5. Dezember 2025
Streit um Sprachunterricht

«Ich war die perfekte Zielscheibe»: Als Simone Pfenninger das Frühfranzösisch infrage stellte.

Über ihre Forschung stritt einst die ganze Schweiz. Simone Pfenninger ist trotz des öffentlichen Drucks Professorin geworden. Was ihre Geschichte über die Frühfranzösisch-Debatte zeigt. Die Journalistin Anja Burri griff schon 2014 den Fall Eymann auf, der die junge Dozentin öffentlich diffamierte. Kürzlich traf Frau Burri das Opfer wieder. Simone Pfenninger ist inzwischen Professorin an der Universität Zürich. Der Artikel erschien zuerst im Tages-Anzeiger.

In Kürze:

  • Die Forscherin Simone Pfenninger löste mit ihrer Frühsprachenforschung heftige Kontroversen aus.
  • Bildungspolitiker kritisierten die Studie wegen angeblich mangelnder wissenschaftlicher Qualität.
  •  «In der Schweiz war ich damals ein leichtes Opfer», sagt Pfenninger.
  •  Neue Untersuchungen bestätigen, dass frühes Fremdsprachenlernen nur bei intensivem Unterricht sinnvoll ist.

Die Wissenschafterin Simone Pfenninger wusste schon vor zehn Jahren, dass sie mit ihrer Studie zum frühen Sprachenlernen in ein hoch umstrittenes Gebiet vorstossen würde. Über das Ausmass der Emotionen, die ihre Befunde in der Schweiz auslösten, staunt sie aber noch heute.

Anja Burri, Journalistin des Tages-Anzeigers, berichtete schon 2014 über die Diffamierung von Simone Pfenninger.

Als die Schweiz zum ersten Mal erbittert über das Frühfranzösisch stritt, veröffentlichte Pfenninger ihre Forschungsarbeit. Sie hatte über 600 Zürcher Gymnasiasten fünf Jahre lang begleitet und kam zum Schluss, dass sich ein früherer Beginn des Fremdsprachenunterrichts nicht lohnt. In ihrer Studie hatten Kinder, die bereits mit 8 Jahren Englisch lernten, am Ende der obligatorischen Schulzeit keine Vorteile gegenüber jenen, die erst mit 13 Jahren damit anfingen.

Dies sei ein «entscheidendes Ergebnis» angesichts des immer früher beginnenden Fremdsprachenunterrichts in ganz Europa, schrieb Pfenninger Ende 2014. Wichtig sei es gerade auch angesichts der «Tendenz der Bildungspolitiker, das Alter der Schüler als die entscheidende, wenn nicht gar die einzige kritische Variable zu betrachten». In den Medien doppelte sie nach: «Das heutige Kurzfutterkonzept mit rund zwei Wochenlektionen pro Sprache ist zum Scheitern verurteilt», sagte sie damals dieser Redaktion.

 

Pfenningers wissenschaftliche Arbeit wurde damit über Nacht politisch.

 

Die mächtigsten Bildungspolitiker des Landes waren nämlich dabei, durchzusetzen, dass alle Deutschschweizer Primarschulkinder neben dem viel beliebteren Englisch weiterhin auch Französisch lernen müssen. Der so mühsam ausgehandelte Sprachenkompromiss drohte in verschiedenen Kantonen, etwa im Thurgau, zu bröckeln. Sie hatten kein Interesse daran, den Beginn des Fremdsprachenunterrichts neu zu diskutieren. Und das kriegte Simone Pfenninger, die selbstbewusste Linguistin der Universität Zürich, zu spüren.

Studie zu Frühfranzösisch sei «qualitativ nicht genügend»

Der damalige Präsident der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) und basel-städtische Bildungsdirektor Christoph Eymann sprach ihr kurzerhand die Kompetenz ab, in der Fremdsprachendebatte mitzureden: «Aus Pfenningers Studie können keine Erkenntnisse für die aktuelle Diskussion abgeleitet werden», schrieb er in einem Beitrag in der «Basler Zeitung». In einer Forschungsübersicht über relevante Studien zum Fremdsprachen­lernen habe Pfenningers Arbeit keinen Eingang gefunden, «weil sie offensichtlich qualitativ nicht genügte».

