Hoppla, jetzt aber.
Mitte September hat die Grossratsfraktion der Basler FDP sechs Vorstösse eingereicht, gleichzeitig und zum selben Thema: Bildung. Es ist dies, wenn man so will, die parlamentarische Fortsetzung eines zuvor präsentierten Papiers, das, prägnant zusammengefasst, aussagt: Die Basler Schule ist schlecht. Und: Wir kümmern uns nun darum.
Die Freisinnigen haben in ihrem neuen Grundsatzprogramm ja festgelegt, dass Bildung eines von vier grossen Themen ist, die man prägen möchte. Das Dossier ist Teil einer – in wirtschaftsliberaler Sprache gehaltenen – innerparteilichen Restrukturierung.
Gefordert werden: Rankings der Sekundarschulen, Mindestpensen, mehr Einführungsklassen, Weiterbildungsgutscheine für Lehrabgänger, mehr Deutsch-Frühförderung und Ausbildungsanpassungen auf Primarstufe für Lehrer (auch via Berufsbildung anstatt nur mittels Studium).
«Populismus»
Damit möchte die Partei nach Jahren des Niedergangs – endlich, endlich – wieder Akzente setzen.
Man kann, wenn man gutmütig sein will, sagen: Das ist gelungen. Aber vielleicht nicht so, wie sich das die FDP ersehnt hat. In der «Basler Zeitung» ist einer der Vorschläge – Rankings – bereits ordentlich zerzupft worden; die Freiwillige Schulsynode Basel hält solche Vergleiche für «problematisch», und die SP-Grossrätin Franziska Roth, Präsidentin der Bildungskommission im Grossen Rat, bezeichnet die Idee als «völlig daneben».
Und auch die Lehrer empfinden die Pläne, nun ja, bisher nur als semi-witzig. Interessenvertreter – Schulsynode und Starke Schule beider Basel – sparen bei «Prime News» nicht mit Kritik: Mindestpensen sind unflexibel, schwächen die Frauen, fördern den Berufsausstieg. Und bei einer eingeführten Berufsbildung für Primarlehrer fürchtet man nichts weniger als die Abwertung des Lehrerberufs.
Kurz: Die FDP hätte sich doch besser vor der Veröffentlichung bei ihnen gemeldet.
Hoppla, jetzt aber.
Die bürgerlichen Mitstreiter – wenn man das überhaupt noch so nennen kann – haben ebenso wenig Freude an den freisinnigen Denkanstössen. Christoph Eymann, ehemaliger Erziehungsdirektor der LDP, wirft der Schwesterpartei in seiner BaZ-Kolumne sogar «Populismus» und eine «Beleidigung» der Lehrer vor. Der FDP-Vizepräsident reagiert wiederum mit einer vorwurfsvollen Replik.
Hoppla, jetzt aber.
«Katastrophales Zeugnis»
Das mag alles etwas kleingeistig wirken, ist doch noch kein Vorstoss behandelt worden – und mit Ideen könnte man sich ja zuerst einmal auseinandersetzen. Gerade im Fall von Basel-Stadt müsste eigentlich jeder Vorschlag willkommen sein, wenn man an die schulische Tristesse im Stadtkanton denkt.
Konkret an den ersten nationalen Schulvergleich von vor drei Jahren, als die Basler Schüler sowohl in Deutsch als auch in Mathematik versagt haben. Die «Neue Zürcher Zeitung», nicht für übertriebene Zuspitzung bekannt, hat damals schonungslos getitelt: «Katastrophales Zeugnis für die Basler Schulen».
Dabei darf man nicht vergessen: Ein basel-städtischer Schüler kostet laut einer Erhebung (2019) des Bundesamts für Statistik mit fast 20’00 Franken fast doppelt so viel wie einer aus dem Wallis oder aus Freiburg, die natürlich auch noch viel besser abschneiden: Basel-Stadt war bei den letzten Vergleichstests abgeschlagen Letzter, Freiburg in allen Fächern auf dem Podest.
Die Realität sieht, sehr schonend formuliert, auch weiterhin nicht verheissungsvoll aus: Stolze 41 Prozent der Kinder müssen ab drei Jahren an staatlichen Förderprogrammen teilnehmen und Deutsch lernen – und besuchen deswegen mindestens zwei Halbtage pro Woche in einer Spielgruppe oder einer Kindertagesstätte eine «frühe Deutschförderung». In Zukunft dürfte dieser Wert noch steigen.
