6. Dezember 2025
Erziehung im Elternheim

Vor allem Gen-Z-Eltern nennen “Spaß haben und Leben genießen” als Erziehungsziel

Regeln werden ausgehandelt statt Kindern auferlegt – und Verstöße haben häufig keine Folgen: Eine Eltern-Befragung zeigt, dass viele Väter und Mütter einen ausdrücklich kooperativen Erziehungsstil pflegen. Das birgt aber Risiken, warnt eine Forscherin. Wir bringen einen Beitrag, der zuerst in der WELT erschienen ist.

 

Wenn Eltern sich für die von ihnen geleistete Erziehungsarbeit selbst benoten müssten, käme dabei eine wohlwollende Zwei minus heraus. Im Großen und Ganzen also sind Eltern in Deutschland mit ihrer eigenen Performance also einigermaßen zufrieden. Das zeigt die repräsentative Studie “Familie und Erziehung” der Krankenkasse Pronova BKK, für die 2000 Mütter und Väter befragt wurden.

Allerdings versteht offenbar ein nicht unerheblicher Teil der Eltern unter Erziehung, dem Kind jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Ein Fünftel aller Eltern gaben bei der Umfrage an, ihren Kindern “viel Liebe und Zuneigung” zu geben und “fast alle Wünsche zu erfüllen”. Auch Anerkennung wird reichlich verteilt: 21 Prozent loben bei gutem Verhalten, 41 Prozent geben “generell viel Lob und Unterstützung”.

WELT-Journalistin Sabine Menkens

60 Prozent der Mütter und sogar 72 Prozent der Väter stimmen der Aussage zu, die “beste Freundin” beziehungsweise der “beste Freund” ihres Kindes sein zu wollen. Ein Anspruch, der mit der elterlichen Aufgabe kollidiert, gegenüber den Kindern auch unbequeme Entscheidungen zu vertreten.

58 Prozent der Befragten gestehen daher auch ein, dass sie ihrem Kind vieles durchgehen ließen. 52 Prozent sagen, dass sie Regelverstöße mit dem Kind besprächen, diese aber keine Konsequenzen hätten – anders als in der eigenen Kindheit, wo Strafen bei Regelverstößen nach Ansicht einer Mehrheit der Befragten noch verbreiteter waren. Heute setzen noch 45 Prozent auf Sanktionen – bei denen, die selbst autoritär erzogen wurden, etwas mehr. 68 Prozent erklären es für “großartig”, wenn ihre Kinder “nicht so angepasst sind, sondern auch mal Grenzen überschreiten”.

“Die Absicht, die Beziehung in den Mittelpunkt zu stellen, ist grundsätzlich positiv – sie stärkt die Bindung zum Kind und seinen Selbstwert”, sagt Nina Grimm, Familienpsychologin der Pronova BKK. “Wenn Eltern aber Konflikte vermeiden, um die Freundschaft zum Kind nicht zu gefährden, steckt ein überhöhter Anspruch dahinter. Eltern sind Gefährten. Aber keine beste Freundin oder bester Freund.”

 

 

In vielen Familien entstehen Regeln laut der Erhebung heute im Dialog: 53 Prozent legen sie gemeinsam mit Kindern fest. 60 Prozent der Befragten geben an, dass in ihrer eigenen Kindheit die Regeln ausschließlich von den Eltern vorgegeben worden seien – heute handhaben das nur noch 44 Prozent der Eltern so.

Der Trend zur Mitbestimmung könne aber auch zu Problemen führen, wenn Kinder kaum noch Frustrationserfahrungen machten oder Grenzen gesetzt bekämen, warnt Grimm. “Es geht darum, diese Erfahrungen zuzulassen und liebevoll zu begleiten, statt sie permanent zu vermeiden”, sagt die Expertin. Um die Balance zwischen Bedürfnisorientierung und Grenzen halten zu können, sollten Eltern laut Grimm einen wichtigen Unterschied beachten: “Kinder sind gleichwertig. Aber nicht gleichberechtigt.”

“Frustration und Grenzen sind wichtige emotionale Erfahrungen für eine gesunde Entwicklung. Kinder haben noch nicht die kognitiven Voraussetzungen, um alle Konsequenzen ihres Handelns zu überblicken. Sie brauchen deshalb unsere Führung und unsere Grenzen.”