Pfenninger konnte nachträglich zwar beweisen, dass ihre Studie nicht berücksichtigt worden war, weil sie dafür zu spät veröffentlicht wurde. Doch es nützte nichts. Auch der Direktor der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung Stefan Wolter sagte, Pfenningers Erkenntnisse seien bereits widerlegt.

Mittlerweile ist Pfenninger ordentliche Professorin für englische Sprachwissenschaften an der Universität Zürich. Die politisch so heftig umstrittene Studie war ihre Habilitation und damit die Grundlage ihrer akademischen Karriere. «Ich hatte immer Rückhalt von der Forschung und der Uni», sagt sie. Internationale Kollegen verfassten damals sogar ein Solidaritätsschreiben für Pfenninger – in anderen Ländern hatten Forscher, die ähnliche Befunde veröffentlichten, viel weniger Gegenwind.

Wer das Frühfranzösisch kritisiert, ist kein Aussenseiter mehr – und die Leidenschaft jener, die das frühe Lernen einer zweiten Landessprache einfordern, ist abgeflaut.

«In der Schweiz war ich damals ein leichtes Opfer», sagt Pfenninger. Als junge Frau ohne unbefristete Stelle an einer Hochschule sei sie die perfekte Zielscheibe für öffentliche Diskreditierungen gewesen. Doch diese Zeiten sind vorbei.

Pfenninger staunt über den schnellen politischen Wandel

Simone Pfenningers Geschichte zeigt, wie stark sich die öffentliche Debatte über das Frühfranzösisch in den letzten zehn Jahren verändert hat. Wer das Frühfranzösisch kritisiert, ist kein Aussenseiter mehr – und die Leidenschaft jener, die das frühe Lernen einer zweiten Landessprache einfordern, ist abgeflaut. Dafür werden Stimmen für alternative Lösungen lauter: Die Erziehungsdirektoren von Schaffhausen oder Nidwalden wollen Frühenglisch auf die Oberstufe verschieben. Es ist eine politische Idee, die von Pfenningers Forschungsergebnissen gestützt wird.

Dennoch erstaunt auch die Professorin diese Entwicklung. «Ich hätte nicht gedacht, dass man diesen Sprachenkompromiss in der Schweiz so schnell über Bord wirft», sagt sie und meint die Kantonsparlamente in Appenzell Ausserrhoden, Zürich und St. Gallen, die sich nun gegen das Frühfranzösisch ausgesprochen haben.

Simone Pfenninger sagt: «Vor zehn Jahren hiess es in der Frühfranzösisch-Debatte überall: je früher, desto besser.»

Pfenninger erklärt den politischen Wandel mit einem wissenschaftlichen Modell. Politische Entscheidungen basierten auf drei Pfeilern, sagt sie: Ideologie, Interessen und Information. «Vor zehn Jahren dominierten individuelle und politische Interessen sowie die Ideologie die Frühfranzösisch-Debatte: ‹Je früher, desto besser›, hiess es überall.» Nun sei die Information wichtiger geworden, da sehr viele Menschen – Schüler, Eltern und Lehrpersonen – ihre Erfahrungen mit dem Unterricht gemacht hätten. «Dadurch ist der politische Druck auf das frühe Fremdsprachenlernen gestiegen.»

Beim Sprachenstreit geht’s um den Zusammenhalt

Christoph Eymann, ehemaliger EDK-Präsident: Ich wollte doch nur den nationalen Zusammenhalt bewahren.

Das könnte Christoph Eymann, Alt-Regierungsrat und EDK-Präsident, eigentlich kaltlassen. Der 74-Jährige ist längst nicht mehr für die Sprachenpolitik zuständig. Und doch beschäftigt sie ihn. «Ich finde, die Frühfranzösisch-Frage wird heute etwas gar flapsig behandelt», sagt er. Es gehe ja nicht bloss um ein paar Lektionen oder schlechte Noten, wie es scheine, wenn man gewissen Leuten zuhöre. Eymann verbindet mit dem frühen Fremdsprachenlernen etwas anderes: «Wir müssen dem Zusammenhalt zwischen den Sprachregionen in unserem Land Sorge tragen.»

