7. November 2024
Neue Autorität

Teenager wünschen sich eine kompetente Führung im Klassenzimmer

Autorität ist derzeit wieder gefragt, sei es in der Politik, in Betrieben oder in der Schule. Was aber ist Autorität und welche Autorität ist hier gefragt? Condorcet-Autor Hanspeter Amstutz versucht diese Fragen zu beantworten und hat Verständnis, dass der Begriff “Autorität” auch negative Erinnerungen weckt.

Im links dominierten Stadtzürcher Parlament wurde kürzlich ein Vorstoss überwiesen, der mehr Sicherheitspersonal an Schulen verlangt und grundsätzlich die Autorität der Lehrkräfte stärken will. Das Postulat war eine Reaktion auf diverse Gewaltvorfälle im Schulbereich, die für einige Unruhe sorgten. Offensichtlich hat man erkannt, dass vor allem die Klassenlehrkräfte mehr Unterstützung für ihren anspruchsvollen Bildungsauftrag benötigen.

 Trägt die Lehrerbildung zum Autoritätsverlust der Lehrkräfte bei?

Hanspeter Amstutz, Starke Schule Zürich:  Urvertrauen als riesiges Kapital

Die Rückbesinnung auf mehr Führung im Klassenzimmer erstaunt nicht, wenn man auf gewisse extreme pädagogische Strömungen sieht. Allen Ernstes wird von manchen Dozenten an Pädagogischen Hochschulen die Meinung vertreten, Lehrpersonen müssten die Lernprozesse nur begleiten und sich möglichst unauffällig im Hintergrund halten. Pädagogischer Gestaltungkraft in Form von anschaulicher Instruktion, packenden Erzählungen und kreativen Übungsphasen im Klassenverband wird mit viel Misstrauen begegnet. Im neusten Magazin des Tages-Anzeigers spricht sich die Bildungsexpertin Rahel Tschopp gar dafür aus, die Klassenlehrer abzuschaffen und für die Schüler eines ganzen Stockwerks ein gemeinsames Coaching einzuführen. Diese Einstellung sorgt dafür, dass im Eiltempo pädagogische Autorität verloren geht und ganze Klassen aus dem Ruder laufen. Viele Buben beginnen den Unterricht zu stören, wenn sie nicht wissen, wer der Chef im Klassenzimmer ist und was dieser Mensch fachlich zu bieten hat.

 

Erfolgreiche Pädagogik kommt nicht ohne ein gewisses Mass an begründeter Autorität aus. Gebildete Erwachsene haben gegenüber Kindern einen deutlichen Wissensvorsprung. Kinder erleben tagtäglich in verschiedenen Bereichen dieses Wissensgefälle und sind grundsätzlich bereit, von Erwachsenen zu lernen, wenn sich diese verständnisvoll zeigen. Ganz besonders gilt diese natürliche Abhängigkeit in der Schule, wo Kinder erwarten, dass ihre Lehrerin sie richtig führt. Die allermeisten Mittelstufenschüler bringen ihrer Klassenlehrerin einen grossen Vorrat an Vertrauen entgegen, wenn sie mit Freude ihren Beruf ausübt. Dieses Urvertrauen ist das riesige Kapital, auf welches pädagogische Autorität angewiesen ist. Umso wichtiger ist es, dass sich die Lehrpersonen ihrer grossen Verantwortung bewusst sind und natürliche Autorität nicht durch fragwürdige schulische Experimente untergraben wird.

15-Jährige schauen auf jeden Fall genau, was die Persönlichkeit eines Lehrers ausmacht.

