20. Dezember 2024

Ein “pädagogischer” Kuhhandel: Geografielektionen erhalten – dafür mehr Sensibilität bei politischen Themen

Im Kanton Zürich soll der Geografieunterricht zugunsten der Mintfächer abgebaut werden. Dagegen wehren sich die Geografielehrer und schlagen einen “pädagogischen Kuhhandel” vor. Warum das nicht zielführend ist, erklärt uns Condorcet-Autorin Yasmine Bourgeois.

Yasmine Bourgeois, Mittelstufenlehrerin ohne Wollsocken, Gemeinderätin der FDP in Zürich: Gesinnung erzeugen ist keine Aufgabe der Schule.

Kaum hat man den Lehrplan 21 in der Volksschule eingeführt, soll er auch schon seinen Weg in die Gymnasien finden, denn das Langgymnasium umfasst die obligatorischen Schuljahre 7 und 8.

Bedeutungsverlust der Profession

Um neu die Mint-Fächer zu stärken, sollen diese 1.5 Lektionen mehr umfassen. Weiter sollen die Fächer Informatik und Religion und Kultur eingeführt werden. Natürlich kann die Anzahl Lektionen nicht beliebig erhöht werden, ohne an anderen Orten fühlbare Abstriche zu machen. Konkret hat man die Lateinstunden und die Geografielektionen im Visier. Die angekündigte Reduzierung der Geografiestunden hat – nicht ganz unerwartet – Proteste bei den Geografielehrern ausgelöst. Das ist verständlich, denn einerseits gehört das geografische Wissen durchaus in den Humboldtschen Bildungskanon, vermittelt Orientierung und Einordnung. Andererseits geht es natürlich um den Bedeutungsverlust der Profession. Ähnlich wie unsere Bauern, die sich im Kampf um Subventionen seit längerem als Landschaftsschützer und Ökologiebeauftragte ausgeben, versuchen die Geografielehrer nun, sich als die Garanten der Nachhaltigkeit darzustellen. So zumindest argumentiert beispielsweise Lucius Hartmann, der oberste Gymilehrer der Schweiz. Er schlägt vor, die Lektionen, welche die Gymnasien zusätzlich frei verteilen können, den Geografen zuzuteilen, vorausgesetzt, sie verpflichten sich dazu, Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in ihren Lehrplan aufzunehmen.

Es ist obsolet, wenn Lucius Hartmann den Geografielehrern verspricht, dass  ihre Lektionenzahl wieder erhöht werden, wenn sie bereit seien, BNE in ihren Lehrplan aufzunehmen – sie müssen es ohnehin tun.

Die BNE ist offizielles Staatsziel der Schweiz und in der Bundesverfassung verankert. Der Lehrplan 21 der Volksschule hat BNE ebenfalls integriert. Insofern ist es obsolet, wenn Lucius Hartmann den Geografielehrern verspricht, dass  ihre Lektionenzahl wieder erhöht werden, wenn sie bereit seien, BNE in ihren Lehrplan aufzunehmen – sie müssen es ohnehin tun.

Die Ansicht, dass eine Kürzung der Geografielektionen nicht sinnvoll ist, teile ich. Aber nicht der Nachhaltigkeit wegen. Das bedarf sicher einer tiefer gehenden Begründung.

Auf der Internet Seite von Education 21 werden Inhalte und Fragestellungen von BNE wie folgt definiert:

SchülerInnen setzen sich mit Lebensstilen auseinander

«BNE ist kein neues Fach, sondern knüpft an viele aktuelle Themen an, die in der Schule etabliert und im Lehrplan verankert sind. […] Die Schülerinnen und Schüler setzen sich unter Einbezug globaler/lokaler und zeitlicher Entwicklungen mit Lebensstilen auseinander und damit mit überfachlichen Themen wie beispielsweise Ernährung, Mobilität und ressourcenschonende Technik oder Konsum. BNE beinhaltet und lanciert neue Inhalte und Fragestellungen und bezieht zur Zielerreichung weitere überfachliche Bildungszugänge mit ein wie zum Beispiel UmweltbildungGlobales LernenGesundheitsförderungPolitische Bildung und Menschenrechtsbildung sowie ökonomische Bildung

Wir sind uns wohl alle einig, dass BNE seine Berechtigung in den Lehrplänen hat. So werden diese Themen insbesondere in der Volksschule auch begeistert von den Lehrpersonen aufgenommen und entsprechend in den Unterricht miteinbezogen.

Verschiedene Wege bei der Umsetzung

Die Frage stellt sich nun, wie diese Inhalte in den Schulen vermittelt werden. Hier gibt es verschiedene Wege.

