25. April 2024

Digitalpakt Schule: Heiße Luft und hohe Kosten

Wer sich an die vollmundigen Versprechen der damaligen Bundesbildungsministerin Johanna Wanka zum Digitalpakt Schule 2016 erinnert oder die Pressemeldung Nr. 16 ihrer Nachfolgerin aus dem März 2022 liest, dürfte vom Bericht des Bundesrechnungshofes überrascht sein, der ein Ende dieser Ausgaben fordert. Condorcet-Autor Ralf Lankau berichtet.

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Prof. Dr. phil. Ralf Lankau: Es werden Doppelstrukturen geschaffen.
Bild: Lankau

Ein Fünf-Milliarden-Euro-Programm für „digitale Bildung“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), verteilt auf fünf Jahre, sollte im Jahr 2016 die etwa 40.000 Schulen in Deutschland flächendeckend mit digitaler Ausstattung (Breitbandanbindung, WLAN, Endgeräte) versorgen. Zwar ist der Bund durch das Kooperationsverbot von Bund und Ländern im Schulbereich gar nicht zuständig, aber Artikel 91c des Grundgesetzes erlaube eine Zusammenarbeit im Bereich Informationstechnik ohne Grundgesetzänderung, so das BMBF damals. Geld vom Bund gebe es aber nur, wenn sich die Länder verpflichten, pädagogische Konzepte, Aus- und Fortbildung von Lehrern und gemeinsame Standards für Digitaltechik umzusetzen. Auch müssten die Länder und Schulen zusichern, Folgeinvestitionen nach Auslaufen des Paktes zu übernehmen, eine Festlegung von Schuletats über den Förderzeitraum des Pakts hinaus. Gedauert hat die Umsetzung länger als geplant. Im Jahr 2016 durch das Finanzministerium blockiert, im Wahlkampf 2017 ausgespart, stand der Digitalpakt Schule erst 2018 wieder auf der Agenda des Bundestages und wurde 2019 in Kraft gesetzt.

Der 2019 gestartete „Basis-Digitalpakt Schule“ für den Ausbau der Infrastruktur in Schulen wurde mittlerweile auf 6,5 Milliarden Euro erweitert. 500 Millionen Euro stehen ab Juli 2020 bereit für ein Sofortausstattungsprogramm für Endgeräte, die an Schülerinnen und Schüler ausgeliehen werden

Weit hinter den Erwartungen.
Bild: AdobeStock

können. Ebenfalls 500 Millionen Euro standen ab Januar 2021 zur Verfügung, um Leihgeräte für Lehrkräfte zu beschaffen. Noch einmal 500 Millionen Euro kamen im November 2020 dazu, um Administratoren zu fördern, die sich um die digitale Technik kümmern. Die Länder stocken diese Beträge um zehn Prozent Eigenanteil auf, daraus ergibt sich eine Gesamtsumme von 7,15 Milliarden Euro. Seit Beginn der Pakt-Laufzeit 2019 seien mittlerweile 1,2 Milliarden Euro für den Ausbau der digitalen Infrastruktur an Schulen ausgegeben, laufende Projekte im Umfang von 2,4 Milliarden Euro bewilligt, so das BMBF im März 2022. „Auch wenn der Digitalpakt Fahrt aufnehme, blieben die Zahlen hinter den Erwartungen zurück, eine weitere Beschleunigung sei dringend nötig“, so die derzeitige Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (Pressemeldung No. 16 vom 4. März 2022).

Die Mittelverteilung in den 16 Bundesländern würde von insgesamt 38 Behörden und Investitionsbanken verwaltet, die Verfahren seien kleinteilig und intransparent, das Nachweisverfahren lückenhaft. Auch seien weder der pädagogische Nutzen noch Lernerfolge ersichtlich.

