15. Juni 2025

Beim Fach Geschichte muss die Lehrerschaft das Heft selbst in die Hand nehmen

Nun schaltet sich auch unser Geschichtsdoyen Hanspeter Amstutz in den Diskurs zum Geschichtsunterricht ein. Er kann beiden Stellungnahmen (“Replik auf Geschichtsmosaik im 3D-Format – Sind solche Grossprojekte sinnvoll und ergiebig?” und “Aus der Praxis: Geschichtsmosaik im 3D-Format”) etwas abgewinnen.

Hanspeter Amstutz:
Man verdrängt ohne Wimperzucken die Tatsache, dass ein Grossteil unserer Jugend am Ende der Volksschulzeit über die Entwicklung unserer modernen Demokratie und wesentliche historische Ereignisse nicht im Bild ist.

Über die beiden Beiträge von Felix Schmutz und Alain Pichard zum Themenkreis Geschichte habe ich mich sehr gefreut. In den beiden Texten geht es dabei um zwei erfolgversprechende Zugänge zu der in der Volksschule meist arg vernachlässigten Schweizer Geschichte.

Die engagierte Lehrerschaft im Bieler Oberstufenzentrum (Eine Projektwoche zur Schweizer Geschichte) deckt mit ihrem Projekt auf, dass geschichtliche Themen auf gestalterische Weise attraktiv aufgearbeitet werden können. Es ist ein origineller Versuch, im Verdrängungswettbewerb der vielen Bildungsprogramme historisches Geschehen hervorzuholen und in Szene zu setzen. Die offensichtlich gelungene Umsetzung lässt aufhorchen in einer Zeit, wo das Fach Geschichte an vielen Schulen auf dem Abstellgleis steht. Sicher dürfen von einer breit gefächerten Projektwoche keine Wunder beim Zuwachs historischer Kenntnisse erwartet werden. Aber die Initiative des Bieler Schulteams ist ein wunderbarer Anknüpfungspunkt für einen Aufbruch zu einem besseren Geschichtsunterricht.

Mit der Reduktion auf anderthalb Wochenlektionen Geschichte ist das Fach stark abgewertet worden.

Felix Schmutz stellt in seinem Beitrag zu Recht die Frage nach dem Aufbau des geschichtlichen Basiswissens in der Schweizer Geschichte. Erhalten unsere Schülerinnen und Schüler überhaupt noch Einblicke in wesentliche Epochen unserer Geschichte? Werden durch faktenorientierte Erzählungen emotionale Bilder über historische Ereignisse vermittelt und gelingt es, bei den Jugendlichen geschichtliches Denken anzuregen? Mit der Reduktion auf anderthalb Wochenlektionen Geschichte ist das Fach stark abgewertet worden. Die aktuelle Didaktik sucht Auswege über fächerübergreifendes exemplarisches Lernen. Doch damit wird auf die Idee einer verdichteten Gesamtschau der Entstehung der modernen Schweiz verzichtet. Für den Weg durch den Dschungel des geschichtlichen Geschehens braucht es dringend gut ausgebildete Lehrpersonen, welche mit dem Blick fürs Wesentliche und die interessanten Details den Unterricht gestalten. Wie übereinstimmende Erfahrungen zeigen, lohnt sich das Wagnis eines narrativ geprägten Unterrichts, denn spannend vermittelte Geschichte im Rahmen eines strukturierten Aufbaus spricht die allermeisten Jugendlichen an.

Die Lehrerschaft muss die kulturelle Bedeutung des Fachs in Erinnerung rufen und klar verbesserte Rahmenbedingungen für einen Geschichtsunterricht mit verbindlichen Bildungszielen fordern.

Der jetzige Zustand beim bunten Sammelfach RZG ist völlig unbefriedigend. Der mit Kompetenzzielen völlig überladene Lehrplan ist keine Orientierungshilfe für einen auf Bildungsinhalte ausgerichteten Geschichtsunterricht. Die Lehrplanverantwortlichen scheint das wenig zu kümmern, da im Bereich Geschichte von der Politik her ganz im Gegensatz zu den Fremdsprachen keine grossen Erwartungen mit der Volksschule verknüpft sind. Man verdrängt ohne Wimperzucken die Tatsache, dass ein Grossteil unserer Jugend am Ende der Volksschulzeit über die Entwicklung unserer modernen Demokratie und wesentliche historische Ereignisse nicht im Bild ist.

Will man den Geschichtsunterricht aufwerten, muss die Lehrerschaft das Heft selbst in die Hand nehmen. Sie muss die kulturelle Bedeutung des Fachs in Erinnerung rufen und klar verbesserte Rahmenbedingungen für einen Geschichtsunterricht mit verbindlichen Bildungszielen fordern. Die Schule in Biel hat mit ihrem Projekt einen ersten ermutigenden Schritt dazu getan.

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Es braucht eine innere Schulreform mit Einbezug von Förderklassen

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2 Kommentare

  1. Mich interessiert in Bezug auf geisteswissenschaftliche Fächer immer auch die Frage auf der Metaebene: In welchem Sinne ist Geschichte von den Methoden her eine wissenschaftliche Disziplin? Und sind unterschiedliche historische Sichtweisen auf methodische Unterschiede zurückzuführen oder sind es eher ideologische Differenzen?
    Müssten solche grundsätzlichen Fragen nicht auch in den Unterricht einfliessen, statt dass man nur eine Art Faktenkunde macht?

    1. Sehr interessante Frage. Historische Quellen sind immer Zeitzeugnisse, die interpretiert, gewichtet und beurteilt werden müssen. Der Blickwinkel der Interpretierenden ist zeit- und ideologiegebunden. Marxisten erzählen geschichtliche Ereignisse anders als Feministinnen oder Traditionalisten. Geschichtsunterricht ist deshalb stets in Gefahr instrumentalisiert zu werden: Dient er der nationalen Selbstvergewisserung und der mythischen Überhöhung (Das weisse Buch von Sarnen, 1472), der Indoktrination des Volkes in Diktaturen (Putins “Zur historischen Einheit von Russen und Ukrainern”, 12.07.2021), der einseitigen Gewichtung eines vernachlässigten Aspekts (feministische Archäologie)? Der Unterricht in Schweizergeschichte tendiert nach einer Phase der heldenhaften Überhöhung zur Dekonstruktion und Demystifizierung nach dem Motto “Eigentlich war alles ganz anders, als es bisher dargestellt wurde”. Das Problem: Damit sinkt die Attraktivität und Popularität, der Unterricht kann trocken und akademisch werden. Jüngere Jugendliche verlieren das Interesse. Hier einen gangbaren Weg zu finden, kann – wie Hanspeter Amstutz sagt – nur von Unterrichtenden kommen, die mit den jeweiligen Altersstufen gut vertraut und gleichzeitig historisch solide ausgebildet sind.

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