Das habe ihn bereits vor zehn Jahren als EDK-Präsident angetrieben. Auch die Kritik an Pfenninger sei in diesem Licht zu betrachten, sagt er. Es habe in der Wissenschaft verschiedene, sehr unterschiedliche Stimmen gegeben. «Für mich wogen andere Argumente einfach schwerer als jene von Simone Pfenninger.» Es sei ihm nicht darum gegangen, die Forscherin zu diskreditieren. «Aber es gab Kräfte, die benutzten diese Studie als ultimatives Beweismittel gegen das Frühfranzösisch. Und das war einfach nicht angebracht.»

Pfenninger selber sagt, es sei schade, wie einseitig ihre Studie in der Öffentlichkeit diskutiert worden sei. Ihre Ergebnisse hätten nämlich auch aufgezeigt, wie sich der Fremdsprachenunterricht verbessern müsste. Und die wesentlichen Erkenntnisse hätten sich in einer neuen Erhebung bestätigt. Sie sammelte acht Jahre lang Daten an einer internationalen Schule, an der 5- bis 12-jährige Kinder abwechslungsweise ganze Tage in Englisch und auf Deutsch unterrichtet werden. Das Resultat: Die Kinder profitieren tatsächlich von einem möglichst frühen Fremdsprachenunterricht – aber eben nur, wenn er im Rahmen eines «Sprachbads» stattfindet. Einzelne Lektionen in diesem Alter brächten kaum etwas.

Kaum neue Studien zu Fremdsprachenunterricht

Dass es heute sehr wenige neue Studien zum Thema gebe, sei schade, sagt Pfenninger, aber nicht verwunderlich: Der politische Druck habe viele Wissenschafter abgeschreckt.

Jedenfalls tauchen in der aktuellen Frühfranzösisch-Debatte dieselben Studien auf wie schon vor zehn Jahren. Etwa kürzlich, als die Zürcher Regierung versuchte, den Kantonsrat mit wissenschaftlichen Argumenten davon zu überzeugen, das Frühfranzösisch nicht abzuschaffen – vergeblich, wie sich zeigte.

Tricksen und verfälschen, immer noch die Methode der Bildungsdirektion?

Die Ironie der Geschichte ist, dass der Regierung dabei ein Fehler unterlief: Pfenningers Untersuchung, so heisst es in der Regierungsantwort auf die Frühfranzösisch-Motion, zeige, dass frühes Fremdsprachenlernen sich positiv auf die Motivation der Schüler auswirke. Nur steht das nicht in Pfenningers Studie.

Wie kann das passieren? Das bleibt auch nach einer Anfrage bei der Bildungsdirektion unklar. Eine Sprecherin schreibt, man habe mit Pfenningers Studie eine andere Aussage belegen wollen, die unglücklicherweise weiter vorn im Text stehe, und auch dort gehe es nur um den ersten Teil eines Satzes bis zum Komma.

Vor zehn Jahren hätte Simone Pfenninger nach so einer Publikation wohl Anrufe, Briefe und Mails erhalten. Doch die aktuelle Frühfranzösisch-Debatte verläuft anders und unaufgeregt: Den Lapsus der Bildungsdirektion hat bisher schlicht niemand bemerkt.

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Ein Kommentar

  1. Aha! Wie nett von Herrn Eymann. Er wollte Simone Pfenninger also nicht diskreditieren? M. E. hat er das aber damals exakt getan, in dem er ihrer Forschungsarbeit die wissenschaftliche Relevanz abgesprochen hat (entgegen der Einschätzung wissenschaftlicher Institutionen!) und dies offenbar erst noch mit einer Aussage, deren Inhalt so offenbar nicht zutreffend war. Wie wäre es mit einer glasklaren öffentlichen Entschuldigung anstatt einer umständlichen Rechtfertigung?

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