Der Bundesrechnungshof widerspricht vehement. In einem Bericht an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages nach § 88 Abs. 2 BHO über die Prüfung länderübergreifender Maßnahmen im Zusammenhang mit dem „DigitalPakt Schule“ fordert er stattdessen das Ende des Digitalpakts Schule . Der Bund sei gar nicht zuständig für die IT-Ausstattung der Schulen. Das sei Ländersache und damit außerhalb des verfassungsmäßigen Aufgabenbereichs des Bundes. Gelder würden anhand fester Schlüssel statt nach Bedarf verteilt. Es werde nicht berücksichtigt, dass in einigen Ländern und Schulen bereits ausreichende IT-Ausstattung zur Verfügung stehe, stattdessen würden Doppelstrukturen geschaffen. Die Mittelverteilung in den 16 Bundesländern würde von insgesamt 38 Behörden und Investitionsbanken verwaltet, die Verfahren seien kleinteilig und intransparent, das Nachweisverfahren lückenhaft. Auch seien weder der pädagogische Nutzen noch Lernerfolge ersichtlich. Aufgrund der beschränkten Steuerungs- und Kontrollrechte des BMBF sollten die Finanzhilfen im Rahmen des Pakts eingestellt, auf die Verlängerung des Pakts verzichtet werden.

Er sieht die erhebliche Gefahr von Förderruinen, für deren Weiterbetrieb es keine Perspektiven gibt.

Scheitern mit Ansage

Das gelte auch für die darüber hinaus finanzierten Projekte. Für die vom BMBF mit 630 Mio. Euro entwickelte Bildungsplattform fehle die Wirtschaftlichkeitsprüfung, die Finanzierungskompetenz und die Abstimmung mit den Ländern. „Der Bundesrechnungshof hält es für grob fahrlässig, dass das BMBF die Wirtschaftlichkeit und Tragfähigkeit erst im laufenden Prozess klären will. Er sieht die erhebliche Gefahr von Förderruinen, für deren Weiterbetrieb es keine Perspektiven gibt.“ Die vom BMBF finanzierte HPI-Schulcloud, auch als Bundes-Schulcloud bekannt und mittlerweile in „dBildungscloud“ umbenannt, wurde den Ländern 2018 ohne Bedarfserhebungen der schulischen IT-Infrastruktur angeboten. Sie war selbst als kostenfreie „Bundes“-Schulcloud in Ländern mit eigenen Clouds kaum nachgefragt noch förderwürdig. „Ende 2018 prüfte das BMBF, wie es den Aufbau einer allgemeinen, überregionalen Schulcloud forcieren konnte. Ergebnis war, dass es den Betrieb einer überregionalen Schulcloud nicht fördern darf.“ (S.20) Das BMBF habe die weitere Entwicklung dennoch unterstützt, ohne Interesse von Seiten der Länder an einer Bundesschulcloud. Wer hat das Projekt trotzdem forciert?

Gleiches gilt für die Pseudonymisierung, das sogenannte ID Management über die HPI-Schulcloud. Ende 2018 stand eine Lösung für ein übergreifendes ID-Management als freie Software-Lösung („Open Source“) zur Verfügung. Nur stellte das BMBF auch hier fest, dass auf Länderseite dafür das Interesse fehlte (S. 23). Der Bundesrechnungshof zeigt sich ob solcher Fehlplanungen deutlich irritiert:

Wirkung mehr als fraglich

„Weder bei den Projekten zur Schulcloud noch zum ID-Management und zur Lehrerfortbildung hat das BMBF vorab den Bedarf und die Notwendigkeit seiner Zuwendungen untersucht. Dies ist insbesondere auch deshalb nicht hinnehmbar, weil es sich nicht um ergebnisoffene Forschungsprojekte handelte, sondern um Projekte mit denen das BMBF strategisch zentrale Bereiche der Digitalisierung der Schulen an sich ziehen wollte.“ (29)

Planungen und Absichten zu Begleitprojekten im schulischen Bereich seien vom BMBF nicht transparent gemacht worden. Wechselnde Veranschlagung in unterschiedlichen Haushaltskapiteln und thematisch nicht präzise gefasste Bezeichnungen in Einzelplänen hätten gegen den Grundsatz der Haushaltsklarheit verstoßen. Planungsmängel hätten sich in länderübergreifenden Maßnahmen innerhalb des „DigitalPakts Schule“ fortgesetzt. Die Bemühungen des BMBF um bundesweite Maßnahmen und einheitliche Standards für die Digitalisierung der Schulen sei generell gescheitert und wäre vermeidbar gewesen, „wenn sich das BMBF konsequent mit dem Handlungsrahmen und den Entwicklungen der Länder auseinandergesetzt und darauf verzichtet hätte, am Bedarf vorbei Parallelangebote zu schaffen.“ (31)

Schulen sind unterfinanziert und unterbesetzt. Nur müssen Gelder auch an den Schulen ankommen und es muss dort entschieden werden können, wofür sie sinnvoll und notwendig eingesetzt werden: für qualifizierte Lehrkräfte, Mentoren und Tutoren, für Schulsozialarbeiter und Psychologen.

