterrichtsverpflichtung von 6 Lektionen an der Schulstufe, auf die sie die Lehramtskandidaten und -kandidatinnen vorbereiten. Sie demonstrieren ihr didaktisches und methodisches Können in der Praxis.
Ich schätze den Condorcet-Blog sehr und lese vor allem die fundierten, gescheiten Artikel von Carl Bossard jedesmal gerne.
Wenn jedoch anonymen Wutbürgern die Möglichkeit gegeben wird, ihre selektiven Wahrnehmungen aufzubauschen und ihre Unkenntnis (NMG) zu demonstrieren, dann trägt das kaum zu einer konstruktiven Debatte bei. Dass der Beitrag mit ‘Elternperspektive’ überschrieben ist, ändert nichts an seinem Niveau.
Danke für etwas sorgfältigeres Kuratieren.
Wenn ich Stellvertretungen mache, schreibe ich eine Reihe von Aufträgen an die Tafel, vorwiegend Mathematik und Deutsch, aber lasse den Kindern die Freiheit die Reihenfolge zu wählen und mit wem sie arbeiten. Sie müssen jede Aufgabe zeigen kommen. Die Folge: Die Kinder lernen freiwiliig stundenlang gern Mathematik und Deutsch, sie organisieren sich komplett selbst, führen aufgabenbezogene Peergespräche, ich habe für jedes Kind Zeit, um seine individuellen Fragen zu beantworten, Fehler zu analysieren, emotional abzuholen und Strategien zu zeigen. Und die Kinder geniessen es, endlich mal nicht zugetextet zu werden.
Gute Bildung besteht meiner Meinung nach aus guten Inhalten und fürsorglicher Zuwendung der Lehrperson. Das Ziel sollte Selbständigkeit und Freude am Lernen sein. Was ich täglich an den Schulen sehe, ist erlernte Hilflosigkeit und passives Erdulden eines unendlichen Redeschwalls der Lehrpersonen.
Guten Tag Frau Meier,
das klingt ganz wunderbar! Sie sprachen jedoch explizit von Stellvertretungen. Kann es sein, dass das geschilderte auch deshalb funktioniert, weil es eine Abwechslung bzw. ein Ausbruch vom schulischen Alltag ist? Weil sonst ein eher strukturierterer Unterricht erfolgt, in dem ggf. die Grundlagen gelegt werden, die den Kindern dann die selbstständige Erledigung Ihrer Aufträge erst ermöglichen? Lernen sie in Ihren Stellvertretungen tatsächlich neuen Stoff selbstständig, oder festigen und wenden sie bereits gelernten an?
Vielleicht ist es ja doch die Mischung, die es macht.
HF