Sicher, es wird versucht, mit grossem Aufwand (und viel Geld natürlich), die Startbedingungen für möglichst alle Kinder zu verbessern. Aber es wirkt bestenfalls wie Pflästerlipolitik, realistischer: wie Makulatur.
Das kaschiert man mit wachsweichem Umgang mit den Schülern: ja nicht zu streng, lieber eine gute Entschuldigung finden. Heute gibts keine Ungenügenden mehr, sondern eine Lektion mehr in einer Lernoase. Spürsch-mi-fühlsch-mi-Groove (auch wenn der Erziehungsdirektor dies vehement bestreitet).
«Zu schlecht für Lehre»
Die Folgen sind gravierend: Die Gymnasialquote ist mit 33 Prozent noch immer viel zu hoch. Und gleich noch eine andere Schreckenszahl: Nur 21 Prozent aller Basler Schulabgänger beginnen nach der obligatorischen Schulzeit eine Lehre. Kurz: Das Niveau der Schulen nivelliert sich seit Jahren nach unten. Die Folgeschäden trägt die Universität, an der die Basler Maturanden die höchsten Abbruchquoten produzieren.
Und weil viele Schüler, die wunderbare Lehrlinge wären, zu Unrecht am Gymi hocken, fehlen der Wirtschaft gute Nachwuchskräfte. Die BaZ hat bereits vor drei Jahren getitelt: «Kritik an Schulen: Viele Basler zu schlecht für Lehre». Lehrmeister und Wirtschaftsverbände grummeln schon lange wegen fehlender Qualität. Die Betriebe suchen ihre Mitarbeiter stattdessen in anderen Kantonen.
Kann es das wirklich sein?
Und wenn dann eine Partei kommt, die endlich mal wieder ein paar Vorschläge bringt: Dann wird sie von allen Seiten kritisiert?
Nun, das hat durchaus seine Gründe. Die FDP ist (zusammen mit der LDP) Teil eines Blocks, der seit über 70 Jahren für die Bildungspolitik die Verantwortung trägt. Also länger, als die Queen regiert hat. Und die Freisinnigen haben alle Reformkatastrophen nicht unbegeistert mitgetragen: Integrative Schule, Frühfranzösisch, Kompetenzorientierung …
Der bekannteste Lehrer der Schweiz, Alain Pichard, lange in Basel aktiv, hat auf seinem «Condorcet»-Blog mit scharfer Klinge das bildungspolitische Versagen seziert: «Die Hüst-und-hott-Reformen der verschiedenen Schulinstitutionen, die kafkaesken Auswüchse der Schülerbeurteilungen (überfachliche Kompetenzen in mehrseitigen Fragebögen), die ultimative Umsetzung des Integrationsartikels, die exorbitanten Ausgaben für Luxusbauten, die Investitionen in den administrativen Überbau, die Schaffung vieler Plan- und Beratungsstellen und die Explosion der Anzahl von Speziallehrerinnen: alles auf Entscheide des Bildungsdepartements der letzten Jahre zurückzuführen.»
Da ist es schon erstaunlich, dass sich Freisinnige und Liberale nun gegenseitig angreifen. Sieben Dekaden in der Verantwortung: War da was?
Das ist in etwa so verständlich wie das FDP-Wahlplakat im Jahr 2000: «Das Beste am Basler Schulsystem sind die Ferien.» Da hatte man beim Freisinn nach wenigen Monaten ohne Erziehungsdepartement wohl bereits vergessen, dass man es zuvor mehr als 30 Jahre lang am Stück unter sich gehabt hatte …
Das Problem ist ein altbekanntes: bloss keinen Widerstand. Die Lehrerlobby, die Elternlobby, die Reformlobby? Niemandem soll auf den Schlips getreten werden, es könnte ja Unruhe entstehen, Widerspruch geben, auch Streit. Und wer will denn das, wenn man es sich so bequem eingerichtet hat in den bildungspolitischen Elfenbeintürmen? Also gibt es gut klingende Reformen, wohlmeinende Versprechen – während in der Realität die Schulen qualitativ verlottern …
Schwesternstreit
Deswegen muss man konstatieren: Es ist eine gute Idee der FDP, dass sie, ziemlich aufwendig umstrukturiert, nun auch alte Gewissheiten hinter sich lassen will. Aber man wünscht sich dann von Vorschlägen schon mehr Konsequenz und Fortschritt – und nicht nur einen politischen Schwesternstreit, ausgetragen via «Basler Zeitung».