Bundesrechnugshof übt massive Kritik: Keines der Projekte wird sich realisieren lassen.

„Das BMBF hat ohne eigene Zuständigkeit versucht, strukturbildend und übergreifend die Digitalisierung an den Schulen zu fördern. Es hat dabei versäumt, mit den Ländern den Bedarf und die gemeinsamen Voraussetzungen für übergreifende IT-Infrastrukturen zu klären. Hierdurch ist es schon bei der Vorbereitung des „DigitalPakts Schule“ nicht gelungen, technische Synergien, z.B. über gemeinsame Cloud Strukturen, zu realisieren. Da alle Länder im Rahmen ihrer Möglichkeit bemüht sind, ihren Aufgaben gerecht zu werden, geht der Bundesrechnungshof davon aus, dass sich keines der BMBF eigenen Projekte durchsetzen wird. (…) Die Bemühungen des BMBF, bundesweit übergreifende Maßnahmen und einheitliche Standards für die Digitalisierung der Schulen zu befördern, hält der Bundesrechnungshof für gescheitert. Von weiteren eigenen Strategien und Begleitprojekten zur Digitalisierung der Schulen außerhalb des „DigitalPakts Schule“ muss das BMBF absehen. Es fehlt ihm hierfür nicht nur die Zuständigkeit. Seine Initiativen führen vielmehr zu Angeboten, die redundant zu denen der Länder und damit unwirtschaftlich sind.“ (Zusammenfassung)

Man kann die Lektüre des Berichts des Bundesrechnungshofes all denen empfehlen, die über die Finanzierung von Bildungseinrichtung entscheiden. Schulen sind unterfinanziert und unterbesetzt. Nur müssen Gelder auch an den Schulen ankommen und es muss dort entschieden werden können, wofür  sie sinnvoll und notwendig eingesetzt werden: für qualifizierte Lehrkräfte, Mentoren und Tutoren, für Schulsozialarbeiter und Psychologen. Das ist das zentrale Ergebnis der Studien aus der Pandemie. So aber ist der Digitalpakt Schule nur ein weiteres Beispiel für Dilettantismus und versuchten Dirigismus aus Berlin samt erfolgreicher Lobbyarbeit der IT-Wirtschaft für ihre Partikularinteressen. Und es geht weiter, immer weiter …

„Mit der Nationalen Bildungsplattform, für die 630 Mio. Euro aufgewandt werden sollen, deutet sich ein erneutes Scheitern des BMBF bei einem bundesweiten Infrastrukturprojekt an.“ (70)

Quellen

Bundesrechnungshof (2022) Länderübergreifende Maßnahmen im Zusammenhang mit dem „DigitalPakt Schule“.

Zusammenfassung: Länderübergreifende Maßnahmen im Zusammenhang mit dem „DigitalPakt Schule“

Der Gesamt-Bericht als PDF: Länderübergreifende Maßnahmen im Zusammenhang mit dem „DigitalPakt Schule“

Pressemitteilung BMBF Nr. 16 (04.03.2022): Stark-Watzinger/Prien: Weitere Beschleunigung des Digitalpakts nötig. Fast die Hälfte der Gesamtmittel wurden verplant, etwa ein Fünftel der 6,5 Milliarden Euro ausgegeben.

Unterberg, Swantje (Spiegel online 13.8.2022) Kritik an Milliardenausgaben des Bundes: Bundesrechnungshof fordert Ende des Digitalpakts Schule

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2 Kommentare

  1. Die Staatsschulen zwischen Mobbingprävention und der Klärung der Frage, ob Bub oder Mädchen. Der Rest dazwischen ist quasi egal, aber dafür digital.

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