7. November 2024

Kühnels Sonntagseinspruch: Diversity oder die richtige politische Justierung der Pädagogik

Etwas verspätet schalten wir den Sonntagseinspruch von Professor Kühnel auf. Er beschäftigt sich in gewohntem Understatement und bissiger Ironie mit der plötzlich entdeckten Liebe der Deutschen Mathematiker Vereinigung (DMV) für die Diversity. Diese drückt sich vor allem in neuen gut entlöhnten Stellenprozenten und Hochglanzbroschüren aus, wird aber noch weitere Folgen haben. Und wir können hier über diese Tendenzen nur noch staunen. Viel Vergnügen.


Prof. Wolfgang Kuehnel, Stuttgart: Sieht stark danach aus, als würde
einfach mehr Bürokratie aufgebaut, zusätzlich zu der, die wir schon
haben.

Liebe Condorcet-Leserinnen und – Leser,

obwohl wir heutzutage vieles gewohnt sind, traute ich meinen Augen kaum, als ich den neuesten Beschluss der Deutschen Mathematiker-Vereinigung  (DMV) sah:
https://www.mathematik.de/images/DMV/Die_DMV_als_Verein/TOP12_Positionspapier.pdf

Da steht drin, die DMV werde “ein Umfeld schaffen”, das dann gewisse Dinge realisiert, die mit “Chancengleichheit und Gleichberechtigung” für  diejenigen, die man als “divers” bezeichnet, beschrieben sind. Da die  DMV aber keine großes Unternehmen und auch keine universitäre Fakultät ist, sondern ein Fachverband, der als Arbeitgeber nur recht wenige
Mitarbeiter hat, wundere ich mich über die plötzliche Wichtigkeit von  “sexueller Orientierung, Abstammung, ethnischer Herkunft, religiösen  Anschauungen” usw. für Mathematiker.
Wie soll denn wohl dieses “Umfeld” von einem Verband der Mathematiker  geschaffen werden? Und ist es richtig, wenn ein solcher Verband sich allgemein-politische Forderungen zu eigen macht? Genügt nicht Art. 3 GG  als Grundlage des Handelns?

Prorektor für “gesellschaftliche Verantwortung, Diversität &  Internationalität”

Wohin das an Universitäten schon geführt hat, sieht man sehr schön an  der Diversitäts-Bürokratie hier:
https://www.uni-due.de/diversity/
Man braucht
— einen Prorektor für “gesellschaftliche Verantwortung, Diversität &  Internationalität” (von 4 Prorektoren insgesamt),
— ein “Diversity Management” (eigentlich ein Begriff aus der Unternehmensführung),
— eine “Diversity-Kommission” unter Vorsitz einer  Mathematik-Professorin (zuständig für “Maßnahmen der Universität zur  diversityorientierten Gestaltung aller Aspekte des Universitätsalltags”),
— eine “Diversity-Strategie” (dort steht auch was von “Diversitykompetenz”)
— eine Broschüre “Campus Diversity”,
— außerdem braucht jede Fakultät eine “Diversity-Ansprechperson”.
— Am “Diversity-Tag” werden “Diversity Preisträger*innen” geehrt,
— ein “Barcamp für Diversität 2021” fand auch statt.

Seit die Inklusion  als wichtig gilt, kann man offenbar die meisten Substantive mit dem  Adjektiv “inklusiv” versehen, das passt fast immer, auch wenn kaum  jemand sich was Konkretes darunter vorstellen kann.

Jede Schule
einen Diversitäts-Beauftragten, dessen/deren
Aktivitäten regelmäßig evaluiert werden.

Diversität wird (z.B. an der HSG Bochum) auch zu einem Studieninhalt in  Studiengängen “Gesundheit und Diversity” mit der Berufsperspektive  “Diversitymanager*in”. Das passt auch gut zu anderen Modewörtern:  Irgendwo steht was von “Diversity als integraler Bestandteil des  Qualitätsmanagements”. Man vergisst nicht, auf den “inklusiven  Strukturwandel” der Region (Ruhrgebiet) hinzuweisen. Seit die Inklusion  als wichtig gilt, kann man offenbar die meisten Substantive mit dem  Adjektiv “inklusiv” versehen, das passt fast immer, auch wenn kaum  jemand sich was Konkretes darunter vorstellen kann.

Abgesehen von dem seltsamen Wechsel zwischen der deutschen und der  englischen Version des Wortes sieht das doch stark danach aus, als würde  einfach mehr Bürokratie aufgebaut, zusätzlich zu der, die wir schon  haben. Dabei leiden unsere Universitäten ja gewiss nicht an einem Mangel an Bürokratie. Aber auch Bürokratie kostet Geld, und das ist generell knapp.

Was die praktischen Auswirkungen betrifft, so ist zu befürchten, dass  diese “Diversitäts-Aspekte” künftig verstärkt herangezogen werden, wenn  es um die Bewilligung von Stipendien, Drittmittelprojekten, Einstellung  von Mitarbeitern und die Besetzung von Professuren geht, vielleicht auch  die Gründung oder Auflösung ganzer Institute.

