22. Dezember 2024

Kühnels-Sonntagszwischenruf: Mathematikschwäche: Jetzt sollen es die KITAS richten!

Wieder einmal ein Sonntagszwischenruf von Wolfgang Kühnel, Mathematikprofessor in Stuttgart. Er beschäftigt sich mit den immer sonderbareren Ideen, der chronischen Mathematikschwäche in unserem nördlichen Nachbarland entgegenzuwirken.

Professor Kuehnel:
Sollte die Kita
schon bisher für die Sprachbildung derjenigen Kinder
sorgen, die sprachliche Defizite haben,
so sollen jetzt die Kita-Kinder auch in Mathematik und “en passant” unterrichten werden.

Liebe Mitstreiter,

dass es um die MINT-Fächer in unserem Bildungswesen nicht gerade zum besten steht, hat sich ja wohl allgemein herumgesprochen. MINT-Fächer sind weder in der Schule besonders beliebt noch sind sie bevorzugte Studienfächer an Hochschulen.

Aber gab es nicht im Anschluss an TIMSS und PISA gewaltige Reformen gerade in den Schulfächern Mathematik und Naturwissenschaften? Hat man nicht neu konzipierte Bildungsziele formuliert, hat in Deutschland die KMK Bildungsstandard verabschiedet, das Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) gegründet, das Monitoring eingeführt mit ständigen Mathematiktests usw.?

Hat nicht auch PISA immer auch die Kenntnisse in Naturwissenschaften mit der “literacy” getestet?

Ein “bildungspolitisches Forum 2021 des Leibniz-Forschungsnetzwerks Bildungspotentiale (LERN)” unter Leitung von Herrn Köller hat nun Vorschläge unterbreitet, wie alles besser werden kann:

Lerngelegenheiten für naturwissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen sowie für numerisches bzw. quantitatives Denken” schaffen

https://www.leibniz-bildung.de/wp-content/uploads/2021/07/BPF21_Positionspapier.pdf

Die Vorschläge sind verblüffend: Die Kitas sollen es richten. Zu diesem Zweck soll dem Betreuungspersonal (früher mal “Kindergärtner/in” genannt) eine zusätzliche Aufgabe auferlegt werden. Sollte die Kita schon bisher für die Sprachbildung derjenigen Kinder sorgen, die sprachliche Defizite (zumindest im Deutschen) haben, so sollen sie jetzt die Kita-Kinder auch in Mathematik und anderen MINT-Fächern so “en passant” unterrichten, indem sie “Lerngelegenheiten für naturwissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen sowie für numerisches bzw. quantitatives Denken” schaffen.

Nichts leichter als das: Woran bisher die Grundschullehrer/innen scheiterten, das sollen jetzt die Kita-Betreuer/innen richten, eine geniale Idee.

Olaf Köller: Verblüffende Vorschläge!

Nichts leichter als das: Woran bisher die Grundschullehrer/innen scheiterten, das sollen jetzt die Kita-Betreuer/innen richten, eine geniale Idee. Die Kommission empfiehlt dazu eine “länderübergreifende Einführung von Standards in der Ausgestaltung der fachschulischen Ausbildung von Erzieher*innen”, also mehr Bürokratie. Weiter heißt es: “Neben fachlichen Inhalten müssen auch fachdidaktische Inhalte flächendeckend Eingang in die fachschulische und hochschulische Ausbildung finden.”

Aber hatte man nicht vor einiger Zeit festgestellt, dass auch die Grundschullehrer/innen oft genug Schwierigkeiten mit der Mathematik haben? Wurde nicht deswegen schon ein obligatorischer Mathematikanteil im Studium des Grundschullehramts eingeführt?

Heißt das jetzt im Ernst, die künftigen Reformen müssten sich auf den Kindergarten konzentrieren, weil in der Sekundarstufe hinsichtlich Mathematik und Naturwissenschaften schon alles in bester Ordnung ist?

