Ja, so banal geht Schule: Der Rektor verschickt einen Newsletter, in dem unter dem Stichwort „Plagiatsprüfung der Maturarbeiten mit copy-stop“ dem Kollegium mitgeteilt wird: „Die AKOM hat von der Leitung Mittelschule und Berufsbildung die Weisung erhalten, dass alle Maturarbeiten auf der Plagiatsplattform copy-stop erfasst werden müssen.“ Diese Weisung erhalten auch die SchülerInnen, die zur Zeit daran sind, ihre Maturarbeit bis zu den Herbstferien zu verfassen.
Wenn man eine Maturarbeit nahe genug begleitete, fiel einem das in den meisten Fällen auf. Dann konnte man als begleitende LehrerIn eine Ueberprüfung vornehmen und das Gespräch mit dem betreffenden Jugendlichen suchen, um die Gründe zu erfahren für den versuchten Betrug.
Na ja, könnte man denken, ist ja nicht so dramatisch. Plagiate verhindern, was soll denn daran schlecht sein?! Bisher oblag es den betreuenden Lehrkräften, eine Maturarbeit im Verdachtsfall einer solchen Ueberprüfung zu unterziehen, wenn der Tonfall, das Vokabular oder die Argumentationsweise plötzlich nicht mehr dem entsprachen, wie man den Schüler oder die Schülerin kennengelernt hatte. Wenn man eine Maturarbeit nahe genug begleitete, fiel einem das in den meisten Fällen auf. Dann konnte man als begleitende LehrerIn eine Ueberprüfung vornehmen und das Gespräch mit dem betreffenden Jugendlichen suchen, um die Gründe zu erfahren für den versuchten Betrug.
Nun aber gilt der Generalverdacht
Nun aber gilt der Generalverdacht: jeder und jede könnte der Schlaumeier sein, der sich durch Abschreiben Vorteile verschaffen will. Also müssen nun alle Jugendlichen mit ihrer Maturarbeit eine anonymisierte Version ihrer Arbeit auf einem Memorystick abgeben. Und alles wird prophylaktisch gespeichert, alles!
Der eigentliche Betrugsskandal besteht im sozialen Plagiat
Diese bürokratische Weisung wird inhaltlich gar nicht mehr weiter begründet. Der Fall scheint klar zu sein. Doch es gäbe zu diesem Thema einiges zu sagen, denn der eigentliche Betrugsskandal besteht im sozialen Plagiat. Will heissen: In jeder bildungsbürgerlichen Familie helfen Gespräche am Mittagstisch, Sprachkorrekturen von Vater oder Mutter und Tipps von belesenen Onkeln und Tanten dazu. Man will doch nur das Beste für sein Kind, oder? Die Seconda und der Terzo, deren Eltern schlecht Deutsch können, als Hilfskraft arbeiten und über keine Universitätsabschlüsse verfügen, die müssen halt selbst schauen, wie sie über die Runden kommen. Dieses soziale Plagiat ist offensichtlich, aber niemand redet gerne darüber. Die Schulbürokratie hat dazu nichts zu sagen, denn es stört dort offensichtlich niemanden, dass die Bildungselite ihren Elitestatus weitergibt. Die Schweiz war schon immer eines der Länder mit der härtesten sozialen Selektion. Und den PädagogInnen wird eine weitere Kompetenz weggenommen und durch digitalisierte Ueberwachung aller ersetzt.
Ja, so banal geht Schule in der Schweiz!