Was die praktischen Auswirkungen betrifft, so ist zu befürchten, dass  diese “Diversitäts-Aspekte” künftig verstärkt herangezogen werden, wenn  es um die Bewilligung von Stipendien, Drittmittelprojekten, Einstellung  von Mitarbeitern und die Besetzung von Professuren geht, vielleicht auch  die Gründung oder Auflösung ganzer Institute. Die Finanzierung der Universitäten oder Fakultäten wird sich nach einem “Diversitäts-Plan” zu richten haben, die Diversitätsbeauftragten werden dadurch so überlastet sein mit Stellungnahmen, Berichten und Sitzungen, dass man gleich mehrere von ihnen benötigen wird oder einen ganzen Mitarbeiterstab. Das ist alles noch im Fluss: An der Universität Stuttgart gab es bis jetzt eine Prorektorin für  Wissenschaftlichen Nachwuchs und Diversity, in Kürze gibt es eine neue  Prorektorin für Diversity und Internationales.
Analog könnte man für den Schulbereich befürchten, dass bald jede Schule einen Diversitäts-Beauftragten (m/w/d) benötigt, dessen/deren Aktivitäten regelmäßig evaluiert werden, sonst bekommt die Schule eine schlechte Beurteilung und weniger Ressourcen. An den meisten Berliner Schulen gibt es schon sogenannte “LSBTIQ-Ansprechpersonen”:
https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/queerspiegel/diskriminierung-in-der-schule-lehrkraefte-brauchen-mehr-fortbildungen-fuer-diversity/24204692.html
Dabei hat man gerade in Berlin zahlreiche andere Baustellen an den Schulen, es fehlen Lehrer und Klassenzimmer, die Mathematikkenntnisse sind nicht gut, aber bei der sexuellen Vielfalt ist man Spitze. Hat man sich je um die Diskriminierung der sog. “Streber” oder der “kleinen  Dicken” beim Sport gesorgt? Die GEW möchte allerdings noch viel mehr in dieser Richtung, auch was queere Lehrkräfte als Vorbilder für die Kinder  betrifft, ja man will sogar die Bildung der Erstklässler “queer gestalten”:
https://www.gew-berlin.de/aktuelles/detailseite/neuigkeiten/wir-sind-hier-und-wir-sind-viele/

Dass die oben genannten Befürchtungen keine bloße Fiktion sind, zeigt  der folgende Bericht aus USA von drei Mathematikern (nebenbei steht da  auch etwas zur Lehrerausbildung, das zu aktuellen Problemen im
deutschsprachigen Raum passt):
https://quillette.com/2021/08/19/as-us-schools-prioritize-diversity-over-merit-china-is-becoming-the-worlds-stem-leader/

Da steht im mittleren Teil der Abschnitt: “Unfortunately, the trend is pointing into the opposite direction.
……..  can lead to the devaluation of entire academic fields.”
Dieser Abschnitt erklärt, welche wichtigen Institutionen schon die  “Diversity” als Kriterium bei Berufungen, Preisverleihungen, Grants etc.  praktizieren. Es heißt, dies liege im Trend. Ein zentraler Satz darin:
“And some universities, following the example of the University of  California, are now implementing measures to evaluate candidates for  faculty positions and promotions based not only on the quality of their research, teaching, and service, but also on their specifically  articulated commitment to diversity metrics. Various institutions have
even introduced pathways to tenure based on diversity activities alone.”

(Und einige Universitäten, die dem Beispiel der University of California folgen, führen jetzt Maßnahmen ein, um Kandidaten für Stellen und Beförderungen im Lehrkörper nicht nur auf der Grundlage der Qualität ihrer Forschung, Lehre und Dienstleistung zu bewerten, sondern auch auf der Grundlage ihres ausdrücklich formulierten Engagements für Diversitätskennzahlen. Verschiedene Einrichtungen haben sogar Wege zur Festanstellung eingeführt, die allein auf Diversity-Aktivitäten basieren.)

Wie das weitergehen könnte, mag sich jeder selbst ausdenken.

Eine persönliche Konsequenz ist, dass ich in Staatsexamensklausuren kaum noch auf Rechtschreibfehler achte — die orthographische Leitkultur  benachteiligt Migranten.

Wir ersetzen altmodischen Dinge durch die
richtige politische Justierung der Pädagogik.

Einen ersten Ansatz, mehr Diversität in das Lehramtsstudium zu bringen, hat der neue Vorsitzende der Gesellschaft für Didaktik der Mathematik  (GDM) im neuesten Heft 111 der GDM-Mitteilungen im Vorwort
https://ojs.didaktik-der-mathematik.de/index.php/mgdm/article/view/1035/1180
zum Thema “Sprachkompetenz im Mathematikunterricht” so formuliert:
“Sprache soll Zugänge ermöglichen, nicht Menschen ausschließen. Eine persönliche Konsequenz ist, dass ich in Staatsexamensklausuren kaum noch auf Rechtschreibfehler achte — die orthographische Leitkultur  benachteiligt Migranten.”
Die “orthographische Leitkultur” als negativer Begriff in Bezug auf  angehende Lehrer NACH dem Abitur und NACH einem wissenschaftlichen Studium, das muss man sich so richtig auf der Zunge zergehen lassen. Von  Grundschülern verlangt ja ohnehin niemand mehr eine richtige Rechtschreibung. Wir ersetzen solche altmodischen Dinge durch die  richtige politische Justierung der Pädagogik und Didaktik und durch eine neue “Leitkultur der Diversität” auch für die Rechtschreibung und später vielleicht sogar für die Mathematik selbst und andere Fächer.
In diesem Sinne wünscht einen schönen Sonntag
Wolfgang Kühnel

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