Keine Angst, alles nur spielerisch

Und jetzt also auch die Erzieher/innen in der Kita. Andererseits gehörte es in Kreisen von progressiven Pädagogen geradezu zum guten Ton zu behaupten, dass sich die Ausbildung der Gymnasiallehrer viel zu sehr am Fach orientiere, ja dass diese geradezu zu “Wissenschaftlern” statt zu Lehrern ausgebildet würden? Von der Sekundarstufe ist aber seltsamerweise kaum noch die Rede in dem o.a. Link des bildungspolitischen Forums. Heißt das jetzt im Ernst, die künftigen Reformen müssten sich auf den Kindergarten konzentrieren, weil in der Sekundarstufe hinsichtlich Mathematik und Naturwissenschaften schon alles in bester Ordnung ist?

So nebenbei wird auf Seite 7 auch festgestellt, warum nicht genügend viele Frauen in den MINT-Fächern tätig sind: Es sind die “niedrigeren Lohnerwartungen von Frauen, die sich durch niedrigere Einstiegsgehälter und geringere Lohnzuwächse realisieren”, und außerdem die “anderen Karriereperspektiven”. Und deshalb sollen Frauen “umso stärker für MINT-Studiengänge begeistert werden”.

Immerhin zeigt das bildungspolitische Forum auch auf, woran es wohl generell mangelt, nämlich an den “digitalen Kompetenzen”. Das ist dann das “I” in MINT. Das müsse “in allen Bildungsetappen (vom Elementarbereich bis in die berufliche Bildung)” unbedingt berücksichtigt werden, und “dazu sollte das Fach Informatik in den Stundentafeln der Sekundarstufen I und II des allgemeinbildenden Schulsystems ausgebaut werden.”

Die letzte Forderung ist ja nun kein besonders origineller Vorschlag, das gab es doch alles schon. Aber woran ist es denn bislang gescheitert? Dazu wird nichts gesagt.

Zum Glück gibt es zu der “digitalen Bildung” in den Kitas ja schon kompetente Ausführungen von Herrn Lankau, die ich hier nicht wiederholen muss:

Kindeswohlgefährdung von Amts wegen – Offener Brief zu Tablets in Stuttgarter Kitas

 

In diesem Sinne wünscht einen schönes Sonntag

Wolfgang Kühnel

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In unserem Blog berichten wir immer wieder über die asiatischen Schulsysteme. Hier veröffentlichen wir einen Artikel von Katrin Büchenbacher, der in der NZZ erschienen ist. Katrin Büchenbacher ist Auslandskorrespondentin der NZZ. Ihre Erkenntnisse sind zwar nicht ganz neu, was den Druck und den Stress betrifft, dem die chinesischen Schüler ausgesetzt sind: Knallharte Quoten, grosse Konkurrenz und die Hälfte fällt durch. Spannend sind allerdings die Aussagen über die unterschiedliche Qualität der Berufsschulen und der Gymnasien.

3 Kommentare

  1. Es gibt in den abstiegsgefährdeten westlichen Wohlfahrtsstaaten kaum einen gesellschaftlichen Bereich, wo die Spätfolgen der leistungskritischen 68er-Ideologie nicht sicht- und spürbar sind. Die asiatischen Mathe- und MINT-Asse sind halt davor verschont geblieben. Eine überzeugende Empirie, für die es gar keine hochkomplexen Studien braucht.

  2. Es wird immer verzweifelter… und lächerlicher. Da es in der Schule mehr und mehr um Nebensächliches geht, ist diese Entwicklung nicht verwunderlich. Aber: Nur Regenbögen malen in den Kitas ist ja auch langweilig. Deshalb los mit Differenzieren und Integrieren…

  3. Herr Köller liest offenbar keine Zeitung. In Deutschland verdienen Frauen in der Chefetage 30% mehr als Männer, weil es einen Quotendruck, aber wenige qualifizierte Frauen gibt. Wenn man also die Bezahlung der Frauen in der MINT-Branche erhöhen möchte, ist es kontraproduktiv, Frauen dafür zu begeistern.

    Und wenn man die Berufswahl in der KiTa steuern könnte, wären 80% der heute alten weißen Männer Lokomotivführer geworden. Schade, dass das bei Herrn Köller nicht funktioniert hat.

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