Im April 1933 wurden meine Onkel Franz und Hans Stark wegen einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit einem SA-Mann zu je sechs Wochen Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Der Anwalt des Klägers war der Bruder des späteren Präsidenten des Reichs-Sondergerichts Roland Freisler.
Im „Innerrhoder Geschichtsfreund“, 32. Heft 1989 (herausgegeben vom Historischen Verein Verein Appenzell und gedruckt in der Druckerei Appenzeller Volksfreund) schildert Franz seine vierteljährliche Zeit in der Gefangenschaft der Nazis und die Rückkehr in die Schweiz im Juni 1933.
“Während des Aufenthaltes im Polizeigefängnis hatte ich bei meinen Wärtern schon allerhand gesehen und gehört. Die meisten Häftlinge waren bei der Festnahme grün und blau geschlagen worden, verschiedene zu halben Krüppeln, die dann fast ohne ärztliche Hilfe in den Zellen lagen…. Ich kann mich noch gut an den Kaufhausbesitzer Hetlage erinnern, der auch hier war. Die Nazis hatten dessen Bruder und nahe Verwandte auf dem grossen Königsplatz in Kassel zu Tode geprügelt und ihn – der Bevölkerung zur Judenabschreckung – auf dem Platz ausgestellt.“
Erwin Rommel dankt denn auch in einem Schreiben vom 12. Dezember 1938 an den Präsidenten der SOG für die „wunderschöne goldene Uhr“, die ihm eine „ganz ausserordentliche Freude“ bereitet habe.
Mein Onkel Josef, aktiv im kommunistischen Widerstand, stand noch Jahre später auf der Fahndungsliste der Gestapo. Im gleichen Appenzeller Verlag erscheint in diesen Tagen ein Buch über die Vortragstätigkeit des Wehrmacht-Obersten Erwin Rommel vor der Schweizerischen Offiziersgesellschaft im Jahre 1938. Fünf Jahre nach Hitlers Machtergreifung und ungeachtet der bereits seit 1934 bestehenden Konzentrationslager. Erwin Rommel dankt denn auch in einem Schreiben vom 12. Dezember 1938 an den Präsidenten der SOG für die „wunderschöne goldene Uhr“, die ihm eine „ganz ausserordentliche Freude“ bereitet habe.
Einen Monat früher, am 9. November 1938, intensivierten die Nazis in Deutschland und Österreich in der sogenannten Reichskristallnacht ihren Vernichtungskrieg gegen die Juden. Organisierte Schlägertrupps setzten jüdische Geschäfte, Synagogen und andere Einrichtungen in Brand. Es ist der Tag, an dem Tausende Jüdinnen und Juden misshandelt, verhaftet oder getötet wurden. Erwin Rommel, damals Kommandeur der Kriegsschule in der Wiener Neustadt, konnten diese Gräuel nicht verborgen bleiben. Offenbar aber Referenz genug, um Vorträge im Roten Basel, in Zürich, Schaffhausen und Olten halten zu dürfen. Ein geplanter Auftritt vor der Offiziersgesellschaft Herisau musste wegen „dienstlicher Inanspruchnahme“ leider abgesagt werden. Der Nazi-Offizier Rommel war im Winter 1938 wohl zu sehr mit Vorbereitungen auf den 2. Weltkrieg beschäftigt.
Im Verlag Appenzeller Volksfreund ist bereits früher ein Buch des gleichen Autors erschienen. „Ein Appenzeller in der Waffen-SS“. Darin rühmt der Verfasser Vincenz Oertle unter anderem auch den Kavalleriemajor und SS-Standartenführer Heinrich Hersche, der in Appenzell-Innerrhoden aufgewachsen war und 1935 im Kanton Bern auf der Liste der nazifreundlichen Nationalen Front für den Nationalrat kandidierte.
Am „Militärhistoriker“ Oertle, und leider auch am Appenzeller Verlag und dessen Verleger, sind Jahrzehnte historischer Forschung offensichtlich spurlos vorbei gegangen. Das Tausendjährige Reich, 12 Jahre „Fliegenschiss“ in einer insgesamt ruhmreichen deutschen Geschichte, wie der AfD-Führer Alexander Gauland schwafelt, wird auch von Vincenz Oertle beschönigt und verharmlost. Kaum jemals in der Geschichte sei „über einem Besiegten ein derartiges Gewitter an zu Dogmen erhobener Geschichtsfälschungen, Lügen und Verleumdungen niedergegangen wie über Deutschland, den Deutschen, dem deutschen Soldaten und damit auch über den ausländischen Freiwilligen.“ Gemeint sind hier wohl die Schweizer Söldner im Dienste der Waffen-SS. Oertle ist nicht ein versierter Kenner der Militärgeschichte, wie der Verleger lobt, sondern ein notorischer Verharmloser von Faschismus und Nationalsozialismus.
Einst musste sogar der Bundesrat den Oberauditor der Schweizer Armee, Jürg van Wijnkoop zurückpfeifen, weil er das Vorwort zu einem Buch Oertles verfasst hatte.
Erwin Rommel, der im Appenzeller Verlag so wohlwollend beschrieben wird, war ein ehrgeiziger Wehrmachtsgeneral und ein willfähriges Werkzeug in einem lange geplanten Vernichtungsfeldzug der Nationalsozialisten.
„Er (Rommel) ist weltanschaulich gefestigt, steht uns Nationalsozialisten nicht nahe, sondern ist ein Nationalsozialist.“
Joseph Goebbels inszenierte die Erfolge des „Wüstenfuchses“ Rommel in Nordafrika als grossangelegte Werbekampagne. „Kaum ein General sei so von der Wichtigkeit des Propagandaeinsatzes durchdrungen wie Rommel. Eben daran zeige sich, welch ein „moderner General“ er doch sei“, lobte ihn Goebbels an einem Abendessen mit Adolf Hitler. „Er (Rommel) ist weltanschaulich gefestigt, steht uns Nationalsozialisten nicht nahe, sondern ist ein Nationalsozialist.“
Ein in anderer Nazi hat es bekanntlich ebenfalls geschafft, sich nach dem Krieg von einem Verbrecher aus dem innersten Zirkel Adolf Hitlers (mit SS-Führer Himmler und Propagandaminister Goebbels) zu einem erfolgreichen Buchautor und angesehenen Gast in den deutschen Fernsehstudios zu verwandeln. Albert Speer, Hitlers Bau- und Rüstungsminister. Mitverantwortlich für Enteignung, Verfolgung und Vernichtung der Juden und für die Totalisierung des Krieges bis zum schrecklichen Ende. Millionen Tote gehen auf sein Konto.
Auch diese Reinwaschung geschah mit Hiife zweier Verleger: dem Geschäftsführer der Ullstein-Verlagsgruppe, Wolf Jobst Siedler und des Mitherausgebers der F.A.Z. Joachim Fest.
Es bleibt noch zu erklären, warum 76 Jahre nach Kriegsende in einem Appenzeller Verlag der Name von Hitlers Lieblingsgeneral weissgewaschen werden muss. Meine Vorfahren jedenfalls werden sich auf dem Appenzeller Friedhof in ihren Gräbern umdrehen.
Roland Stark, Bürger von Appenzell-Innerrhoden und ehemaliger Präsident des Grossen Rates Basel-Stadt.
Eine verkürzte Version dieses Textes erschien im Appenzeller Volksfreund.