29. März 2024

Das Bildungsbürgertum verachtet die “Handarbeit”

Im Condorcet-Blog diskutiert der Gymnasiallehrer mit der Kindergärtnerin oder der Uniprofessor mit dem Reallehrer. Nun hat sich ein Lehrlingsbeauftragter aus Wuppertal mit einem kritischen Beitrag in unseren Diskursblog eingebracht. Tonio Cumbrix wirft dem Blog und den ihm tragenden Bildungsbürgertum eine latente Verachtung der Handarbeit vor.

Bildung sollte sich weniger an einem Bildungsideal orientieren, wie es in Ihrem Blog angesagt ist, sondern an einem Bedürfnisideal. Es gibt Menschen, die wir lernbehindert nennen, weil sie Probleme haben die Mindestanforderungen, die man an Allgemeinbildung stellt, zu erreichen. Damit einher geht vor allem die Verachtung von Handarbeit und die daraus abgeleitete Verachtung für ein dreigliedriges Schulsystem. Paradox ist, dass sogenannte Künstler für ihre Produkte hochbezahlt werden, aber durchschnittliche “Handwerker”, in Bildungskreisen keine Anerkennung finden, die sich in einer gerechten Bezahlung niederschlagen würde.

Gäbe es keine Gewerkschaften, das Bildungsbürgertum würde es immer so organisieren, dass mittelmässige und schlechte Akademiker automatisch besser bezahlt werden, als gute Handwerker und Pflegekräfte.

Gäbe es keine Gewerkschaften, das Bildungsbürgertum würde es immer so organisieren, dass mittelmässige und schlechte Akademiker automatisch besser bezahlt werden, als gute Handwerker und Pflegekräfte. Auf Grund des höheren Status und der daraus folgenden besseren Bezahlung ist die Bildung natürlich immer mehr so organisiert, dass man diesen höheren Status erreichen soll. Die Folge ist, dass für diese Art der Bildung ungeeignete Menschen die angesetzten Ziele nicht erreichen werden, weil sie es einerseits nicht können und es andererseits gar nicht wollen.  Daraufhin schraubt man die Anforderungen herunter, so dass in Deutschland viele das Abitur machen, und das entgegen ihrer eigentlichen Bedürfnisse. Sie wählen dann eine Beamten- oder Akademikerlaufbahn, obwohl sie in einem Handwerk glücklicher UND nützlicher wären. Wären Bezahlung und Status gerecht, nach Wichtigkeit und Relevanz für die Gesellschaft verteilt, würde niemand die Hauptschule, oder auch Sonderschule, als abwertend empfinden. Auch ein Sonderschüler kann ein hervorragender Handwerker, ein Fitnesstrainer, Rapmusiker oder Fußballprofi werden und mit dem Erfolg und gesellschaftlicher Anerkennung ein glückliches Leben führen. Stattdessen schlägt im Verachtung entgegen, und den Betrieben und uns Lehrlingsausbildnern geeignete junge Menschen entzogen. Es ist klar, dass in Ihrem Blog eher das Bildungbürgertum vertreten ist. Menschen, die aus unerfindlichen Gründen glauben, jeder mit Gehirn könnte das Abitur schaffen und das Studium absolvieren. Er müsse es nur wollen. Ist man ein Versager, wenn man es gar nicht schaffen will? Ist man ein Versager, wenn man gar nicht Mathematik (ich rede nicht vom Rechnen) lernen will? Gegen seine Natur, gegen seine Gene zu lernen und zu handeln, ist schwer. Dazu kommt natürlich auch die Effizienz des Gehirns.

Nicht jeder mit zwei Beinen kann die hundert Meter unter 10 Sekunden laufen.

Nicht jeder mit zwei Beinen kann die hundert Meter unter 10 Sekunden laufen. Auch nicht, wenn alle sich ganz arg bemühen. Nicht jeder mit einem Gehirn ist ein Einstein. Aber nicht jeder kann auch komplexe sanitäre Kühlsystem einbauen, Bleche verschweissen und auf Baustellen immer wieder geeignete Lösungen finden. Übrigens. Wen meint Einstein, als er behauptete, die menschliche Dummheit ist unendlich?  Sprach er vor allem vom Bildungsbürgertum oder von seinem Gärtner?

Tonio Cumbrix ist Lehrlingsbeauftragter eines Spenglerbetriebs in Wuppertal

 

Verwandte Artikel

Buchbesprechung: «Condorcets Irrtum» von Per Molander

Wenn ein renommierter Autor ein Buch über den Philosophen Jean-Marie de Condorcet schreibt, weckt dies natürlich unter den Freunden unseres Bildungsblogs Interesse. Und wenn der Titel des Buches «Condorcets Irrtum» heisst, ist die Neugierde besonders gross. Immerhin ist unser Blog dem Aufklärer und Mathematiker Jean-Marie de Condorcet und seiner Frau Sophie de Condorcet gewidmet. Alain Pichard hat das Buch gelesen und stellt es unserer Leserschaft vor. Sein Fazit vorneweg: Wir müssen den Namen nicht ändern.

