Aus dem Text von Julia Klebs spricht eine gewisse Ratlosigkeit dem Problem der Bildungsschranke zwischen A und P Niveau gegenüber. Als erklärte Linke empört es sie, dass es so schwierig erscheint, benachteiligten Jugendlichen zu gleichen Chancen zu verhelfen wie denjenigen aus komfortablen Villengegenden.
Ihr Unbehagen ist nicht neu, es ist auch nicht nur links. Seit Ralf Dahrendorfs Schrift «Bildung ist Bürgerrecht» 1963 ist die Bildungsschranke der Anlass für dauernde Schulreformen zur Behebung dieser sozialen Ungleichheit in der Bildung.
Ironischerweise kam der Anstoss nicht unbedingt aus der linken Ecke, sondern aus der erzkapitalistischen: Brach liegende gesellschaftliche Ressourcen sollten angezapft werden, um mehr Menschen für schwierigere Berufe zu qualifizieren und damit das wirtschaftliche Wachstum anzukurbeln.
So liesse sich zeigen, dass viele Kinder aus der Arbeiter- und Migrantenschicht im Laufe ihres Lebens dank Berufslehren und mit postschulischen Weiterbildungen erstaunliche Aufstiegskarrieren hingelegt haben.
Im Längsschnitt hat sich unser Bildungssystem gar nicht so schlecht bewährt, wobei man die nachschulischen Bildungsmöglichkeiten einbeziehen sollte. So liesse sich zeigen, dass viele Kinder aus der Arbeiter- und Migrantenschicht im Laufe ihres Lebens dank Berufslehren und mit postschulischen Weiterbildungen erstaunliche Aufstiegskarrieren hingelegt haben.
Im Prinzip sehr bürgerlich
Zu fragen wäre, ob Julia Klebs bewusst ist, dass ihre Position von Bildungsgerechtigkeit eine zutiefst bürgerliche ist, vielleicht aus dem Schuldgefühl heraus, selbst Privilegien genossen zu haben, die andern verschlossen sind: Die klassische Schulbildung der gymnasial Gebildeten ist die Messlatte, an der sie die sozialen Chancen misst. Sie schliesst sich nur teilweise radikaleren Reformbeflissenen an, die einfach das Niveau so lange senken möchten, bis man auch den Jugendlichen im A-Niveau gymnasiale Kenntnisse bescheinigen kann. Immerhin spielt sie mit den Gedanken Gesamtschule, Verzicht auf Standards und Durchmischung zwecks gegenseitiger Hilfe der Starken und der Schwachen.
All diese Rezepte wurden jedoch in den letzten 50 Jahren ausprobiert, leider ohne Erfolg.
All diese Rezepte wurden jedoch in den letzten 50 Jahren ausprobiert, leider ohne Erfolg. Als Basel 1994 die Gesamtschule einführte und wissenschaftlich begleiten liess, zeigte sich in den Evaluationen (Prof. Bätz, Universität Fribourg) bereits nach wenigen Jahren, dass die hohen Ziele nicht erfüllt werden konnten. Als Bätz schliesslich Testresultate damit kommentierte, dass die Basler Gesamtschule auf das tiefe Niveau der Hauptschule Berlins abgesunken war, verschwanden die Evaluationen in der Schublade und das Erziehungsdepartement begann mit der Planung der nächsten Schulreform.
Als Bätz schliesslich Testresultate damit kommentierte, dass die Basler Gesamtschule auf das tiefe Niveau der Hauptschule Berlins abgesunken war, verschwanden die Evaluationen in der Schublade und das Erziehungsdepartement begann mit der Planung der nächsten Schulreform.
Vielleicht müsste man Julia Klebs eine Änderung der bürgerlichen Optimierungsoptik vorschlagen. Sie schildert eindrücklich die Stimmung einer A-Niveau-Klasse am Montag Morgen: Interesselosigkeit, schwelende Konflikte, Machtspiele. Ihre Deutung ist typischerweise defizitorientiert. Die Jugendlichen haben mangels Brieftasche der Eltern die «falsche» Einstellung der Schule gegenüber, was ihren sozialen Aufstieg behindern muss.
Ein alteratives Modell von sozialem Erfolg
Der deutsche Soziologe Heinz Bude hat in seinem Buch Bildungspanik. Was unsere Gesellschaft spaltet, München 2011, einen andern Ansatz gewählt. Er kommt zum Schluss, dass sich die Migrantenpopulationen, die hauptsächlich die A Niveaus bevölkern, nicht einfach als Verlierer sehen, wie Julia Klebs gemeinsam mit vielen anderen Besorgten annimmt. Er kann zeigen, dass in diesen Kreisen ein alternatives Modell von sozialem Erfolg verbreitet ist, das diesen bildungsbürgerlichen sozialen Aufstieg gar nicht nachsucht.
Interessanterweise ist auch Klebs auf diesen Umstand gestossen, ohne ihn jedoch wohl im soziologischen Sinne zu deuten. Der Junge, der ihrem Bildungsbemühen den Berufswunsch «Automech» entgegenhält, deutet auf das Modell, das Bude meint: Ein sozialer Aufstieg in der uns etwas zwielichtig erscheinenden Welt der Pizzaläden, Autowerkstätten, Klamotten- und Sportgeschäfte, Fussballclubs, Karateschulen, Shisha-Bars, Tattoostudios, manchmal leider auch in der illegalen Welt des Drogenhandels, etc. In dieser Welt haben viele Jugendlichen ihre Vorbilder und daran orientieren sie ihre Zielvorstellungen. In ihren Augen ist die bildungsbürgerliche Schule eher ein Hindernis als ein nützlicher Weg zum Erfolg. Ganz davon abgesehen, dass in unserem Marktsystem diese jungen Menschen durchaus ihren Lebensunterhalt verdienen können und – gar nicht so selten – auch mehr verdienen als angehende Kommunikationswissenschaflter mit einem Master in der Tasche.
Wegnehmen statt geben
Das bedeutet jedoch, dass schulische Massnahmen kaum greifen können, um die Einstellung dieser Bevölkerungsschichten in Richtung bildungsbürgericher Ideale zu verändern. Da gibt es eine kulturelle Verankerung, soziale Massstäbe, die den Bemühungen auch der wohlmeinendsten Linken und Reformer entgegenstehen. Die Veränderung der Welt, die Julia Klebs vorschwebt, würde den Jugendlichen in ihren Augen nicht etwas geben, sondern etwas wegnehmen, was den latenten Widerstand gegen schulische Bildungsabsichten erklären könnte.
Felix Schmutz