21. Dezember 2024

Stimmrechtsalter 16 setzt besseren Geschichtsunterricht voraus

Hanspeter Amstutz setzt sich unermüdlich für einen aufbauenden Geschichtsunterricht ein. Die Diskussion um das Stimmrechtsalter 16 rückt seiner Meinung nach den aktuellen Geschichtsunterricht bzw. seine Bedeutung erneut in den Fokus.

Hanspeter Amstutz:
Man trägt viel eher zu etwas Sorge, das man kennt.

Ein Stimmrechtsalter 16 setzt die optimistische Annahme voraus, dass unsere Volksschüler mit einem Rucksack voll geschichtlich-politischer Grundkenntnisse die Sekundarschule verlassen. Doch ist dies tatsächlich der Fall? Geschichtliche Bildungsinhalte sind eingestreut in das Sammelfach «Räume, Zeiten, Gesellschaft», wo für Geschichte höchstens anderthalb Wochenlektionen zur Verfügung stehen. An den meisten Schulen herrscht Unklarheit über die Verbindlichkeit der Bildungsziele, da der Lehrplan mit seiner Fülle an Möglichkeiten den Blick aufs Wesentliche erschwert.

Wieweit 16-Jährige für verantwortungsvolle Entscheide auf politischer Ebene wirklich reif sind, bleibt umstritten. Sicher ist hingegen, dass sie auf diese Aufgabe besser vorbereitet werden müssten, als dies zurzeit der Fall ist. Ohne Grundkenntnisse über die neuere Geschichte unseres Landes fehlen wesentliche Elemente für das Verstehen politischer Zusammenhänge. Da können auch die attraktiven Lernangebote des Aarauer Zentrums für Demokratie die breite Lücke kaum füllen.

Die Vermittlung geschichtlicher Bildungsinhalte besteht nicht in einem beflissenen Abhaken unzähliger Ereignisse zur Erfüllung eines umfangreichen Stoffprogramms. Nachhaltigkeit wird nur erreicht, wenn man sich an Meilensteinen epochaler Entwicklungen der schweizerischen und europäischen Geschichte zu orientiert. So kann die Industrialisierung im 19. Jahrhundert mit den Pionierleistungen von Schweizer Unternehmern aufzeigen, welche gesellschaftlichen Veränderungen die gesteigerte Wirtschaftskraft mit sich brachte. Mit Einblicken ins Leben von Arbeiterfamilien in den Mietskasernen werden aber auch die Schattenseiten des Maschinenzeitalters den Schülerinnen und Schülern vor Augen geführt. Allein schon aus der inneren Spannung dieser Entwicklung tauchen Fragen zur sozialen Gerechtigkeit und zur Bedeutung des technischen Fortschritts auf.

Inszenierte Massenveranstaltungen, systematische Hetze gegen Andersdenkende, Anzünden des Reichstags und Ausschaltung des demokratischen Rechtsstaats durch das Vollmachtregime Hitlers lassen die Schüler erkennen, dass es in der aktuellen Gegenwart erschreckende Parallelen gibt.

Ist das Vorverschieben von politischer Verantwortung mit der faktischen Abwertung des Geschichtsunterrichts in der Volksschule in Einklang zu bringen?

Zu den geschichtlichen Meilensteinen des 20. Jahrhunderts gehören sicher die Vorgänge rund um die Machtergreifung der Nationalsozialisten in den Dreissigerjahren. Jugendliche sind betroffen, wenn sie sehen, mit welch teuflischen Machenschaften Hitlers Anhänger die politische Opposition ausgeschaltet haben. Inszenierte Massenveranstaltungen, systematische Hetze gegen Andersdenkende, Anzünden des Reichstags und Ausschaltung des demokratischen Rechtsstaats durch das Vollmachtregime Hitlers lassen die Schüler erkennen, dass es in der aktuellen Gegenwart erschreckende Parallelen gibt.