Erfolgreiches Lernen ist mehr eine Bergtour als eine Seilbahnfahrt

 Auch auf der Oberstufe wünschen Teenager eine verständnisvolle Führung im Klassenzimmer. Das schliesst nicht aus, dass durch den entwicklungspsychologisch notwendigen Prozess der Abgrenzung von den Erwachsenen Phasen des Protests auftreten. 15-Jährige schauen auf jeden Fall genau, was die Persönlichkeit eines Lehrers ausmacht. Kann ein Lehrer jedoch für ein Fach begeistern und bietet er Gewähr für grundlegende Fairness im Umgang mit Jugendlichen, folgen die allermeisten seinen pädagogischen Intentionen. Dieses Vertrauen erlaubt es einem Lehrer, den Weg zu einem Bildungsziel als herausfordernde Bergtour zu deklarieren. Das ist zwar strenger als eine Fahrt mit der Seilbahn, aber als Lohn winken unbezahlbare Gemeinschaftserlebnisse. Die pädagogische Festigkeit des Lehrers hilft dabei, auch mühsame Passagen zu überwinden.

 

Böse Erfahrungen

Notwendige Auflehnung gegen falsche Autoritäten

 Zu Recht wird hinter dem Begriff der Autorität oft ein dickes Fragezeichen gesetzt. Die bösen Erfahrungen der Europäer mit politischen Massenbewegungen, bei denen autoritäre Führer ganze Völker in den Abgrund führten, haben den Autoritätsbegriff schwer beschädigt. Wenn Menschen auf kritisches Denken verzichten und wesentliche Freiheiten nicht verteidigen, wird es tatsächlich gefährlich. Das gilt auch für die Schule, wo das längerfristige Ziel eines guten Unterrichts nicht Abhängigkeit, sondern eine möglichst grosse Selbständigkeit der Heranwachsenden ist. Echte pädagogische Autorität will den Menschen befreien, damit er seinen eigenen Weg gehen kann und ihn auf keinen Fall am Gängelband führen. Diese Zielsetzung gilt es bei allen pädagogischen Bemühungen stets vor Augen zu haben.

Krisen beim pädagogischen Autoritätsbegriff sind in der Geschichte oft durch tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen ausgelöst worden. Die Auflehnung der 68er gegenüber schikanierenden Lehrmethoden waren eine Reaktion der Jugend auf unnötig einengende Lebensformen ihrer Eltern aus der Weltkriegsgeneration. Erziehungsmethoden mit Körperstrafen waren in den frühen Sechzigerjahren an der Tagesordnung und mancher Lehrer verwechselte Autorität mit autoritärem Verhalten. Doch mit der von vielen 68ern geforderten radikalen Abwertung jeder Autorität wurde das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und die pädagogische Kulturrevolution jener Jahre diskreditiert.

Kulturelle Errungenschaften müssen kompetent vermittelt werden

Die heutige Welle gegen schulische Autorität hat andere Wurzeln als bei den 68ern. Sie wird aus der Vorstellung abgeleitet, dass jedes Kind sich seine Welt weitgehend selbst erschaffen könne und individuell gefördert werden müsse. Dabei wird glatt unterschlagen, dass das Erlernen wesentlicher kultureller Errungenschaften eine hoch komplexe Aufgabe ist und ohne umsichtige Führung kaum gelingt. Oft wird man auch den Eindruck nicht los, dass gewisse Exponenten der neuen Didaktik grundsätzlich Mühe haben, Autorität mit Vertrauen in Verbindung zu bringen und im Schulbereich der unangenehmen Autoritätsfrage ausweichen. Verwirrende Vorstellungen über eine passive Lehrerrolle haben in der Volksschule bereits erheblichen Schaden angerichtet. Wenn zutiefst verunsicherte Lehrpersonen es nicht mehr wagen, aus der Rolle der grauen Maus herauszuschlüpfen und in ihren Klassen die Führung zu übernehmen, führt dies unweigerlich zu mehr disziplinarischen Problemen.

Lehrerinnen und Lehrer müssen die Kraft aufbringen und den Mut haben, eine Art pädagogische Gegenwelt zur schrillen Freizeitkultur zu schaffen.

Konzentriertes Lernen muss möglich sein.