Nina Grimm, Familienpsychologin

 

Die Psychologin hat beobachtet, dass sich vor allem Mütter oft “ein Bein ausreißen”, um die Bedürfnisse der Kinder bedingungslos zu erfüllen. “Dahinter steckt oft eine gewisse Unsicherheit oder die Angst vor dem nächsten Wutanfall: ‘Was, wenn ich es nicht schaffe?’ Also nehmen sie sich selbst zurück und opfern sich auf.” Es sei allerdings wichtig, Kindern auch etwas zumuten, so Grimm. “Frustration und Grenzen sind wichtige emotionale Erfahrungen für eine gesunde Entwicklung. Kinder haben noch nicht die kognitiven Voraussetzungen, um alle Konsequenzen ihres Handelns zu überblicken. Sie brauchen deshalb unsere Führung und unsere Grenzen.”

Große Mehrheit erklärt sich zu guten Vorbildern

Was die Erziehungsziele angeht, achten Eltern auch heute noch auf klassische Werte. Sie setzen auf Verantwortungsbewusstsein (48 Prozent), Hilfsbereitschaft (47 Prozent) und Höflichkeit (47 Prozent). Aber auch “Spaß haben” und “das Leben genießen” (55 Prozent) wird oft genannt – deutlich häufiger als “Ehrgeiz” und “Erfolg” (36 Prozent). Vor allem bei den jungen Eltern der Generation Z der 18- bis 30-Jährigen steht “Spaß haben und das Leben genießen” mit 65 Prozent hoch im Kurs.

 

 

Großen Wert legen Eltern auf ein respektvolles und hilfsbereites Verhalten ihrer Kinder. 57 Prozent ist das außerordentlich wichtig, weiteren 42 Prozent “eher wichtig”. Je älter die Kinder sind, desto wichtiger ist es demnach den Eltern, dass der Nachwuchs sich gut benimmt. Das zeigt sich auch darin, wie sie das Auftreten anderer Kinder aus dem Freundes- und Bekanntenkreis wahrnehmen. Fast vier von zehn Erwachsenen finden laut Studie andere Kinder weniger gut oder überhaupt nicht gut erzogen.

System blendet lieber aus

Von sich selbst haben sie eine deutlich höhere Meinung: 84 Prozent der Väter und 77 Prozent der Mütter sagen, ihrer Vorbildfunktion “eigentlich immer” gerecht zu werden. “Die hohen Werte überraschen mich. Denn das Verhalten der Eltern weicht oft stark von dem ab, was wir unseren Kindern predigen: Wir knallen Türen, essen die ganze Chipstüte auf und schalten Netflix selten nach der ersten Serie ab”, kommentiert Psychologin Grimm. Das zuzugeben, sei unangenehm. “Also blendet unser System es lieber aus. Das könnte ein blinder Fleck sein, um den eigenen Selbstwert zu schützen.”

Zugenommen haben offenbar Ängste um die Kinder. 79 Prozent der Eltern sagen zwar, dass sie “immer wissen möchten, wo mein Kind sich gerade aufhält beziehungsweise was es gerade macht” – das sehen Eltern aus der Generation X genauso wie solche aus der Generation Z. Junge Eltern zwischen 18 und 30 Jahren äußern aber deutlich größere Ängste: 74 Prozent von ihnen sagen, dass sie “eigentlich immer” in Sorge seien, dass ihrem Kind etwas passieren könnte. Von den 46 bis 60 Jahre alten Eltern der Generation X sagen das nur 61 Prozent.

Und auch Zweifel an der eigenen Eignung als Mutter oder Vater sind in der Generation Z größer als bei älteren Eltern. 47 Prozent von ihnen haben oft oder zumindest manchmal Selbstzweifel. Von den Angehörigen der Generation X sagen das nur 29 Prozent. Auch der Wunsch nach einer Pause vom Alltag mit den Kindern, Gereiztheit auch bei Kleinigkeiten und das Gefühl, den Anforderungen ihrer Kinder nicht gerecht zu werden, ist bei jungen und mittelalten Eltern deutlich höher. Das dürfte allerdings auch daran liegen, dass sie schlicht noch näher dran sind am Alltag mit Kleinkindern.

 

Sabine Menkens berichtet für die WELT über gesellschafts-, bildungs- und familienpolitische Themen.

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