Was ist eigentlich Zins? Und was ist Zinseszins? Was ist ein Schuldenschnitt? Und was ist mit Umlageverfahren gemeint? Was ist ein Kapitaldeckungsverfahren oder ein Umwandlungssatz? Wie funktioniert das 3-Säulen-System, warum steigen Prämien, was versteht man unter der “Tragik der Allmend”» und was genau ist Inflation, Deflation, Stagflation und Rezession? Und welche Bedeutung haben in alldem überhaupt Goldpreis, ETFs und Bitcoin? Lohnt es sich zu sparen, oder sollte man vielmehr investieren oder Goldbarren bunkern?
Finanzwissen gehört in die Schule
Es sind dies Fragen, die jedem und jeder irgendwann begegnen und auf die man deswegen eigentlich eine Antwort haben sollte, die über das “Bauchgefühl”, Hörensagen oder das Definieren der Begrifflichkeiten hinausgeht. Es geht um das Verstehen finanztechnischer Mechanismen. Finanzbildung oder zu Neudeutsch “financial literacy” gehört in einer modernen Dienstleistungsgesellschaft zum Kanon der Allgemeinbildung wie das Lesen, Schreiben und Rechnen.
In der direkten Demokratie gilt dies umso mehr, da hier die Bevölkerung bei der Gestaltung des politischen und sozialen Systems oder der Staatsausgaben mehr mitredet und mitentscheidet als anderswo auf der Welt, wenn man von Liechtenstein absieht. Auch aus privaten Gründen ist eine solide Grundbildung in Finanzfragen wichtig. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass geringes Finanzwissen das Risiko für private Verschuldung erhöht.
Zurecht forderte die oberste Lehrerin der Schweiz jüngst in der Sonntagspresse angesichts der weltweiten Krisenherde mehr Einsatz für die politische Bildung. Mit Blick auf die wirtschaftliche Lage weltweit – nicht zuletzt beim Nachbarn Deutschland – ist Finanzbildung aber genauso angezeigt. Die Schulen sind also auch hier gefordert.
Obwohl Finanzbildung im Lehrplan vorkommt, könnte bzw. müsste das Finanzwissen der Schweizer Bevölkerung besser sein, als es ist. Unter anderem hat ein Forscherteam um den Luzerner Professor Andreas Dietrich den Stand der finanziellen Volksbildung im Jahr 2022 im Auftrag von PostFinance mit einer repräsentativen Umfrage erhoben. Dabei zeigte sich: Jugendliche und Frauen verfügen über deutlich weniger Finanzkompetenz als Ältere und Männer. Anders als in anderen Ländern nimmt in der Schweiz das Finanzwissen mit dem Alter nicht ab, sondern zu. Das heisst: Die Jugendlichen müssen aufholen!
Big Three als Massstab
Wissenschafter messen das Finanzwissen anhand von drei Standardfragen, den sogenannten “Big Three” (siehe Anhang unten). Die erste Frage befasst sich mit dem Zins, die zweite mit der Inflation und die dritte mit Risikoverteilung. Es stehen jeweils verschiedene Antwortmöglichkeiten plus ein “weiss nicht” zur Auswahl. Es sind Fragen, die durchaus auch im Unterricht gestellt und “durchgenommen” werden können.
Obwohl die Schweiz ein bedeutender Finanzplatz ist, konnten laut der genannten repräsentativen Umfrage im Jahr 2022 nur 55,9 Prozent der Befragten alle drei Fragen richtig beantworten. Immerhin waren es fünf Prozentpunkte mehr als zehn Jahre zuvor. Männer und Ältere wissen deutlich besser Bescheid als Frauen und Junge.
In der Generation der Babyboomer können 64,1 Prozent der Befragten alle drei Fragen richtig beantworten, bei der Generation Z sind es mit 43,8 Prozent weniger als die Hälfte. Was die Geschlechter betrifft, so haben 67,2 Prozent der Männer alle Fragen richtig beantwortet, aber nur 44,7 Prozent der Frauen. Bei den Personen mit tertiärem Abschluss lagen 72 Prozent bei allen Fragen richtig, bei jenen ohne höheren Abschluss 46 Prozent. Ausserdem zeigte sich, dass Personen mit besserem Finanzwissen auch öfter an den Finanzmärkten aktiv sind.
Im internationalen Vergleich liegt die Schweizer Bevölkerung mit ihrem Finanzwissen nur im Mittelfeld. Die Skandinavischen Länder, Kanada, Israel, Grossbritannien sowie Deutschland und die Niederlande liegen deutlich vor der Schweiz. Diese Zahlen sind allerdings schon 10 Jahre alt. Neuere Studien zeigen ein leicht vorteilhafteres Bild für die Schweiz.
Finanzwissen verbessern!
Gleichwohl kann man nicht zufrieden sein, insbesondere, was das Wissen der Jungen betrifft. Wie die unter anderem an der Stanford University tätige “Finanzpädagogin” Annamaria Lusardi in ihren umfangreichen Untersuchungen feststellt, sind viele Junge “finanzielle Analphabeten”. Auch in Ländern mit gut entwickelten Finanzplätzen ist die Finanzkompetenz junger Menschen gering. “Wir müssen”, sagt sie in einem Interview, “die finanzielle Allgemeinbildung verbessern”. Sie plädiert dafür, die Finanzbildung an der Schule auszubauen. Dieses Wissen sei eine wichtige Voraussetzung, um erfolgreich an der Gesellschaft teilzunehmen.
Initiativen in diese Richtung gibt es bereits, etwa vom Verein “FinanceMission”, der vom LCH, SER und dem Verband der Kantonalbanken gegründet worden ist.