7. November 2024

Replik auf Geschichtsmosaik im 3D-Format – Sind solche Grossprojekte sinnvoll und ergiebig?

Der Praxisbeitrag unseres Condorcet-Autors “Geschichtsmosaik im 3 D-Format” hat einige positive Reaktionen geerntet. Condorcet-Autor Felix Schmutz’ Begeisterung hält sich in Grenzen. Er stellt in seinem Kommentar einige kritische Fragen.

Felix Schmutz, Baselland: Der intendierte Lernstoff «Schweizer Geschichte» wird in Häppchen unterteilt,

Dafür spricht, dass die Jugendlichen zu eigenem Tun aktiviert werden. Sie müssen in eigener Verantwortung ihre Arbeit planen und durchführen: Sich Ziele setzen, Informationen beschaffen, diese verstehen und bearbeiten, daraus eine Präsentation generieren. Da sie in Gruppen arbeiten, lernen sie, sich über die Themen und Aufgaben zu verständigen. Sie lernen sich unter Zeitdruck zu organisieren. Gelingt das Projekt, ernten sie neben dem fachlichen Mehrwissen auch die Befriedigung, eine eigene Arbeit vorweisen zu können.

So weit, so gut und so schön. Welche Argumente schmälern die Begeisterung?

1. Der intendierte Lernstoff «Schweizer Geschichte» wird in Häppchen unterteilt, von denen die Lernenden eines herausgreifen und bearbeiten. Inwiefern erhalten sie dadurch ein kohärentes Bild von den Zusammenhängen der Entwicklung der Schweiz aus einem mosaikartigen Bündnissystem im Mittelalter zum modernen Bundesstaat im 19. und 20. Jahrhundert? Bleibt da nicht ein anekdotisch zusammengewürfeltes und unzusammenhängendes Mosaik im Gedächtnis? Man mag sich an das selbst bearbeitete Thema erinnern, jedoch kaum an die Präsentationen der andern Gruppen.

2. Jedes Thema steht in einem geschichtlichen, politisch-sozial-wirtschaftlichen Zusammenhang, der verstanden werden muss, um die Bedeutung der Ereignisse und das Handeln der Personen ermessen zu können. Diese Arbeit geht über das Copy-Paste-Verfahren aus Internetseiten heraus. Es ist fraglich, ob Jugendliche dieses Alters diese kognitiv anspruchsvolle Arbeit wirklich leisten können und ob wirklich ein sinnvoller Erkenntnisgewinn resultiert, der über das Basteln von Kartongebäuden und das Aufhängen von Fotos hinausgeht.

Wer vermittelt die Zusammenhänge?

Didaktisch stellt sich natürlich die Frage nach Sinn und Form des Geschichtsunterrichts in der heutigen Zeit:
1. Welche Geschichtsvorstellung soll in den Köpfen der Lernenden eigentlich entstehen?
2. Inwiefern können Kinder und Jugendliche in ihrer jeweiligen kognitiven Entwicklungsstufe geschichtliche Ereignisse, Zusammenhänge überhaupt verstehen und verarbeiten und wie soll dies didaktisch und methodisch berücksichtigt werden, ohne dass Überforderungen entstehen, die in das Urteil münden: «Geschichte und Politik interessieren mich nicht»?
3. Wie sollen historische Fakten gewichtet werden, welche Details sind wirklich bedeutungsvoll? Ist es wesentlich zu wissen, welche Kleider die Ägypterinnen der 10. Dynastie getragen haben, wie die Sandalen der römischen Soldaten beschaffen waren, wer 1938 wie viele Tore gegen Deutschland erzielte, aus welchen Kleinodien die Burgunderbeute bestand, wie genau die Dampfmaschine funktionierte? Oder sollte man wissen, was gemeint ist, wenn die Epoche Mittelalter erwähnt wird oder welche Veränderungen die Industrialisierung mit sich brachte oder welche Folgen die Kolonisierung der Kontinente Amerika und Afrika nach sich zog oder welche Bedeutung Napoleons Eingriff in die Politik der Schweiz hatte?
4. Wie nachhaltig soll das geschichtliche Wissen verankert werden? Soll man alles Durchgenommene gerade wieder vergessen dürfen, weil es letztlich nur zusammenhangsloses Detailwissen beinhaltet oder zu schwierig und langweilig ist?

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Mon dieu, Conradin!!!

Im «TeleBasel Talk» vom 11. Februar 2020 fuhr der Basler Erziehungsdirektor Conradin Cramer denjenigen Fremdsprachenlehrpersonen, die in ihrem Unterricht international gesicherte didaktische Erkenntnisse umsetzen, mächtig an den Karren. Gleichzeitig behauptete er unbeirrt, der in den Lehrmitteln «Mille feuilles» und «Clin d’oeil» angewandte neue didaktische Ansatz sei «state of the art» (sic!) – ungeachtet der Tatsache, dass die mittlerweile vierte wissenschaftliche Untersuchung dem Passepartout-Konzept erneut ein miserables Zeugnis ausstellt. Ein Kommentar von Philipp Loretz.

3 Kommentare

  1. An der Nordseite des Berner Münsters ist eingemeisselt: Mach’s na.
    Ein Praktiker, der handelt und dem es gelingt, seine Schüler und Schülerinnen aus dem Bildungssumpf herauszuholen , ist einem Theoretiker, der einem erklärt, wie ein Helikopter gesteuert werden soll, vorzuziehen.

  2. Das tolle Projekt von Alain Pichard mit seinen Schülerinnen und Schülern ist nur möglich, wenn die Lehrperson ihre Schülerschaft kennt, ernstnimmt und deren Mitsprache ermöglicht. Die erarbeiteten “Mosaiksteine” sind ein Anfang und Anknüpfpunkte. Jede/r Jugendliche steht an einem andern Ort, und jede/r kann so für sich Neues mit Bekanntem verknüpfen. Wie ich Alain kenne, wird er es nicht mit dem Füllen von 10 Kisten bewenden lassen. Wenn man zum Beispiel Fotos davon in einem Zeitfries an der Schulzimmerwand plaziert, können immer wieder Bezüge hergestellt und Aktualitäten eingeordnet werden. So wachsen Wissen und Erkenntnisse, selbstredend nicht bei allen gleich – aber nachhaltig. Und das ist wohl der Unterschied zu einem aus Sicht der Lehrperson strukturiert dargebotenen, zeitlich “systematisch” aufgebauten Unterricht. Um noch auf den vielgeschmähten Lehrplan zu kommen: Dieses Projekt fördert zahlreiche Kompetenzen, welche über den Bereich Geschichte hinaus lebensnützlich sind.

  3. Ich muss Herrn Staudenmann recht geben. Die sorgfältige Einbettung und der Aufbau von Geschichtskenntnissen scheitert in der Volksschule bereits am enormen Umfang. Schon früh hiess die pädagogische Parole ja “Mut zur Lücke”. Was am Ende bei den Schülerinnen und Schülern hängenbleibt, ist ja eh fraglich. Und auch Alain Pichard ist zuzustimmen: Guter Unterricht ist auch mit diesem Lehrplan möglich. Man muss ihn nur wollen und sich die Freiheiten nehmen, den Unterricht zu gestalten. Dazu braucht es aber auch den Mut, die unsinnigen Kompetenzformulierungen zu negieren. Mit anderen Worten: Es braucht die Methodenfreiheit!

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