Man kommt nicht umhin: Die beiden bürgerlichen Parteien übernehmen keine Verantwortung, sie wehren sich nicht wirklich gegen das Desaster. Und wenn jemand, wie FDP-Präsident Johannes Barth, das Schulproblem zwar erkennt: Dann fabriziert man trotzdem bloss ein Bildungsprogramm auf mediokrem Niveau.
Mehr geht offenbar nicht.
Man wünschte sich deswegen auch mal bildungspolitische Inputs von anderen Parteien. Und? Nun ja: dröhnendes Schweigen. Die SVP hat peinlicherweise noch nie konkretes Interesse an diesem Bereich gezeigt (und beschränkt sich auf stumpfe Schlagworte), die akademisch geprägten Grünen wissen kaum mehr, dass es ausser der Universität noch andere Bildungswege gibt – und die SP, einst die Bildungspartei und eigentlich dem Erbe von Grössen wie Fritz Hauser verpflichtet? Man weiss es gar nicht so genau. Am ehesten scheint sie besorgt darüber, dass korrekt gegendert wird.
«Die SP-Seilschaften haben sich längst aus den Schulhäusern verabschiedet, sich in die Planungs-Forschungs-Entwicklungs-Evaluations-und-Weiterbildungs-Etage hinaufgeschoben und von der Realität abgekoppelt.»
Roland Stark, Mitinitiant der Förderklasseninitiative
Es braucht deshalb mehr Engagement aus der Zivilgesellschaft. Dass das möglich ist, zeigt die zustande gekommene Förderklasseninitiative, deren Annahme das Ende der gescheiterten integrativen Schule bedeutete. Das sollte nur der Anfang sein. Mitinitiant Roland Stark, ehemaliger Basler SP-Präsident und Heilpädagoge, bringt es auf den Punkt, wenn er von einem bürgerlichen Totalausfall in der Bildungspolitik spricht. Und er ist auch tief enttäuscht von seiner eigenen Partei: «Die SP-Seilschaften haben sich längst aus den Schulhäusern verabschiedet, sich in die Planungs-Forschungs-Entwicklungs-Evaluations-und-Weiterbildungs-Etage hinaufgeschoben und von der Realität abgekoppelt.»
Hoppla, jetzt aber.
Dieses Fremdeln mit der Realität: Das hat den Kanton in eine katastrophale Lage gebracht. Die Schule verlottert, ein Ende ist nicht in Sicht. Aber die Beletage nippt weiterhin gemütlich am Schämpis, nachdem man sich wieder einmal selbst für eine Reform gratuliert hat.
Wann wird sich jemand ernsthaft dagegen auflehnen?
Nun ja – schuld sind so eigentlich alle. Wenn Herr Eymann dann noch auftritt, so wird es wirklich kafkaesk. In seiner Funktion als EDK-Oberverantwortlicher hat er die Leerläufe “21” massgeblich mitbestimmt.
Diese Schulkatastrophe ist letztlich ein sichtbarer Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen Baisse, in der zu Viele über ihren Verhältnissen denken und leben. Narzissmus ist inzwischen die Volkskrankheit Nr. 1.
Insofern begrüsse ich die neusten Vorschläge der FDP halt dennoch.
Wieso schneiden Basler Schulen schlechter ab als andere? Das zu erforschen ist unangenehmer, als schnell ein paar modische Reförmchen anzureissen. Man müsste eventuell heilige Kühe opfern, wie beispielsweise: 1. Die Primarschule ist untadelig, auch wenn Kinder in 6 Jahren dort zu wenig lesen, schreiben und rechnen lernen, sodass die nur dreijährige Sekundarschule manche Defizite aufarbeiten muss. 2. Störende und lernschwache Kinder bereichern die Klassen, auch wenn Lärm und Unruhe das Lernen verunmöglichen. 3. Alle Kinder müssen chancengerecht den gleichen Stoff lernen, obwohl die Schwachen und Langsamen nur noch Bahnhof verstehen und die Talentierten ausgebremst werden. 4. Möglichst alle ins Gymnasium aufnehmen, auch wenn der Stoff für rund die Hälfte der Aufgenommenen zu schwer ist. 5. Möglichst früh mit Fremdsprachen beginnen, auch wenn die Übungszeit dann für wichtige Basics fehlt und sich die Mehrsprachigkeit beim Eintritt in die Sekundarschule auf wundersame Weise derart verflüchtigt, dass auch starke Deutsch-Defizite bestehen. 6. Möglichst früh Tablets einsetzen, damit Lernende individuell an spassigen Multiple-Choice- Kompetenzstufen «wachsen» können, auch wenn die Zerstückelung des Wissens keine nachhaltigen Zusammenhänge im Kopf ergibt.