19. April 2024

Warum ist es so schwierig?

Der Text von Condorcet-Autor Alain Pichard “Schlechte Lehrer sind eine Zumutung” (4.11.19) hat Felix Schmutz zu einer Entgegnung veranlasst. Er warnt vor Typisierungen und hält die Lehrerprofession für einen künstlerischen Beruf.

Felix Schmutz, BL

Seit Jahren wird über diese Frage heiss diskutiert. Der erfahrene, inzwischen verstorbene Schulpsychologe Dr. F. Schniepper teilte die Zunft der Lehrpersonen in drei Gruppen ein: 1. die Bequemen und Faulen, 2. die Lieben, schön Schwätzenden und Wirkungslosen, 3. die «Chrampfer», die den Karren herausreissen. Das Buch, mit dem er diese Typologie aus seinem Erfahrungsschatz untermauern wollte, wurde nie veröffentlicht. Hattie, Oelkers, Pichard und andere zählen Merkmalkataloge auf. Interessant und sicher richtig ist auch der Hinweis, dass Qualität keine sichere Konstante zu sein braucht.

Die Gefahr des Missbrauchs von Typisierungen

Worin aber liegt die Gefahr der Merkmalkataloge und Typisierungen?

Sie können missbraucht werden:

  1. a) indem bestimmte Kriterien ideologischen Status bekommen und absolut gesetzt werden, was die Lehrperson einengt und ihr nicht mehr ermöglicht, auf neue Situationen mit alternativen Methoden zu reagieren, weil sie sonst aus dem Raster fällt,
  2. b) indem die Einhaltung der Kriterien mit dem Leistungslohn honoriert wird, anstatt dass der tatsächliche Lernzuwachs und/oder Erziehungserfolg der Schüler(innen) entscheidet,
  3. c) für so genannte «Verbesserungen», die von Schulleitungen angeregt werden.

 

Die Unklarheit bei Pichards Schilderung

Bild:api

Der letzte Punkt bleibt in Pichards Schilderung unklar. Es geht um das Verhältnis zwischen Leitung, dem Kollektiv der Unterrichtenden und der einzeln verantwortlichen Lehrperson. Unter anderem bleibt die Frage offen: Kann eine Leitung, kann ein Kollektiv eine ungeeignete Lehrperson durch irgendwelche Zielsetzungen in eine geeignete verwandeln? Wenn man die eigene Erfahrung befragt oder der Typologie des oben erwähnten Schulpsychologen Glauben schenkt, muss man die Frage verneinen. Muss man dann aber die offenbar Guten einem Gesinnungsdiktat unterwerfen, um sie doch noch zu verbessern? Besteht dann nicht die Gefahr, dass aus einer guten Lehrperson eine nicht mehr so gute wird, weil sie sich von ihrer Persönlichkeit entäussern muss?

Warum ist es so schwierig, die gute Lehrperson zu definieren?

Die Arbeit der Lehrperson unterliegt – das zeigen Pichards Ausführungen – ganz vielen Faktoren und Anforderungen. Alle Merkmalskataloge oder Typologien decken jeweils nur einen Teil des Profils ab, dem jemand in diesem Beruf von Fall zu Fall genügen muss. Spannenderweise gibt es auch nicht den einen sicheren Weg zum guten Unterricht. «Viele Wege führen nach Rom», ein Spruch, der besonders in diesem Beruf gilt. Sicher können auch nicht alle Inhalte auf die gleiche Art vermittelt werden, Pichard weist zu Recht darauf hin.

Der Lehrerberuf ist ein künstlerischer Beruf

Das rückt den Lehrerberuf in die Nähe der Berufe, die von der kreativen Vielfalt leben, nämlich den künstlerischen Berufen. Ebenso wenig wie man der Kunst eines Picasso, eines Canaletto, eines Dürrenmatt, eines Bichsel, einer Mélodie Zhao, einer Sharon Kam mit einem reglementierten Kriterienkatalog beikommen kann, kann man damit einer «guten» Lehrperson beikommen. Wenn ihre Arbeit auch viel weniger spektakulär ist als die der erwähnten Hochbegabten, trägt sie doch typisch künstlerische Züge und muss sich in einem vielgestaltigen sozialen Austausch entfalten. Bei allen genannten Künstlern kann man schöne Qualitätsmerkmale auflisten und bekommt dennoch nicht wirklich in den Griff, was ihr Wirken und ihre Werke eigentlich erfolgreich macht. Man muss akzeptieren, dass dies bei Lehrpersonen, wenn auch in einem ganz anderen Bereich, sehr ähnlich ist.

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Ein Kommentar

  1. Die Frage, ob man Lehrer beurteilen könne, wurde für die Praxis längst direktiv beantwortet und hat einen Namen. Den Lehrern und Schulleitern wurde ein meist lohnabhängiges Mitarbeiterbeurteilungssystem aus der Wirtschaft aufoktroyiert, über das man von Lehrern und Schulleitern landauf landab nur Klagen hört. Es ist zu tiefst demotivierend und öffnet der Willkür Tür und Tor. Nicht selten wird der Lehrer nur noch daran gemessen, ob er „moderne“ Unterrichtsmethoden anwendet oder nicht, was gegen die im Lehrplan festgehaltene Methodenfreiheit verstösst. Notabene ist dieses System auch in der Wirtschaft mehr oder weniger willkürlich.

    Das System funktioniert so, dass „überdurchschnittliche Lehrer“ ein A erhalten, „gute“ Lehrer ein B und „ungenügende“ Lehrer ein C. Wenn ein Schulleiter zu viele Beurteilungen mit A macht, bekommt er von oben die Weisung, mehr Beurteilungen mit B zu vergeben. So kann es geschehen, dass ein Lehrer der mehrere Jahre immer die Note A erhielt, plötzlich auf B abgestuft wird. Ist der Schulleiter ehrlich, wird er das damit begründen, dass er nicht so viele A vergeben dürfe und das B doch eine gute Beurteilung sei. C erhält nur jemand, der auf der „Abschussliste“ ist, wobei es sich dabei nicht selten um reformkritische Lehrer handelt. Damit führt sich das System ad absurdum, weil dann fast nur noch gute B Lehrer übrig bleiben.

    Es ist höchste Zeit, dass eine breite Diskussion über diese Mitarbeitersysteme entsteht und dass man das Kind endlich beim Namen nennt.

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