Mit der Legitimation der Verfassung und der Lehrpläne fühlen sich Lehrkräfte frei, ihre von der politischen Ausrichtung gefärbte Meinung in ihren Unterricht einfliessen zu lassen. Spricht man sie darauf an, ist die Antwort voraussehbar. Nämlich, es sei klarer Auftrag, dies im Unterricht zu thematisieren.

Unterstützt werden sie dabei von Unterrichtsmaterialien, deren Eindeutigkeit kaum etwas zu wünschen übrig lässt, wie untenstehende Ausschnitte dokumentieren:

«Wer ohnehin schon viel hat, profitiert von der Globalisierung, wer dagegen wenig hat, gerät noch mehr unter wirtschaftlichen Druck.»

«Wir werden durch Medikamente versklavt», statt uns gesund zu ernähren.

«Chemiemultis machen Farmer abhängig. Monsanto etwa ist ein Hersteller von «trojanischer Saat», der seine Gegner «finanziell fertig» macht. Seine Gegner dagegen sind «Helden»».

«NGOs» fordern «Wohlstand für alle statt Reichtum für wenige». Sie verlangen deshalb Regeln, «die allen Menschen ein gutes Leben ermöglichen». Und wollen eine Wirtschaft, «in der nicht nur der Gewinn im Zentrum steht, sondern auch Mensch und Umwelt».

«Autofahrer sind «Anerkennungs-Typen». «Ein Auto zu besitzen, ist mehr als nur ein eigenes Fortbewegungsmittel zu haben. Ein Auto ist Statusobjekt, ein Symbol. Damit zeige ich, dass ich es im Leben zu etwas gebracht habe, selbständig bin, Geld besitze usw.»

Solche Inhalte sind schlicht und einfach nicht politisch neutral. Stehen sie so in einem Lehrmittel, entspricht das nicht der gesetzlich verankerten politischen Neutralität. Schulamt und Volksschulamt sehen unverständlicherweise keinen Handlungsbedarf und schieben die Verantwortung an die Lehrer ab. Es sei Aufgabe der Lehrpersonen, diese Inhalte neutral wiederzugeben.

Keine Frage, Lehrer sind nicht neutral und sie müssen es auch nicht sein. Es geht um Mündigkeit.

Neugier wecken und nicht indoktrinieren

Keine Frage, Lehrer sind nicht neutral und sie müssen es auch nicht sein. Aber sie müssen professionell handeln, das heisst, sie müssen die Kinder befähigen, durch Unterricht Zusammenhänge zu verstehen, ihre Neugier wecken, wissenschaftliche Denkweisen zu entwickeln. Kurzum: Sie müssen die Kinder zu mündigen Menschen erziehen, die sich ihre Meinung später selber bilden können.

Indoktrination, Umerziehung, Bombardierung mit einschlägigem Filmmaterial ist hier nicht vorgesehen und vor allem auch nicht nachhaltig. Häufig bewirkt ein solcher Unterricht das Gegenteil von dem, was man eigentlich beabsichtigt.

Dem geneigten Leser und auch den BefürworterInnen von BNE seien auch die Verfassungsgrundsätze unseres Kantons in Erinnerung gerufen:

So heisst es im

Art. 116 Öffentliche Schulen

1 Kanton und Gemeinden führen qualitativ hochstehende öffentliche Schulen.

2 Diese sind den Grundwerten des demokratischen Staatswesens verpflichtet. Sie sind konfessionell und politisch neutral.

Aber auch im Bildungsgesetz ist die konfessionelle und politische Neutralität verankert:

  • 2. Bildungs- und Erziehungsaufgaben

1 Die Volksschule erzieht zu einem Verhalten, das sich an christlichen, humanistischen und demokratischen Wertvorstellungen orientiert. Dabei wahrt sie die Glaubens- und Gewissensfreiheit und nimmt auf Minderheiten Rücksicht. Sie fördert Mädchen und Knaben gleichermassen.

Wird die Bekundung des guten Willens zudem noch als Kompetenz gehandelt, als prüfbare und messbare Kompetenz bewertet, dann enden wir bei einem Erziehungsbegriff mit totalitärem Anspruch.

Leider werden genau auf diese Weise Kinder – insbesondere im Volksschulalter– beeinflusst.

Insofern plädiere ich zwar dafür, dass nicht bei den Geografielektionen gekürzt wird, fordere die Verantwortlichen aber dazu auf, dem Bildungsgedanken der Schule mehr Gewicht zu geben. Gesinnung zu erzeugen ist keine Aufgabe einer öffentlichen Schule und darf deshalb auch kein Lehrplanziel sein. Wird die Bekundung des guten Willens zudem noch als Kompetenz gehandelt, als prüfbare und messbare Kompetenz bewertet, dann enden wir bei einem Erziehungsbegriff mit totalitärem Anspruch.

Yasmine Bourgeois

 

 

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