Ernüchternde Erfolgsbilanz des frühen Fremdsprachenunterrichts

Condorcet-Autor Hanspeter Amstutz hat auf den Leserbief von Frau Le Pape Racine in der Zeitschrift Biel-Bienne reagiert. Er sieht eine Frau, die in einer anderen Welt zu leben scheint.

Hanspeter Amstutz:
Frau Le Pape nimmt die Fakten nicht zur Kenntnis.

Die Replik von Christine Le Pape Racine zu Alain Pichards schonungsloser Bilanz des frühen Französischunterrichts schiesst weit übers Ziel hinaus. Man kann über die plakative Wortwahl des Autors geteilter Meinung sein, doch inhaltlich hat sein Text sehr viel Substanz.

Die Fehler, die in der Zeit der Experimentierphase des Deutschschweizer Mehrsprachenkonzepts gemacht wurden, waren haarsträubend. Bei der Einführung wurde behauptet, mit der neuen Methode des Sprachbades könnten fast alle Schüler am Ende der Primarschulzeit bereits munter Französisch parlieren und mit dem Frühenglisch würde ein grosser Lernvorsprung erzielt.

Die meisten Lehrerinnen und Lehrer hingegen konnten der Vorstellung eines künstlich arrangierten Sprachbads im Französisch und Englisch wenig abgewinnen. Für sie war klar, dass ein Zwei-Lektionen-Unterricht im Klassenzimmer wenig mit natürlichem Sprachenlernen in einer fremdsprachigen Umgebung zu tun hat. Die Spannungen nahmen zu, als vonseiten der Lehrerschaft die entscheidende Frage nach Aufwand und Ertrag beim frühen Sprachenlernen gestellt wurde. Und diese Bilanz fiel schon bald sehr ernüchternd aus. In einer gründlichen Untersuchung der Zentralschweizer EDK zeigte sich, dass die Französischkenntnisse am Ende der Primarschulzeit bedenklich schwach waren. Zwei Drittel der Schüler erreichten die Lernziele im tiefstem Anspruchsniveau A1 nicht und konnten kaum einen kurzen Satz bilden. Vier Jahre Frühfranzösisch hatten offensichtlich wenig Begeisterung für die schöne Sprache ausgelöst.

Die grosse Schwachstelle beim Fremdsprachenunterricht waren die immersiven Lehrmittel mit dem ungenügend strukturierten Sprachaufbau.

Christine Le Pape: Es braucht eine Generation!

Die grosse Schwachstelle beim Fremdsprachenunterricht waren die immersiven Lehrmittel mit dem ungenügend strukturierten Sprachaufbau. Die jüngste Umfrage im Baselbiet bestätigt, dass die meisten Lehrpersonen kein Vertrauen in die Französischlehrmittel und ins überladene Frühsprachenkonzept haben. Wenn durchschnittlich weit mehr als die Hälfte der Primarschüler in mindestens einer der beiden Fremdsprachen völlig überfordert ist, stimmt etwas grundsätzlich nicht. Hauptirrtum ist die Annahme, das parallele Lernen dreier Sprachen schaffe zeitsparende Synergien. Die Verzettelung der Bildungsziele hat vielmehr zu einem chronischen Mangel an Übungszeit bei der Festigung der Grundstrukturen im Deutsch und in den Fremdsprachen geführt. Aufsätze werden nicht mehr korrigiert, Fallformen zu wenig trainiert und die Konjugation der französischen Verben muss im Schnellverfahren erledigt werden.

Eine Schule, welche den Wunschbereich der frühen Fremdsprachenförderung fast ebenso stark gewichtet wie die Kernaufgaben in Deutsch und Mathematik, ist auf dem Holzweg. Die Euphorie beim frühen Sprachenlernen ist unterdessen längst verflogen. Es wäre keine Überraschung, wenn bei einem erneuten Volksentscheid das abenteuerliche Konzept der frühen Dreisprachigkeit beendet würde.

Hanspeter Amstutz

Ehemaliger Bildungsrat und Sekundarlehrer

Fehraltorf ZH

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2 Kommentare

  1. Das EDK-Projekt “Frühfremdsprachen” geht auf eine Initiative des Europarates zurück, mit der die Länder Europas aufgefordert wurden, allen Lernenden neben Englisch noch eine oder zwei weitere Sprachen beizubringen. Es ging darum, Verständnis für die kulturelle und sprachliche Vielfalt zu wecken und die Dominanz des Englischen zurückzubinden. Zur Erleichterung sollte die Didaktik der Mehrsprachigkeit dienen, die auf die Ähnlichkeit der Sprachen setzt und sich vom Ideal der korrekten Einsprachigkeit entfernen will.
    Das war von Anfang an ein elitäres Konzept, das in Gymnasien und Universitäten, deren Studierende schon eine gute sprachliche Grundlage besitzen, funktionieren mag. Hingegen in integrativen Volksschulen war es zum Scheitern verurteilt. Sowohl in Europa als auch in der Schweiz wurden die hohen Erwartungen der Politik deutlich verfehlt, wie diverse Studien inzwischen belegen. Zurück bleibt ein Scheiterhaufen und womöglich eine lebenslange Abneigung gegen Fremdprachen ausser Englisch.

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