In einem lebendigen Geschichtsunterricht werden Themen aufgegriffen, die sich bezüglich inhaltlicher Attraktivität und politischer Relevanz für offene Diskussionen in der Klasse eignen. Jugendliche erkennen dabei, dass zentrale Werte unseres Staates im Lauf der letzten 200 Jahre hart errungen werden mussten. Die AHV der Grosseltern ist keine Selbstverständlichkeit. Sie ist entstanden aus den Möglichkeiten einer starken Wirtschaft und der Einsicht einer politischen Mehrheit in unserem Land, dass möglichst alle vom steigenden Wohlstand profitieren sollen.

Das erwachte politische Interesse eines Teils unserer der Jugend darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die meisten Volksschulabgänger sich erst durch starke didaktische Impulse für politische Fragen erwärmen können. Faktenorientierter narrativer Geschichtsunterricht, unterstützt durch aussagekräftiges Bildmaterial, hat sich dabei als effizient erwiesen. 14-Jährige gehen voll mit, wenn sie in einer spannenden Erzählung das Schicksalhafte historischer Ereignisse für den einzelnen Menschen oder für ganze Völker erfahren. Wie aus der Entwicklungspsychologie bekannt ist, spielt die Imagination beim Eintauchen ins historische Geschehen eine zentrale Rolle, damit sich Jugendliche der geschichtlichen Realität annähern können. So erzielt ein Brief eines Soldaten aus dem Kessel von Stalingrad als Quellentext eine ganz andere Wirkung, wenn die Dramatik der Lage vorher eindrücklich geschildert wurde.

Man trägt viel eher zu etwas Sorge, das man kennt. Dazu gehört auch unser Staatswesen und dessen politische Einrichtungen. Geschichte befasst sich mit dem Werdegang gesellschaftlicher Werte und dem Ausgleich von Interessen. Deshalb braucht es einen gewissen Aufbau mit geschichtlichen Bildern aus bedeutenden Epochen, um politische Entwicklungslinien zu erkennen. Doch dieser systematische Aufbau ist in den meisten Sekundarklassen kaum noch zu erkennen. Narrative Konzepte geniessen in der aktuellen Didaktik leider wenig Kredit, was den Zeitdruck für die Lehrpersonen verschärft. An vielen Schulen werden Jugendliche angehalten, mit entdeckendem Lernen sich geschichtliches Wissen selbst anzueignen. Das kann zu teils grossartigen Resultaten führen, doch übers Ganze gesehen kommt man so viel weniger weit.

Mit dem Wegfall einer aufbauenden Darstellung unserer neueren Geschichte haben Jugendliche ohne gymnasiale Ausbildung offensichtlich ein Bildungsmanko bei den geschichtlichen Grundkenntnissen. Die Befürworter des Stimmrechtsalters 16 müssen sich die Frage gefallen lassen, ob das Vorverschieben von politischer Verantwortung mit der faktischen Abwertung des Geschichtsunterrichts in der Volksschule in Einklang zu bringen ist.

Hanspeter Amstutz

 

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Ein Kommentar

  1. Werter Herr Amstuz Eine Frage: Für wen haben Sie diesen Artikel geschrieben? Ihrer und meiner Generation ist doch klar, wie Geschichtsunterricht gestaltet wird, weil wir ihn so gestaltet haben und entsprechende SJW und andere Heftchen zur Verfügung hatte, die ich unlängst entsorgte. Meine jüngste Enkelin, 6.Klasse, bekam vergangenes Quartal in NMG oder NMU das Thema Mittelalter vorgesetzt. Da hatte ich mit ihr einen lustigen Einstieg anhand des entsprechenden Globiuches zu Wilhelm Tell aus ihrem Büchergestell , konnte dann das Thema geographisch erweitern und historisch berichtigen mit den Ausführungen in “Gründung der Eidgenossenschaft ohne Eidgenossen” . Als ich sie kurz vor Ostern fragte, was alles sie noch zum Thema erfahren hätten, war die Antwort: Nüt. S’isch langweilig gsi. Dabei liegt die mittelalterliche Stadt Bern mit Bubenberg von Erwachsenen usw. in Reichweite. Fazit:Schulische Zeitverschwendung.

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