In einer Zeit, in der Bildungseinrichtungen vermehrt auf kooperative Schulformen setzen, bricht die Michaela Community School in London mit dem Trend und feiert beeindruckende Erfolge. Die Schule, eine sogenannte Free School, geniesst staatliche Finanzierung, aber erfreut sich weitgehender Freiheiten in Bezug auf die Anstellungsbedingungen der Lehrkräfte und der Schulorganisation. Ihr Erfolgsrezept: Disziplin, traditionelle Lehrmethoden und ein klares Bekenntnis zu grundlegendem Wissen. Inhaltlich hält sich die Schule an den nationalen Lehrplan.
Bereits vor dem Besuch erhalten Gäste eine detaillierte Liste mit erwünschtem und nicht erwünschtem Verhalten, was von angemessener Kleidung (keine zerrissenen Jeans, keine Turnschuhe) bis zum Flüsterton in den Gängen reicht. Bei unserem Besuch führten uns zwei engagierte Teenager durch das Schulhaus, sichtlich stolz auf ihre Schule. Free Schools kennen keine selektiven Aufnahmekriterien wie Prüfungen. Ihre Schüler, die per Los zugeteilt werden, stammen alle aus demselben unterprivilegierten Stadtbezirk im Nordwesten Londons.
Viermal besser als der Durchschnitt
Die britische Schulinspektionsbehörde Ofsted beurteilt die Qualität der erbrachten Bildungsleistungen in allen Bereichen als hervorragend («outstanding»). Besonders beeindruckend ist auch die Feststellung, dass Kinder mit besonderen Bedürfnissen im Lesen, Schreiben und in Mathematik dank bedürfnisgerechter Unterstützung schnell den Anschluss schaffen. In der Leistungsskala des für die Berufswelt entscheidenden Schlussexamens GCSE (General Certificate of Secondary Education) erreichten 18 Prozent der Michaela-Schüler die Höchstnote 9 (in Mathematik sind es sogar 25 Prozent). Das stellt im Vergleich zum nationalen Durchschnitt von 4,5 Prozent ein glänzendes Erfolgsresultat dar.
Im Fokus der Schule steht eine konsequente Neuausrichtung der Pädagogik, bei der traditionelle Lehrerführung im Mittelpunkt steht. Die Schüler sitzen in Reihen, schauen nach vorne und folgen mit aussergewöhnlicher Disziplin und Konzentration den Ausführungen der Lehrkräfte. Immer wieder stellen diese Fragen, welche die Klasse auf
Kommando beantwortet. So werden die Schüler in hohem Tempo durch die Lektionen geleitet. Moderne Formen des selbstorganisierten Lernens wie auch Gruppenarbeiten oder Projekte werden bewusst ignoriert.
Trotz dieser scheinbar harten Regeln betont die Schulleiterin Katharine Birbalsingh, dass eine tiefe Erwartungshaltung besonders die Schwächsten benachteiligen würde.
Still in Einerkolonne
In der Michaela-Schule zählt jede Minute Unterricht, entsprechend gross sind die Fortschritte der Kinder. Trotz des mehrstöckigen Gebäudes verlieren die Schüler beim Zimmerwechsel sehr wenig Zeit. In Einerkolonne begeben sie sich ohne zu sprechen zügig durch die Gänge. Die üblichen Pausen zwischen Lektionen fallen weg. Die Schule verzichtet bewusst auf den Einsatz von Computern im Unterricht, ermutigt die freiwillige Abgabe von Handys und verkauft günstige Handys ohne Internet an Eltern.
Die Autorität der Lehrpersonen wird hochgehalten, Disziplin und Leistung prägen den Schulalltag. Während des Unterrichts werden die Schüler konstant mit Plus- und Minuspunkten bewertet. Gute Leistungen im schulischen oder sozialen Bereich werden mit verschiedenen Pins belohnt, die sich die Schüler ans Revers ihrer Uniformjacken stecken. Für Empörung bei den Kritikern sorgt die konsequente Haltung gegenüber Nachlässigkeiten wie Unpünktlichkeit oder fehlende Hausaufgaben: Wer nicht erfüllt, kriegt Nachsitzen. Trotz dieser scheinbar harten Regeln betont die Schulleiterin Katharine Birbalsingh, dass eine tiefe Erwartungshaltung besonders die Schwächsten benachteiligen würde. Auch Patriotismus ist hoch im Kurs, denn eine Schule mit einer solch gemischten Schülerschaft könne nur funktionieren, wenn alle England als ihr Land akzeptierten und lernten, stolz darauf zu sein, so Birbalsingh.
Auch die Mittagspause ist klar strukturiert und beginnt mit der gemeinsamen Rezitation eines Gedichts. Die Schüler übernehmen Aufgaben wie das Tischdecken und das Abräumen der Teller. Während des Essens diskutieren die Schüler zusammen mit ihren Lehrern am Tisch über ein festgelegtes Thema. Anschliessend würdigen einzelne Schüler gute Leistungen ihrer Kollegen oder der Lehrerschaft. Die traditionellen Methoden der Michaela-Schule mögen zwar kontrovers sein, aber ihre beeindruckenden Erfolge lassen Raum für Überlegungen, ob auch andere Schulen von diesem Modell lernen können.
Urs Kalberer ist Sekundarlehrer und Sprachdidaktiker an der Sekundarschule Landquart GR.
Kasten/Box
Alter der Kinder: 11-18
Klassengrösse: 25-30
Schülerzahl: ca. 700
Schulzeit: 8 – 16 Uhr
Hausaufgaben pro Tag: 60-90 Minuten
Pausenplatz, Bild: Urs Kalberer
Michaela Community School, Bild: Wikipedia
Katharine Birbalsingh, Bild: Wikipedia