Mut für eine pädagogische Gegenwelt zur digitalen Freizeitkultur

Konzentriertes Lernen ist die Basis für erfolgreichen Unterricht. Die Fokussierung auf ein angestrebtes Lernziel ist mit Schülern, die in der Freizeit einer Dauerberieselung durch Push-Nachrichten ausgesetzt sind, eine riesige Herausforderung. Lehrerinnen und Lehrer müssen die Kraft aufbringen und den Mut haben, eine Art pädagogische Gegenwelt zur schrillen Freizeitkultur zu schaffen. Diese Welt kann kein Konsumparadies der raschen Wunscherfüllung sein. Für die Schülerinnen und Schüler bedeutet dies, sich gründlich mit wesentlichen Themen auseinanderzusetzen und Freude an der eigenen Leistungsfähigkeit zu gewinnen.

Die pädagogische Gegenwelt ist kein Raum der Abschottung vom eigentlichen Leben, aber sie ermöglicht es, mit einer Art Filter die für Lernprozesse störenden Einflüsse zu reduzieren. Durch konzentrierte Präsenz in einem lebendigen und mit attraktiven Elementen gewürzten Unterricht wird die gewohnte Hektik der medialen Ablenkung ersetzt. Das Unmittelbare des Lernens in der Klassengemeinschaft, wo das einander Zuhören eine zentrale Rolle spielt, hilft dabei mit, die soziale Entwicklung zu fördern. Die Erfahrungen zeigen, dass dieser anspruchsvolle Bildungsauftrag am besten gelingt, wenn kompetente Lehrinnen und Lehrer mit innerer Überzeugung und der nötigen gesellschaftlichen Unterstützung ihre Führungsfunktion wahrnehmen.

 

image_pdfAls PDF herunterladen

Verwandte Artikel

Frühfranzösisch und integrative Schule: «Niemand will zugeben, dass man einen Fehler gemacht hat»

Katharina Fontana, Journalistin der NZZ, hat mit Alain Pichard, Lehrer aus Biel und Mitglied unserer Condorcet-Redaktion ein längeres Gespräch geführt. In diesem warnt er vor schädlichen Schulreformen und erklärt, was es mit der Allianz von Bildungs-Lobbyisten auf sich hat. Ausserdem äussert er eine brisante These. Die Schule muss sich entscheiden, ob sie ein Lernort oder ein Betreuungsort werden will.

2 Kommentare

  1. Also das genaue Gegenteil dessen, was die PH-Dame von unlängst verkündet hat, nämlich die Abschaffung der Funktion Klassenlehrperson.

  2. Autorität, die, wie von Hanspeter Amstutz eindrücklich beschrieben, auf fachliche Kompetenz, Bildung einer Gemeinschaft und Führung im Lernen gründet, benötigt seitens der Lehrpersonen einiges Stehvermögen. Sie müssen aushalten können, nicht in jedem Moment “populär” und «beliebt» zu sein, insbesondere wenn Kolleginnen oder Kollegen, die in derselben Klasse unterrichten, einen anderen, möglicherweise kumpelhaften oder chaotischen Erziehungsstil pflegen. Klassenführung wird in der Ausbildung unter der Theorielast eher etwas ertränkt. Empfehlenswertes und zu Unterlassendes müssten an praktischen Schulbeispielen gezeigt und auf Wirkung, Nutzen und Gefahren analysiert werden. Der negativ-autoritäre Stil hat viele Gesichter: die «sanften Unberechenbaren», die plötzlich explodieren; die Manipulativen, die ihre Klassen einlullen; die Ausgrenzenden, die Lacher auf ihre Seite ziehen oder sich auf Einzelne bevorzugt einschiessen; die Strafenden, die ausufernde Strichlisten führen, etc. Solche Arten von Autorität wirken nicht emanzipierend, führen nicht zu selbstständigem Verhalten, sondern halten in Abhängigkeit. Ebenso wenig wie das selbst organisierte Lernen mit gelegentlicher Hilfe des “Coaches”, das verunsichert, entmutigt oder in falsche Sicherheit führt. Selbstständigkeit lernt man nicht durch Selbstständigkeit, sondern durch aufbauende Anleitung dazu.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert