Bildung ist wichtig. Das sagen alle. Und die Schweiz lässt sich dies viel kosten: 41,3 Milliarden Franken haben Bund, Kantone und Gemeinden 2021 für Bildungszwecke ausgegeben, fast doppelt so viel wie noch 2000; damals waren es 22,1 Milliarden. Wir leisten uns das teuerste Bildungssystem der Welt. Aus gutem Grund: Bildung ist für unser Binnenland existenziell.
Lehrerverband will mehr Geld
Die Schweiz investiert viel. Und doch verlangt Dagmar Rösler, die oberste Lehrerin der Schweiz, bei jedem Problem im Schulalltag stets nur eines: «Mehr Geld! Mehr Ressourcen!» Gebetsmühlenartig kommt dieser Ruf über ihre Lippen. Seit Jahren. Gleichzeitig plädiert sie als Zentralpräsidentin der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) permanent für weitere und zum Teil radikale Strukturreformen – zusammen mit Thomas Minder, dem Verbandspräsidenten der Schulleiter Schweiz (VSLCH). So wollen sie den Defiziten entfliehen, welche die Verbände mitverursacht haben.
Beide setzen Bildung mit ihrer Reform gleich – wie wenn Strukturinnovationen alle Probleme lösen könnten. Dabei bewegen sie sich auf der Makroebene, einem für den Unterrichtserfolg unwesentlichen Bereich; beiden sind Oberflächenmerkmale wichtig, Äusserlichkeiten. Es sind Strukturreformen, die sie forcieren, wie beispielsweise das Abschaffen der Noten und das Weglassen der Hausaufgaben, das Auflösen des Klassenverbandes oder die Abkehr von der Selektion.
Strukturfragen auf der Makroebene haben wenig mit den Prozessen des Denkens, Verstehens und Könnens zu tun. Bildungswirksam sind die Tiefenmerkmale der Lernprozesse, das wissen wir aus der Unterrichtsforschung. Dazu gehören das verstehende Aneignen und Anwenden von Wissen und Können, dazu zählen die Erkenntnisvorgänge und das Entstehen von Einsichten und Zusammenhangwissen.
Doch welche Form von Unterricht fördert dieses verstehende Lernen – und das so bedeutsame «verstehende Lesen»? Das müsste die Lehrerverbände interessieren. Aus der Lernpsychologie kennen wir die Phasen des klassischen Lernprozesses. Es geht beim Lernen stets um das problemgeleitete Aufbauen des neuen Wissens und Könnens mit dem Erkennen und Verstehen – beispielsweise des anspruchsvollen Zehnerübergangs. Das sind komplexe Vorgänge, ebenso wie das Durcharbeiten mit dem Konsolidieren und Festigen – das Behalten. Dazu kommen das Üben und Wiederholen sowie das Abrufen und Anwenden des Gelernten in unterschiedlichen Situationen.
Kein Zufallslernen
Schulische Wirksamkeit verlangt eine konsequente Systematik; es darf kein Zufallslernen geben. Darauf verweisen renommierte Lernforscher. Viele Lehrerinnen und Lehrer spüren aber, dass die zahlreichen Reformen der vergangenen Jahre das Lernen entsystematisiert haben, und zwar über die forcierte Individualisierung und das selbstorganisierte Lernen (SOL), die Abwertung der Lehrperson zum begleitenden Coach und durch die gesteigerte Heterogenität in den Klassen.
Gefragt sind die Kernprozesse des Lernens – systematisch aufgebaut, strukturiert und angeleitet. Die Wirksamkeit der Schule beginnt im Klassenzimmer.
Die Folgen zeigen sich in den internationalen Pisa-Vergleichsstudien oder beispielsweise in den Klagen von Lehrmeistern und Hochschuldozenten. Auch die rasante Zunahme privater Lerninstitute ist ein Alarmzeichen: Die Verbindlichkeit der Lernprozesse nimmt ab. Viele spüren das, auch Eltern. Das bildungspolitische Grundlagenpapier der FDP Schweiz kommt nicht aus heiterem Himmel. Es ist eine Reaktion auf die nachlassende Wirkkraft der öffentlichen Volksschule.
Gefragt wären ein Gegenhalten und die Konzentration auf lernwirksames Unterrichten mit klaren Verbindlichkeiten. Gefragt sind die Kernprozesse des Lernens – systematisch aufgebaut, strukturiert und angeleitet. Die Wirksamkeit der Schule beginnt im Klassenzimmer. Darauf müssten sich die Lehrerinnen- und Lehrerverbände primär konzentrieren – und nicht auf Strukturfragen im Makrobereich. Das erforderte auch nicht dauernd mehr Ressourcen.
Die Staatsschule hat m. E. fertig!
Im Kanton Baselstadt wird die Schule nun sogar zum Aufsichtsorgan über gendergerechte Bildung. Damit ist aber nicht nur das Gendern in der Sprache gemeint. Es geht soweit, dass Lehrpersonen Meldung erstatten müssten, sollten Eltern mit dem Geschlechtswahltheater als Axiom nicht einverstanden sein. Spitzeltätigkeit für Lehrerinnen und Lehrer?
Die schulische Zukunft liegt m. E. zunehmend in der privaten Beschulung. Der Staat hat übermarcht und sollte gezwungen werden, seine Vorherrschaft und Deutungshoheit abgeben zu müssen. Bildungsgutscheine sind das Mittel der Wahl.
Hoffentlich kommt es ganz so nicht! Die schulische Zukunft liegt m. E. in einem Wettbewerb zwischen den beiden Systemen. Wobei eine private Schule ja jetzt nicht wirklich einem anderem System angehört (wegen der staatlichen Schulaufsicht), sondern nur andere Akzente setzt und zusätzliche Optionen anbietet. Zu einem echten Wettbewerb könnte es nur kommen, wenn die Schulpflicht aufgehoben wird und sich dann zwischen den verschiedenen Systemen ein wirkliches ranking bilden würde. Die staatlichen Schulen ( z. B. eines Bundeslandes in D oder eines Kantons in CH) könnten dann einfach beschließen, die besten werden zu wollen.
10 % der Kinder gehen dann auf keine Schule, aber jetzt gehen alle hin und 30 % lernen nichts, wo ist das Problem? Die Bildungspolitik hat es jedenfalls komplett vermasselt.
Carl Bossard deckt überzeugend auf, dass die Bildungspolitik ihr Hauptziel aus den Augen verloren hat. Eine bombastische Ausweitung des Bildungsprogramms hat dazu geführt, dass ganz wesentliche Bildungsziele verfehlt wurden. Dazu bestimmten eine dogmatisch vorangetriebene Gleichmacherei mit entsprechenden Strukturreformen und Steuerungsphantasien der Bildungsplaner weitgehend die Agenda der Bildungspolitik.
Die Resultate dieser Reformen sind in jeder Hinsicht ernüchternd. Für Klassenlehrkräfte wurde durch das belastende Integrationskonzept mit strikter Ablehnung von Förderklassen die Unterrichtsarbeit erschwert. Statt zu schauen, was das Lernen wirklich fördert, wurde die Lehrerrolle schleichend abgewertet. Doch Jugendliche wollen keine Lernbegleiter als graue Mäuse im Klassenzimmer. Sie wünschen sich eine kompetente und vertrauenswürdige Lehrerpersönlichkeit, die mit Freude die Klasse führt und wesentliche Inhalte vermittelt.
Die Bildungspolitik hat es verpasst, die Prioritäten richtig zu setzen. Man hat jahrelang umgebaut, ohne über den Kernbereich der Pädagogik zu reden. Unsere Schule braucht verbindliche Bildungsinhalte, eine Stärkung der Lehrerrolle und ein gründliches Ausmisten bei den schulischen Wunschzielen. Dies unter Berücksichtigung des wichtigen kulturellen Auftrags der Schule bei der Allgemeinbildung zu realisieren, ist die grosse Herausforderung der kommenden Jahre.