Ist die Matura zu einfach? Diese Frage wird in letzter Zeit häufig gestellt, die Qualität der gymnasialen Matura von verschiedenen Seiten immer wieder in Zweifel gezogen. Es kommen heute zu viele an unsere Hochschulen, deren Studierfähigkeit fraglich ist. Vor allem in den beiden Grundlagenfächern Deutsch und Mathematik sind die Defizite teilweise eklatant. Das hat, wie schon 1995 bei der letzten Maturitätsreform, die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren bewogen, verschiedene Reformvorschläge zur «Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität» ausarbeiten zu lassen. Es sind Vorschläge, die zu Recht nicht bei allen Betroffenen auf Gegenliebe stossen. Doch worum geht es konkret?
Die neue Maturitätsreform, die zurzeit in der Vernehmlassung ist, zielt zwar nicht auf einen radikalen Umbau des Gymnasiums ab; trotzdem wird sie den gymnasialen Unterricht spürbar verändern. Es handelt sich um eine deutliche Ausweitung des Fächerkanons, um eine Umgestaltung des Wahlpflichtbereichs mit einer Vielzahl neuer Kombinationsfächer. Dazu kommt die Zweiteilung des Gymnasiums in einen je zweijährigen Grundlagen- und einen vertiefenden Wahlpflichtbereich, in dem viele Fächer nicht mehr unterrichtet würden. Und nicht zuletzt steht eine Erhöhung der Zahl der Maturitätsprüfungsfächer sowie eine Verschärfung der Bestehensnormen zur Diskussion.
Mit der neuen Maturitätsreform soll die Studierfähigkeit verbessert, der prüfungsfreie Übertritt an unsere Hochschulen gesichert werden.
Vor allem gegenüber dem Vorschlag, den Weg zur Matura in eine Grund- und in eine Vertiefungsphase zu unterteilen, gibt es vonseiten der Mittelschullehrkräfte, aber auch der Universitäten zu Recht ernste Bedenken. Die Zweiteilung der gymnasialen Ausbildung würde dazu führen, dass die Fächerdichte in den ersten zwei Jahren enorm gross wäre und dass andererseits in der Vertiefungsphase gerade jene Fächer wegfielen, die für ein Universitätsstudium unerlässlich sind. Vergessen wir nicht, dass neue Grundlagenfächer wie Informatik, Wirtschaft und Recht, Religion oder Philosophie dazu kommen sollen und dass es überdies um eine Stärkung der MINT-Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik geht. Das Gymnasium soll so anspruchsvoller werden. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn da nicht die Lehrpläne mit Stoff überfrachtet würden, so dass die notwendige Vertiefung in den einzelnen Fächern darunter zu leiden hätte. Es kann zudem nicht sein, dass der Fächerdichte wegen Kernfächer wie Deutsch und Mathematik weniger Lektionen hätten, und dies obwohl in Hochschulkreisen seit langem beklagt wird, dass zu viele Maturi und Maturae schriftliche Texte nur fehlerhaft hinbekommen und zu geringe Mathematikkenntnisse aufweisen. Nehmen wir auch das Fach Geschichte, das in der Vertiefungsphase, also in den letzten beiden Jahren, als Pflichtfach nicht mehr unterrichtet würde. Dabei wissen wir, dass gerade Geschichte, wenn es um historische Zusammenhänge geht, ein hohes Abstraktionsvermögen voraussetzt, das junge Menschen erst relativ spät erreichen. Es ist zu befürchten, dass sich der fatale Niedergang dieses Schulfachs mit der Maturitätsreform fortsetzt.
In der Vertiefungsphase sollen die Selbst- und Sozialkompetenzen sowie interdisziplinäres Arbeiten optimal gefördert werden. Daher wohl das neue «interdisziplinäre Vertiefungsfach» und das Fach «Critical Thinking», wie sie in der St. Galler Stundentafel «gemäss Gymnasium der Zukunft» aufgelistet sind. Beide Fächer sind inhaltlich jedoch derart vage, dass sie schnell in reine «Schwatzfächer» ausarten können. Dazu kommt, dass «Critical Thinking» als eigenes Fach, mit Verlaub, Unsinn ist, denn kritisches Denken muss pädagogisches Ziel aller Fächer sein.
Mit der neuen Maturitätsreform soll die Studierfähigkeit verbessert, der prüfungsfreie Übertritt an unsere Hochschulen gesichert werden. Ein fraglos unabdingbares Ziel. Ob es aber mit einer Aufteilung des Gymnasiums in eine Grund- und in eine Vertiefungsphase, in der viele Fächer wegfallen, eher erreicht wird als mit dem Status quo, kann mit Fug und Recht bezweifelt werden.