18. November 2024
Digitalisierung

Vom gefeierten Hoffnungsträger zum Totengräber der Schulqualität

Condorcet-Autor Urs Kalberer berichtet von einem Informationsabend der Starken Schule Zürich, in dem es um die Folgen der Digitalisierung in den Klassenzimmern ging. Die zwei Referenten waren ein Lehrer und eine Lehrerin, also Praktiker des Unterrichts. Die Besucher erfuhren hier zwar keine Studienergebnisse (die kann man in unserem Blog zuhauf konsultieren), dafür besorgniserregende Beobachtungen aus dem Schulalltag.

Zugegeben: Die Kritiker von digitalen Medien in der Schule waren an diesem Abend in Zürich in der Mehrzahl. Umso klarer konnten die beiden Referenten Hedwig Schär, Unterstufenlehrerin, und Philipp Zopp, Oberstufenlehrer, auf die Auswirkungen des Gebrauchs von Computern und Smartphones in der Schule hinweisen. Beginnen wir mit einem Blick auf die ersten Klassen der Primarschule.

Urs Kalberer, Sekundarlehrer Malans: Alles zu seiner Zeit.

Hedwig Schär gibt offen zu, dass digitale Hilfsmittel im Alltag nicht mehr wegzudenken seien. Die Forderung, die Kinder müssten deshalb den Gebrauch derselben aus Gründen der Chancengerechtigkeit so früh wie möglich lernen, lehnt sie jedoch entschieden ab. Schliesslich drückt man den Kindern auch nicht einen Autoschlüssel in die Hand, damit diese möglichst früh Erfahrungen mit dem Auto fahren machen. Alles zu seiner Zeit!

Defizite

Die erfahrene Pädagogin stellt fest, dass die Konzentrationsfähigkeit ihrer Schülerschaft klar abgenommen habe. Ausserdem fehle das Gefühl für Dreidimensionalität aufgrund des intensiven Kontakts mit digitalen Bildschirmen. Weiter stellt Schär fest, dass die Frustrationstoleranz bei den Kindern generell gesunken sei, bei gleichzeitiger Abnahme der sozialen Kompetenzen.

Was sollten die Schüler denn zu Beginn der Primarschule können? Hedwig Schär kann hier aus dem Vollen schöpfen und erwähnt basale Fähigkeiten wie die korrekte Stifthaltung, schneiden mit der Schere, Papier falten, knüllen oder reissen. Gemeinsam singen und spielen gehört ebenfalls dazu.

Die Frage stellt sich nun, ob digitale Medien den jungen Primarschülern dabei helfen würden, diese wichtigen Kompetenzen zu erlernen. Das Gegenteil sei der Fall, kommentiert Schär. Die grosse Anziehungskraft der digitalen Spiele hinterlässt Spuren hinsichtlich der Ausdauer. Die Kinder hätten Mühe, Arbeiten abzuschliessen oder aufzuräumen. Sorgfalt und Feinmotorik litten ebenfalls. Hier ist nicht nur die Schule gefordert, sondern besonders auch die Eltern, welche die Geräte zunehmend auch als Mittel zum Ruhigstellen ihrer Kinder einsetzten und dabei verkennen, wie viele wichtige Lernerfahrungen diese dabei verpassen.

Seine Schüler verbringen bis zu 70  Stunden pro Woche am Bildschirm, wobei das Wochenende besonders ins Gewicht falle. Im Durchschnitt betrage die Bildschirmzeit pro Wochentag ca. 4 Stunden.

Computer nur noch, wenn er Mehrwert bringt

Mit Entsetzen hat Sekundarlehrer Philipp Zopp festgestellt, dass seine Schüler die Uhrzeit nur noch lesen können, wenn diese im Zahlenformat angezeigt ist. Dieser Weckruf veranlasste ihn zum Entscheid, digitale Geräte nur noch anzuwenden, wenn diese einen klaren Mehrwert brächten. Zopp sieht durchaus positive Anwendungen im Sprachunterricht, bei der beruflichen Orientierung oder als gelegentliche Auflockerung auf Spielplattformen. Klare Fortschritte stellt er beispielsweise bei den Englischkenntnissen fest. Diese sind sicher teilweise auch auf das Gamen zurückzuführen.

An seiner Schule wollte man es genauer wissen und untersuchte die Bildschirmzeit ausserhalb der Schule. Das Resultat machte die Zuhörer nachdenklich. Seine Schüler verbringen bis zu 70  Stunden pro Woche am Bildschirm, wobei das Wochenende besonders ins Gewicht falle. Im Durchschnitt betrage die Bildschirmzeit pro Wochentag ca. 4 Stunden.

Filme schauen geht nicht mehr

Wie seine Kollegin Schär stellt auch er einen Rückgang der Konzentrationsfähigkeit fest. In seiner Sek-B-Klasse könne er beispielsweise keine Filme am Stück mehr zeigen, da dafür die notwendige Aufmerksamkeitsspanne zu kurz sei. Grosse Defizite sind auch beim Lesen und Verstehen auszumachen. Ganz allgemein stellt Zopp einen Rückzug ins Private fest. Die Teilnahme in Vereinen oder das Musizieren hätten Seltenheitswert.

Was die Erfahrungen der beiden Lehrpersonen besonders macht, ist, dass sie nicht nur an ihrer jeweiligen Schule vorkommen. Ähnliche Beobachtungen lassen sich über das ganze Land machen. In der rege genutzten Diskussion war man sich einig, dass das Überborden des Digitalen an der Schule gestoppt werden müsse. Nur ist man sich auch bewusst, dass die Schule dabei nur eine Nebenrolle spielen kann. Immerhin zeigen die Beispiele der beiden Referenten, dass sich das Abwägen der Vor- und Nachteile des Einsatzes von digitalen Hilfsmitteln lohnt.

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