3 Kommentare

  1. Ich glaube nicht, dass bei den registrierten Autorinnen und Autoren des Condorcet-Blogs irgend eine versteckte oder gar offene Verachtung handwerklicher Berufe vorhanden ist. Ganz im Gegenteil: Im Condorcet-Autorenteam finden sich vehemente Verfechter eines starken dualen Berufsbildungssystems. Diesem praxisverbundenen Ausbildungsweg haben wir in der Schweiz sehr viel zu verdanken. Wie die scharfen Reaktionen in diesem Blog auf die unausgegorenen KV-Reformpläne zeigen, sind viele von uns bereit, für die Qualität der dualen Berufsbildung auf die Barrikaden zu steigen. Das Gleiche gilt für das Engagement zugunsten der handwerklich-technischen Berufe. Diese geniessen in der Schweiz ein weit besseres Ansehen als in vielen Ländern der EU und sind in den meisten Branchen auch lohnmässig besser gestellt.

    In der Schweiz ist eine Laufbahn über eine handwerkliche Berufslehre kein Nachteil fürs Vorwärtskommen. Freilich muss immer wieder dafür gekämpft werden, dass dies auch so bleibt. Der globalisierte Trend zur Akademisierung und Technisierung fordert die Berufsverbände heraus die Berufslehren den neuen Gegebenheiten erfolgreich anzupassen. Tüchtigen Berufsleuten sollen die Türen zu den Fachhochschulen weit offenstehen, indem sie in Berufsmittelschulen auf die neuen Herausforderungen vorbereitet werden. Da ist schon viel getan worden, aber das Potenzial kann noch besser ausgeschöpft werden.

    Im Volksschulbereich ist leider nicht von der Hand zu weisen, dass handwerkliche Fächer in den letzten Jahren bei uns an Boden verloren haben. Die Einführung einer zweiten frühen Fremdsprache und ein generell überladenes Bildungsprogramm in der Primarschule haben zu Kürzungen beim Unterricht in den Schulwerkstätten geführt. Doch es waren ausgerechnet mehrere Autoren des Condorcet-Blogs, die sich in ihren Kantonen an vorderster Stelle gegen diese Entwicklung gewehrt haben!

    Wenn das Autorenteam des Condorcet-Blogs das Bildungsideal einer starken Allgemeinbildung hochhält, hat das viel mit einer republikanischen Grundeinstellung zu tun. Wir glauben daran, dass jede Schülerin und jeder Schüler es verdient, grundlegende Kenntnisse zu einem besseren Verständnis des Lebens erwerben zu können. Die Welt ein Stück weit zu verstehen hat nichts mit einer überfordernden Intellektualisierung der Volksschulbildung zu tun. Es geht darum, sich auf Wesentliches zu konzentrieren. Dazu gehört ganz klar, dass dem handwerklich-technischen Bereich der Bildung ein wichtiger Platz eingeräumt wird.

  2. Sehr geehrter Herr Cumbrix,
    Als Redakteur des Condorcet-Blogs kann ich Ihnen versichern, dass wir die Fahne des Dualen Prinzips auch in diesen stürmischen Zeiten hochhalten. Ich kann Ihnen nur empfehlen, einmal in unserem Blog unter “Duales Bildungssystem” herumzustöbern.
    Ein meiner Meinung nach sehr richtige Bemerkung ihrerseits ist der Satz: “Gäbe es keine Gewerkschaften, das Bildungsbürgertum würde es immer so organisieren, dass mittelmässige und schlechte Akademiker automatisch besser bezahlt werden, als gute Handwerker und Pflegekräfte.”
    Da haben Sie völlig recht. Die Gewerkschaften sind hier unverzichtbar in ihrem Einsatz für den Niedriglohnsektor und die Verbesserung der Löhne in den industriellen Handwerkerbetrieben. Sie sollten dies allerdings auch in ihrem Einsatz für das “Duale Bildungssystem” noch vermhert tun.

  3. Die Anstrengungen, Jugendliche der letzten Volksschuljahre für Berufslehren zu gewinnen, sind in der Schweiz in den letzten 25 Jahren stets intensiviert worden. Wenn sie immer wieder konterkariert werden, hat das weniger mit der “bildungsbürgerlichen” Schule zu tun als mit gesellschaftlichen Faktoren, die vor allem in urbanen Gebieten zu beobachten sind.
    Eltern, die der sozial aufgestiegenen Schicht angehören, tun alles, um ihren Kindern eine statuserhaltende oder statusverbessernde Schulbildung angedeihen zu lassen. (Heinz Bude, Bildungspanik – Was unsere Gesellschaft spaltet, S. 18, 2011). In diesen Kreisen herrscht immer noch die Wertung vor: Technisch-gewerbliche Ausbildung gut, akademische Ausbildung besser, auch wenn dies wegen des Ausbaus der Fachhochschulen und den entsprechenden Aufstiegsmöglichkeiten objektiv längst nicht mehr zutrifft.
    Ein weiteres Element, das den gymnasialen Weg forciert, geht von den Bildungsstatistikern und Schulbehörden aus. Im Namen der Chancengerechtigkeit wird das nach ihrer Meinung brach liegende Potenzial an Begabten in bildungsfernen Schichten zu wenig ausgeschöpft, der Anteil an solchen Jugendlichen am Gymnasium soll verstärkt werden, um ihnen alle Chancen zu eröffnen, die dem Nachwuchs der bevorteilten Familien offen stehen (gemeint: eine akademische Laufbahn). Zufrieden wären die Bildungsfachleute erst, wenn ein viel höherer Prozentsatz eines Schülerjahrgangs im Gymnasium sässe. Diese auf Ralf Dahrendorf zurückgehende Doktrin (Bildung ist Bürgerrecht, 1965) trägt ihren Teil dazu bei, nicht-gymnasiale Bildung abzuwerten.

Schreibe einen Kommentar zu Felix Schmutz Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert